Guido Cantelli wurde am 27. April 1920 in Novara geboren und studierte ab 1939 am Mailänder Konservatorium bei Antonino Votto (der auch Riccardo Mutis Lehrer war) Orchesterleitung. Nachdem er 1943 sein Diplom gemacht hatte, debütierte er mit „La Traviata“ am Teatro Coccia in seiner Heimatstadt. Dann wurde er zum Kriegsdienst einberufen und in der Nähe von Stettin in ein Arbeitslager gesteckt. Nach seiner Rückkehr nach Italien in einem Zustand schwerer Unterernährung in Bozen ins Krankenhaus gebracht, floh er von dort und schlug sich auf abenteuerlichen Wegen nach Novara durch, wo er – wie auch in Biella und Vercelli (gleichfalls im Piemont) – dirigierte. 1945 zog er nach Mailand, wo er am 27. Juli mit dem Orchester der Scala im Castello Sforzesco debütierte, wodurch es zu Engagements mit so bedeutenden Orchestern wie dem von Santa Cecilia in Rom, dem des Maggio Musicale in Florenz oder dem der RAI Turin kam. Sein erstes Scalakonzert fand am 21. Mai 1948 statt: Arturo Toscanini erkannte sofort das große Talent des jungen Mannes und wollte ihn auf dem Podium seines NBC Symphony Orchestra. Ab da entwickelte sich Cantellis Karriere blitzartig, und er nahm mit dem Londoner Philharmonia Orchestra, mit dem damals von Furtwängler bis Karajan alle bedeutenden Dirigenten arbeiteten, zahlreiche Einspielungen auf. Ab 1952 dirigierte er alle bedeutenden Orchester der USA und arbeitete mit Solisten wie Backhaus, Heifetz, Milstein, Serkin…
1956 leitete er die legendär gewordene Produktion von „Così fan tutte“ an der Piccola Scala (Schwarzkopf, Sciutti, Alva, Panerai) und wurde am 16. November des Jahres zum Musikdirektor der Scala ernannt. Am 17. dirigierte er das Orchester der Scala in einem Konzert in Novara, das sein letztes sein sollte, denn in den Morgenstunden des 23. November stürzte das Flugzeug, das ihn nach New York bringen sollte, in Paris Orly ab. Während der Begräbnisfeierlichkeiten spielte „sein“ Orchesters das Largo aus Händels „Xerxes“ vor einem leeren Podium…
Um dem so jung und tragisch verstorbenen Künstler, der mit knapp 36 Jahren schon einer der bedeutendsten Dirigenten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war und von Toscanini als sein wahrer Erbe angesehen wurde, ein Denkmal zu setzen, wurde 1961 vom Tourismusverband Novara der internationale Dirigentenwettbewerb „Guido Cantelli“ ausgeschrieben. Bis 1980 fand er alle zwei Jahre statt und brachte später so erfolgreiche Sieger wie Eliahu Inbal (1963), Riccardo Muti (1967), Ádám Fischer und Lothar Zagrosek (ex aequo 1973), Hubert Soudant (1975) und Donato Renzetti (1980) hervor. Dann war der Bewerb für 40 Jahre sanft entschlafen, aber dieses Jahr wird er zum 100. Geburtstag Cantellis von Novara in Koproduktion mit dem Teatro Regio in Turin wieder aufgenommen. Warner Classics bringt dazu am 27. März in einem Schuber mit 10 CDs, ergänzt durch Interviews mit Musikern, die mit ihm gearbeitet haben, alle Einspielungen Cantellis heraus, die von den originalen Langspielplatten remasterd wurden.
Anmeldungen für Dirigenten jeglicher Nation im Alter von 18-35 Jahren vom 1. März bis 30. April 2020. Die Vorauswahl findet durch die Dirigenten Matteo Beltrami (Musikdirektor des Teatro Coccia), Jordi Bernàcer und Antonino Fogliani (Musikdirektor Festival Rossini Wildbad und Erster Gastdirigent Deutsche Oper am Rhein) auf Grund von eingesandten Curricula und Videos statt. Das Ergebnis wird am 17. Juni verlautbart.
Die Viertel- und Halbfinale finden vom 9. bis 12. September bei den Proben in Turin mit dem Orchester des Teatro Regio vor einer unter dem Vorsitz von Donato Renzetti (dem letzten Preisträger) stehenden Jury statt. Diese besteht neben den schon erwähnten Beltrami, Bernàcer, Fogliani aus Gabriel Chmura (künstlerischer Leiter der Oper in Posen und Erster Gastdirigent der Philharmonie Krakau), Nazzareno Carusi (Pianist), José Luis Gómez (Musikdirektor des Symphonieorchesters Tucson), Sebastian F. Schwarz (Intendant und künstlerischer Leiter des Teatro Regio Turin), Didier de Cottignies (künstlerischer Leiter der Philharmoniker Monte-Carlo ), Christoph Becher (Intendant des RSO Wien) und Sophie de Lint (Intendantin der Nationaloper Amsterdam).
Am 13. September wird der/die Preisträger/in beim Finale in Novara ermittelt. Die Konkurrenten interpretieren dabei das Programm, das Cantelli in seinem letzten Konzert leitete: Die Symphonie Nr. 1 von Johannes Brahms, La Valse von Maurice Ravel und Don Juan von Richard Strauss.
Die Siegesprämie beträgt € 12.000, ergänzt durch Verträge für bedeutende internationale Orchester. Der Preis der Kritik, verliehen von 5 wichtigen italienischen Musikkritikern, beträgt € 3.000; dazu kommen der vom Konservatorium „Guido Cantelli“ Novara ausgelobte Preis von € 2.000 und ein Preis von 1.000 Euro, den junge Studierende dem Dirigenten verleihen, der sie durch sein Auftreten am meisten überzeugt hat.
Steht zu hoffen, dass diese Wiederaufnahme nach 40 Jahren eines bedeutenden Wettbewerbs einen/eine Sieger/in hervorbringt, der/die in die Fußstapfen seiner/ihrer Vorgänger zu treten vermag.
Eva Pleus 14.2.20