Mailand: „La Traviata“

Vorstellung am 22.1.19 (Premiere WA 11.1.)

Fast dreißigjährige Kurtisane

Die seit 1990 bestehende Produktion (Regie: Liliana Cavani, Bühne: Dante Ferretti, Kostüme: Gabriella Pescucci) wurde dieses Jahr bereits zum zehnten Mal wieder aufgenommen und sorgt in geschmackvoll-traditioneller Ausstattung allemal für ein volles Haus. Die Beschreibung der Inszenierung (die nur 2013 einer Regie von Dmitrij Tscherniakow weichen musste, diesen Versuch aber triumphal überlebte) ist schon so oft erfolgt, dass diesmal auf sie verzichtet sei.

Neu für die Scala war die Lettin Marina Rebeka in der Titelrolle. Nach dem ihr vorauseilenden Ruf hätte ich mir mehr erwartet als eine wiederholt zu Schärfen neigende Stimme, die auch ein gewisses Vibrato nicht immer in den Griff bekam. Schön gesungenen Piani („Dite alla giovine“) standen kraftvolle, wenig nuancierte Ausbrüche wie etwa in „Addio del passato“ gegenüber. Außerdem las sie Germonts Brief an Violetta viel zu leise vor. Ihrem Auftreten fehlte die durch die Gewissheit eines frühen Todes bewirkte Melancholie. Der Unterschied in der Expressivität machte sich in den Szenen mit ihrem Alfredo Francesco Meli besonders bemerkbar, denn dieser verlieh dem stürmischen jungen Mann gesanglich alle Schattierungen zwischen verzückter Anbetung der Geliebten und gekränkter Eitelkeit wegen derer vorgeblichen Untreue.

Was war doch etwa „Un dì, felice, eterea“ für ein Hörgenuss! Als Germont war neuerlich Leo Nucci aufgeboten, und ich bin es müde, immer wieder feststellen zu müssen, wie immer noch vereinzelt kraftvolle Bögen von einer Art Sprechgesang unterbrochen werden, der vor allem in kurzen Phrasen auftritt. (Im März wird Nucci in der Rolle hier von Domingo abgelöst, was nicht unbedingt auf Maßnahmen zugunsten einer nachdrängenden Jugend hinweist). Die Sopranistin Chiara Isotton war eine gute Flora, obwohl ich nicht verstehe, warum sie immer in dieser Mezzorolle eingesetzt wird. Aus dem Umfeld der Kurtisane mit Costantino Finucci (Douphol) und Alessandro Spina (Grenvil) stach der schöne Bass von Antonio Di Matteo (d’Obigny) hervor. Vier Solisten von der Accademia der Scala wirkten mit: Francesca Manzo war eine schönstimmige, mitfühlende Annina, Riccardo della Sciucca ein eleganter Gaston, und Jorge Martinez stellte als Floras Diener und Kommissionär seinen Mann, während Sergej Ababkin als Giuseppe allzu sehr der Anfänger anzumerken war.

Verlässlich wie immer der Chor des Hauses unter Bruno Casoni. Eine ausgezeichnete Leistung erbrachte auch da s Orchester unter der feinfühligen Leitung von Myung-Whun Chung. Die Cabaletta nach Germonts Arie war gestrichen und ist sicher niemandem abgegangen.

Reichlicher Schlussbeifall.

Eva Pleus 23.1.19

Bilder: Brescia & Amisano / Teatro alla Scala