Sevilla: „Sarka“ / „Cavalleria Rusticana“

31.10.2012, 05.02.2013

Raritäten im Teatro de la Maestranza

Pedro Halffter, künstlerischer und musikalischer Leiter des Teatro de la Maestranza (Sohn des berühmten spanischen Komponisten Cristóbal Halffter und auch selber Komponist) liebt besonders die Raritäten. Er hat zum Beispiel die spanischen Premieren von Schrekers Der ferne Klang, Busonis Turandot und Doktor Faust, Zemlinskys Der Zwerg oder sogar der Schweigsamen Frau von Richard Strauss organisiert. Er eröffnete die Saison 2012/13 mit Massenets Thaïs in der bekannten Inszenierung der Schwedin Nicola Raab aus Göteborg, die vor einigen Monaten im Palau de les Arts in Valencia zu sehen war und die die berühmte Sünderin aus Ägypten als eine Art Primadonna der Belle Époque zeigt. Die Inszenierung funktioniert ziemlich gut und ist sehr theatralisch in ihrem Spiel zwischen Traum und Realität.

Wie dort war auch hier der unverwüstliche Plácido Domingo in der männlichen Hauptrolle des Athanaël zu sehen und zu hören. Es ist bekanntermaßen eine Bariton-Rolle, aber solche Kategorien spielen bei ihm in dieser Phase seiner Karriere keine Rolle. Er hat eine so große Persönlichkeit, dass er alle scheinbaren Barrieren überwinden kann. Auf der anderen Seite verzichtet er nicht auf jugendliche Akzente, und sein Prophet nähert sich sehr an einer seiner Paraden-Rollen im französischen Fach wie der Samson.

In Sevilla werden die Besetzungen besonders gepflegt, und so konnten wir auch von der Kunst der jungen Sopranistin Nino Machaidze profitieren. Vielleicht hat sie nicht die erotische Ausstrahlung für die Titelrolle, aber sie zeigte eine sehr kultivierte Gesangslinie mit schönen piani. Sehr gut die anderen Rollen, besonders Antonio Gandía (Nicias), Stefano Palatchi (Palémon), Micaëla Oeste (Crobyle) und Marifé Nogales (Myrtale/Albine). Eric Crambes spielte sehr stimmig das Violinsolo in der Méditation, und Pedro Halffter wusste am Pult eines bestens disponierten Orchesters die delikaten Farben der Partitur sehr schön zu zeigen.

SARKA
Foto: Guillermo Mendo/Teatro de la Maestranza

Eine Rarität ist zweifellos die erste Oper Janáceks, Sárka, eine heroische große Oper (trotz der Dauer von nur ca. 80 Minuten), die auf einem tschechischen Text von Julius Zeyer beruht (der wiederum auf seinem gleichnamigen Drama basiert). Als der hochgeehrte Antonin Dvorák im Jahre 1887 sich weigerte, die Musik dafür zu schreiben, wagte dies Janácek. Aber das Stück blieb bis zum 11. November 1925, dem 70. Geburtstag des Komponisten, im Nationaltheater Brünn unaufgeführt. Für diesen Anlass übernahm Janácek allerdings eine starke Revision. Das Ergebnis war eine sonderbare Mischung zwischen der spätromantischen, sehr stark von Dvorák geprägten Sprache des jungen Komponisten und dem deklamatorischen Stil seiner szenischen Hauptwerke ab Jenufa. Es gibt sehr schöne Stellen, vor allem im lyrischen Bereich (und auch in der Behandlung des Orchesters und des Chores), aber man merkt, dass der Komponist sich nicht ganz wohl fühlte mit dieser Geschichte einer legendären Amazone, die mit Liebe auf ihre Keuschheit antwortet und dadurch ihr Leben verliert.

Die deutsche Sängerin Christina Carvin bewältigte sehr gut die Hauptrolle, die einen hochdramatischen Sopran verlangt – eine Art slawische Brünnhilde. Auch der Tenor Roman Sadnik als ihr Liebhaber Ctirad und Mark S. Doss als König Premysl, Witwer der legendären Lönigin Libuse, die gerade gestorben ist, überzeugten.

Cavalleria rusticana Foto: Guillermo Mendo/Teatro de la Maestranza

Im zweiten Teil des Abends kehrten wir zurück zum großen Repertoire mit Cavalleria rusticana – ein Stück das zur gleichen Zeit entstanden ist, aber sehr verschiedene ästhetische Ziele hat. Der berühmte italienische Filmregisseur Ermanno Olmi hat diesen Unterschied sehr markant herausgearbeitet, indem er den düsteren Norden (eine Landschaft, die sehr gut zu Wagners Ring passen würde) mit dem sonnigen Süden kontrastierte. Die ganze Bühne bekam hier die Breite einer Leinwand, und die sizilianischen Leute bewegten sich wie Figuren in einem Lichtspiel. Alle Handlungen wurden von allen beobachtet und kontrolliert, und es gab eine starke religiöse Komponente, die in Form eines großen Kreuzes symbolisiert war – ein starkes Symbol, vom italienischen Bildhauer Arnaldo Pomodoro konstruiert. Dieses (wir sind in der Nachkriegszeit) bestand aus denselben Waffen, die in Starka benutzt wurden. So ergab sich ein deutlicher Zussammenhang zwischen den zwei Werken. Die Produktion stammt aus dem Teatro La Fenice di Venezia , wo sie 2009 gezeigt wurde.

Dolora Zajick ist eine immer noch imponierende Santuzza, vor allem im der Mittellage und in der Tiefe und natürlich im Ausdruck. Trotz einer starken Erkältung zeigte José Ferrero als Turiddu, dass er eine der größten Hoffnungen im lyrischen spinto-Fach unter den spanischen Tenören ist und diese Rolle, in der er die üblichen Macho-Äußerungen vermied, sehr gut zu ihm passt. Mark S. Doss als Alfio überzeugte mehr als Schauspieler denn im Gesang, Alexandra Rivas war eine solide und schöne Lola und Viorica Cortez als Mamma Lucia zeigte die letzten Reste einer Stimmlegende.

Der Madrider Dirigent Santiago Serrate, enger Mitarbeiter Pedro Halffters, fühlte sich offensichtlich wohler bei den üppigen Klangwogen des Janácek als bei den italienischen Kantilenen, obwohl er in beiden Stücken gute Impulse sowohl vom Real Orquesta Sinfónica de Sevilla als auch vom Chor der Asociación de Amigos del Teatro de la Maestranza bekam.

Rafael Banús

Redaktion: Bernd Hoppe / 27.2.13