Bergamo: „Ginevra, regina di Scozia“

Teatro Donizetti 16.6.13

Zu den “Opfern” der im Schatten des Verdi-Wagner-Jahres stehenden Komponisten gehört auch Johann Simon Mayr (1763-1845), dessen 250. Geburtstag heuer angefallen ist. Es war nur zu richtig, dass in Bergamo in Zusammenarbeit mit der Mayr-Gesellschaft Ingolstadt des bayrischen (auf Giovanni Simone umbenannten) Meisters gedacht wurde, denn außer seinen zahlreichen seinerzeit überaus erfolgreichen Werken bildet aus heutiger Sicht die Tatsache, dass er der Lehrer von Gaetano Donizetti war, eines seiner bedeutendsten Verdienste. Dazu ist zu sagen, dass sein Unterricht für Donizetti nicht nur im Rahmen der Belehrung besonders bedürftiger Schüler (wie der kleine Donizetti einer war) stattfand, sondern dass Mayr sehr rasch Donizettis Talent erkannte und unermüdlich förderte. Sein Schüler war ihm lebenslang dankbar dafür.

Zum Gedenken an Mayr wurde also in konzertanter Form seine „Ginevra“ gegeben, deren Libretto von Gaetano Rossi stammt und sich, wie so viele des ausgehenden 18. Jahrhunderts („Ginevra“ wurde 1801 in Triest uraufgeführt), einer Episode aus Ariostos „Orlando furioso“ bedient. Barockliebhaber kennen die Geschichte aus Händels „Ariodante“: Der Held Ariodante (seinerzeit von einem Kastraten, heute von einem Mezzo interpretiert) fällt auf den teuflischen Plan des (wie damals üblich von einem hohen Tenor interpretierten und in Ariodantes Geliebte Ginevra verliebten) Bösewichts Polinesso herein: Ariodantes geliebte Ginevra scheint sich vor seinen Augen dem Polinesso hinzugeben, aber was er sieht, ist die als Ginevra verkleidete, in Polinesso verliebte Dalinda. Ariodante ertränkt sich darauf hin, sein Bruder Lucarnio verlangt Rache für diesen Tod und somit die Verbrennung Ginevras. Es geht, wie es in der Barockoper gehen muss: Spannung bis zum Schluss, als Ariodante erscheint, der den Fluten entkommen ist und Polinesso im Zweikampf um die Unschuld Ginevras besiegt. (In anderen Versionen dieser Episode stirbt Polinesso eines gerechten Todes, hier genügt ihm die Bitte „Scordate i falli miei e felice il cuor sarà“, um in den Reigen der Beglückten aufgenommen zu werden). Allgemeiner Jubel beschließt das Werk.

Diese Oper verlangt hohe, ja höchste Virtuosität, und hier stoßen wir – wie sie oft bei sogenannten Ausgrabungen – auf das Hauptproblem: Es bräuchte allererste Virtuosen, um diese Opern zum Leben zu erwecken, während wir bei diesem Gastspiel einige mehr als passable Interpreten erlebten und andere, deren Niveau bei derartigen Titeln nicht mithalten konnte.

Von den unbestreitbar positiven Komponenten dieses Gastspiels ist aber zunächst der Dirigent George Petrou zu nennen, der das Münchner Rundfunkorchester zu einer absolut originär klingenden, nie langweiligen Wiedergabe führte. Auch der Männerchor des Heinrich Schütz-Ensembles Vornbach unter der Leitung von Martin Steidler erwies sich als kompetent für seine recht umfangreichen Einwürfe.

Nicht so gut stand es um die Solisten: In der Titelrolle ließ Myrtò Papatanasiu zwar eine geläufige Gurgel und auch expressive Gestaltung hören, aber die nicht wenigen sovracuti klangen überaus schrill. Die beste Leistung des konzertanten Abends kam von Anna Bonitatibus, die mit ausgeglichenem Mezzo dem Ariodante starkes Profil verlieh. Auf der Habenseite auch Stefanie Irányi als nachdrücklicher Lurcanio und Magdalena Hinterdobler als erfreulich schönstimmige Dalinda. Um den Rest der Besetzung sah es nicht gut aus: Peter Schöne (als Ersatz für den angekündigten Kay Stiefermann) war als Ginevras Vater zwar im Besitz eines passablen Basses, aber Stimmführung und Aussprache waren Lichtjahre von dem dargebotenen Werk entfernt. Es schmerzt, die Leistung von Mario Zeffiri (Polinesso) negativ beurteilen zu müssen, denn er bemühte sich sehr um Nuancen, vor allem auch in den „beiseite“ gesungenen Rezitativen, aber die für den seinerzeitigen Star Giacomo David geschriebene Rolle geht weit über seine stimmlichen Möglichkeiten hinaus. Der schottische Großeremit wurde vom Chormitglied Virgil Mischok in vertretbarer Qualität gesungen, während Marko Cilic als Vafrino, dem immerhin die Auflösung der Intrige zusteht, in keinem noch so schwachen Laienensemble Unterschlupf fände.

Fazit: Die Mayr-Leute taten ihr Bestes, das Werk ist interessant, aber ohne erstklassige Virtuosen bliebt es eins unter vielen.

Eva Pleus