Aufführung am 16.2.18 (WA am 8.2.)
Musikalisch ausgezeichnet
Diese 2010 herausgekommene Produktion wurde damals und auch bei den Wiederaufnahmen von 2014 und 2016 von mir als nicht sonderlich gelungen besprochen, weil es Regisseur Federico Tiezzi nicht gelungen war, mehr als eine Illustration der Handlung zu bieten. Besonders störte das im ersten und zweiten Bild, wenn zunächst Matrosen auf Seilen Turnübungen machen und die selben Mimen dann mit Kapuzenmänteln, unter denen die Matrosenhemden hervorlugen, Klageweiber geben müssen, die den Sarg der unglücklichen Maria fortbringen. Und im an den Präraffaeliten inspirierten zweiten Bild sind die neben Amelia/Maria hingegossenen Schönheiten nur peinlich. Das Schlussbild hingegen verweist zunächst auf das Meer, um dann unnötigerweise Orchestergraben und Zuschauerraum zu spiegeln (Bühnenbild: Pier Paolo Bisleri, Kostüme: Giovanna Buzzi). Betreut wurde die Serie der Wiederaufnahme von Lorenza Cantini, die es wohl nicht wagte, einige der Schergen und zahllosen Stricke zu eliminieren, mit denen Paolo zum Richtplatz geführt wird (im Libretto ist von vier Wächtern die Rede).
Doch nun zum sehr positiven musikalischen Eindruck, der auf der wundervollen Grundlage eines von Myung-Whun Chung zu großer Farbigkeit angespornten Orchesters des Hauses aufbaute. Man konnte die uninspirierte Szene vergessen und tief in Verdis hier sehr düsttere Welt eintauchen.
Diese musikalische Leitung ließ, wollen wir in Italien bleiben, etwa an Giulini oder Abbado denken. Dazu trug der koreanische Dirigent die Sänger auf Händen und unterstützte sie in jeder Hinsicht.
Setzte Leo Nucci im Prolog noch auf unnuancierte Kraft und war auch szenisch als junger Korsar wenig glaubhaft, so war er ab der Erkennungsszene mit Amelia/Maria wie verwandelt. Es gelangen ihm viele berührende Töne und auch Pianopassagen. Vielleicht irre ich mich, aber fast hatte ich das Gefühl, als atte sich Nucci in dieser Rolle von Domingo beeinflussen lassen, denn so anrührend in Einsamkeit und Tod des Dogen hatte ich ihn noch nie erlebt. Wer meine diesbezüglichen Berichte gelesen hat, weiss, dass ich sonst mit dem altersbedingten Fehlen von stimmlichen Nuancen bei diesem Künstler hadere, aber der diesmalige Eindruck war ein ganz anderer.
Den einzigen spontanen Szenenapplaus erhielt Fabio Sartori. Mit seiner Qualitätsstimme ist er ein echter Tenor der alten Schule mit perfekter Phrasierung und strahlenden Höhen. Er wurde am Schluss besonders gefeiert.
Krassimira Stoyanova bot aber mit ihrem rein klingenden Sopran und temperamentvollem Spiel eine ausgezeichnete Leistung.
Ein sehr guter, auch schauspielerisch präsenter Paolo war Dalibor Jenis, den ich noch als Schmalspur-Posa in Erinnerung hatte, dessen Bariton aber kräftiger geworden ist. Der Bass von Dmitri Beloselsky hat farblich und in der Tiefe nicht ganz die Qualität, aber mit starker szenischer Präsenz konnte er einiges wettmachen.
Als Pietro ergänzte Ernesto Panariello, und Amelias Magd und der Hauptmann der Bogenschützen wurden von den Chorsolisten Barbara Lavarian bzw. Luigi Albani gesungen, wobei letzterer besonders einnehmend klang. Der Chor unter Bruno Casoni sang wieder mit beeindruckender Homogenität und Kraft.
Die Vorstellung hatte mit einer Verspätung von fast 20 Minuten begonnen, weil es Probleme mit der Mechanik beim Abbau der Bilder für die Proben von Glucks Оrpheus et Eurydice, der nächsten Premiere an der Scala, gab. Die Ankündigung machte Castingdirektor Toni Gradsack auf Italienisch; angesichts der zahlreichen Touristen wäre zumindest eine auch englische Ansage angebracht gewesen.
Eva Pleus 22.2.18
Bilder: Brescia e Amisano / Teatro alla Scala