Bergamo: „Il castello di Kenilworth“

Teatro Sociale 24.11. (Premiere)

Donizetti und Elisabeth von England

Gaetano Donizettis 1829 zwischen den Buffoopern „Il giovedì grasso“ und „ I pazzi per progetto“ entstandenes Werk ist das erste, das sich mit der Figur von Elisabeth von England befasst. Schon 1830 sollte „Anna Bolena“ folgen, die bekanntlich Elisabeths Mutter war, und die „jungfräuliche Königin“ trat dann in „Maria Stuarda“ als Gegenspielerin der schottischen Prätendentin auf den Thron auf, um in „Roberto Devereux“ im Mittelpunkt zu stehen.

Die Handlung dreht sich, so wie in Rossinis 1819 uraufgeführter „Elisabetta, regina d’Inghilterra“, um die Beziehung Elisabeths zu ihrem Favoriten, dem Grafen Leicester. Diese Figur ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seiner heimlich angetrauten Gattin Amelia und seiner Rolle als Favorit, die ihn hoffen lässt, als Gemahl Elisabeths König von England zu werden. Sehr gut stellt sich diese wankelmütige Figur im Libretto von Andrea Leone Tottola nicht dar, denn Leicester ist bereit, die Gattin vor Elisabeth zu verstecken und sie damit seinem Gefolgsmann Warney auszuliefern, den – ein Jago in nuce – alle für einen Ehrenmann halten, während ihn böse Gelüste nach Amelia quälen. Von ihr empört zurückgewiesen, schreckt er vor einem Giftanschlag auf sie nicht zurück, der im letzten Moment durch die treue Kammerfrau Fanny vereitelt wird.

Die ursprünglich „Elisabetta al castello di Kenilworth“ genannte Oper geht wie so viele andere jener Zeit auf einen Roman von Walter Scott zurück, der von Gaetano Barbieri 1823 dramatisiert und die Basis für Donizettis Arbeit wurde. Man würde annehmen, dass die krude Handlung (wie im Roman und auch im Stück) zu einem für Amelia tragischen Ende führt.

Allerdings wurde die Oper für die Uraufführung in Neapel anlässlich des Geburtstags der Königin Maria Isabella von Bourbon geschrieben, womit laut königlichem Erlass nach dem unglücklichen Ausgang von Donizettis „Il paria“ ein Happyend vorgeschrieben war. Somit ist die Handlung dramatisch bis zum Schluss, mit Zornesausbrüchen der Königin, die das Schlimmste erwarten lassen und Intrigen vonseiten Warneys und seines Helfershelfers Lambourne, die alle Beteiligten ins Unglück stürzen würden. Am Schluss erscheint aber die fast zu Heiligkeit erhöhte Elisabeth und verzeiht allen, wie es in der Barockoper üblich war.

Musikalisch hatte sich Donizetti weitgehend von Rossinis Vorbild befreit und den vier Hauptrollen zahlreiche von Nummern der Romantik beherrschte Stellen geschrieben. Vor allem Amelia ist eine von Tragik umwehte Figur wie sie in den Vorstellungen der die Romantik einläutenden Künstler präsent war. Hingegen entsprach es den traditionellen Gepflogenheiten, dass der Bösewicht einem Tenor anvertraut war. (Donizetti schrieb die Rolle allerdings schon für die Wiederaufnahme 1830 für Bariton um).

Die Spanierin Maria Pilar Pérez Aspa, Schauspielerin und Regisseurin, sah sich ihrer ersten Inszenierung einer Oper gegenüber, die mir durchaus als Glücksgriff erschien. Das Bühnenbild von Angelo Sala war spartanisch und vermochte dennoch den verschiedenen Szenen gerecht zu werden. Für Elisabeths Auftritte genügte es, einen Teppich auszurollen, Amelias erzwungenes Versteck war ein Käfig, die Einsamkeit der Königin nach ihrem Verzicht auf Leicesters Liebe wurde gezeigt, indem zwischen ihr, dem Chor und den Solisten ein Holzgitter niederfuhr. Auch die Kostüme von Ursula Patzak waren kleidsam und charakteristisch, und wenn sich Elisabeth von der liebenden Frau in die Königin zurückverwandelte, schwebte vom Schnürboden eine Prunkrobe herunter, die der ihr „übergestülpten“ Aufgabe entsprach. Auch die Beleuchtung von Fiammetta Baldiserri trug zur starken Atmosphäre bei.

Das Orchestra Donizetti Opera wurde von Riccardo Frizza mit großem Schwung geleitet, doch legte der Maestro auch auf eine sorgfältige Sängerbegleitung Wert. Als stimmlich standfest und von der Regisseurin geschickt geführt erwies sich der Coro Donizetti Opera, einstudiert von Fabio Tartari. Die Besetzung war durchgehend auf hohem Niveau. Elisabetta wurde von Jessica Pratt geradezu in einem Taumel von Koloraturen gesungen, die alle Nuancen zwischen Zärtlichkeit und größter Wut ausloteten. Die unglückliche Amelia war Carmela Remigio anvertraut, die alles andere als ein „zweiter Sopran“ war und vor allem in ihrer Beinahe-Wahnsinnsszene auf einem schrägen Tisch glänzte. Die hoch notierte Rolle des Leicester sang der 23-jährige Baske Xabier Anduaga auf beeindruckende Art und Weise. Sein lyrisch-leichtes Material erreicht die Spitzentöne mühelos und besitzt doch etwas Metall.Wenn sich der junge Mann nicht zu früh verausgabt, darf man annehmen, dass er auf den Spuren von Juan Diego Flórez wandeln wird. Ausgezeichnet war auch Stefan Pop in der zentraler gelegenen Rolle des Bösewichts Warney, dem er neben tenoralem Glanz auch die richtige Hinterhältigkeit verlieh. Der ausgezeichnete Bass Dario Russo war nachdrücklich in den Rezitativen und ließ den Hörer bedauern, dass die Rolle keine Arie hat. Federica Vitali war Fanny, die liebevolle Zofe Amelias.

Auch hier ganz große Zustimmung des Publikums.

Eva Pleus 9.12.18

Bilder: Gianfranco Rota