Novara: „Ernani“

Aufführung am 18.10.19 (Premiere)

Mit Giuseppe Verdis fünfter Oper, dem 1844 in Venedig uraufgeführten, besonders mitreißenden Werk des 31-jährigen Autors, wurde die neue Saison im Mehrspartenhaus der piemontesischen Stadt eröffnet.

Für diesen Anlass wurde eine sehr erfolgreiche Produktion wiederbelebt, die 1999 für das Teatro Massimo in Palermo geschaffen worden und 2011 auch in Bologna zu sehen gewesen war. Die Handlung ist im Jahre 1519 angesiedelt, und Bühnenbilder und Kostüme von Francesco Zito folgen in prachtvollen Entwürfen dem Stil jener Epoche. Es war ein Genuss, die historischen Bilder betrachten zu können, in der sich die Figuren auch gemäß der damaligen Zeiten bewegten, nämlich würdevoll und in einer durchaus nicht langweiligen Gemessenheit, wenn es um die höheren Ränge ging. Umso eindrucksvoller, wenn sie dann durch die Umstände in Rage gerieten (und Schwerter zogen anstatt mit Maschinengewehren zu drohen).

Die Regie hatte vor zwanzig Jahren Beppe De Tomasi inne – nun wurde sie von Pier Francesco Maestrini aufgefrischt, der damals als Regieassistent dabei war (und dessen Vater jahrelang viele Produktionen der Arena di Verona verantwortet hat). „Ernani“ ist ein Werk, das schauspielerisch nicht die größten Ansprüche stellt, wenn – wie hier – das Ambiente und die Kostüme stimmen. Die Herausforderung bestand für den Regisseur eher darin, die Solisten und vor allem den Chor so zu gruppieren, dass die Bühne (die natürlich wesentlich kleiner ist als die in Palermo bzw. Bologna) trotz aller Turbulenzen übersichtlich blieb, und das ist ihm perfekt gelungen.

Der Tenor meldete sich am Morgen der Premiere als erkrankt, der Sopran eine Influenza. Eine Herausforderung für den Musikdirektor des Hauses, Matteo Beltrami. Nachdem sich der armenische Titelheld Migran Agadzhanyan ansagen hatte lassen, führte ihn Beltrami mit solcher Sorgfalt durch das Geschehen, dass vom Protagonisten alle Sorge um seine Aufgabe abfiel und er, abgesehen von minimalen Kratzern, eine nicht nur sichere Leistung bringen, sondern auch wiederholt die Strahlkraft seines Tenors zeigen konnte.

Sein baritonaler Gegenspieler war der Mongole Amartuvshin Enkhbat, der zwischen den „Nabucco“-Vorstellungen in Parma hier sein Rollendebüt gab. Auch dieses fiel stimmlich wieder sensationell aus, mit einem alles andere als philologisch akzeptierten hohen As am Schluss seiner Arie im 3. Akt. Man muss wohl auf Cappuccilli zurückgehen, um Ähnliches gehört zu haben – da darf man ausnahmsweise auch einmal pure Stimmkraft und -schönheit genießen. Simon Orfila, schon in Mahón bei seinem Rollendebüt ein beeindruckender Silva, klang noch „bassiger“, falls der Ausdruck erlaubt ist. Szenisch war er perfekt und gemahnte im letzten Bild an einen römischen Senator, dessen „Ceterum censeo“ auf Rache aus war. Als Elvira sprang die Kolumbianerin Alexandra Zabala ein, deren lyrische Stimme sie nicht für diese Rolle prädestiniert, aber dank ihrer hervorragenden Technik meisterte sie alle Hürden und gab ein überzeugendes Porträt der von drei Männern geliebten Adeligen. Marta Calcaterra ergänzte als ihre Vertraute Giovanna, der spanische Tenor Albert Casals als Knappe des künftigen Karl V., hier schlicht Don Carlo genannt. Vokal und szenisch besonders engagiert der ukrainische Bass Emil Abdullaiev als Jago, Gefolgsmann von Silva.

Beltrami, vor schwierige Herausforderungen gestellt, erwies sich einmal mehr nicht nur als wunderbarer Sängerbegleiter und Retter in der Not, sondern spornte das Orchestra della Fondazione Teatro Coccia, das mit dem Konservatorium der Stadt zusammenarbeitet, um dem Nachwuchs zu Erfahrung zu verhelfen, zu einem Schwung und Klang an, die Verdis meisterlichem Frühwerk jederzeit gerecht wurde. Auch der von Jacopo Facchini einstudierte Coro Sinfonico di Milano Giuseppe Verdi trug sein Teil zum Erfolg bei.

Dieser war stürmisch, mit viel Zwischenbeifall und Ovationen am Ende.

Eva Pleus 21.10.19

Bilder: Foto Finotti