Turin: „Violanta“

Aufführung am 26.1. (Premiere am 21.1.)

Italienische Erstaufführung

Um das Gedenken an den Holocaust zu begehen, wurde das Werk des jüdischen Komponisten Erich Wolfgang Korngold als italienische Erstaufführung angesetzt. Der Einakter mit einer Dauer von einer Stunde und 20 Minuten wurde vom 17-jährigen (!) Korngold geschrieben, der bei der Vertonung des Librettos von Hans Müller einmal mehr nicht nur seine musikalische, sondern auch seine geistige Frühreife bewies, handelt es sich doch um eine psychologisch diffizile Handlung.

Angesiedelt im Venedig des 15. Jahrhunderts in einem Rahmen, wie ihn auch Korngolds Lehrer Zemlinsky liebte, hat sich Violanta ihrem Ehemann Simone verweigert, seit sich ihre von Alfonso, einem natürlichen Sohn des Königs von Neapel, verführte Schwester Nerina, eine Novizin, aus Scham darüber ertränkte. Sie wird sich Simone erst wieder zuwenden, nachdem er Alfonso getötet hat. Es gelingt Violanta, den umschwärmten Lebemann in ihr Haus zu locken, wo Simone verborgen auf das Zeichen zum Zuschlagen wartet. Im Laufe der Gegenüberstellung muss Violanta allerdings gestehen, dass ihr Hass gegen Alfonso eigentlich Selbsthass ist, weil auch sie ihn liebt. Der entflammte Alfonso will mit ihr fliehen, doch sie gibt Simone das vereinbarte Zeichen und empfängt den für Alfonso bestimmten Dolchstoß, indem sie sich vor den Geliebten wirft. Sterbend versichert sie Simone, sie sei nun wieder seine Frau, denn „frei bin ich von Schuld und Lust!“.

Was durchaus verstiegen klingen kann, wird von Korngold mit einem geradezu uferlosen Meer prachtvoll-sinnlicher post-romantischer Musik umhüllt, das die nervöse Erregung der Epoche (die Oper wurde 1916 in München unter Bruno Walter uraufgeführt) aufs Beste wiedergibt. Die historischen Ungenauigkeiten des Textbuchs spielen da keine Rolle, denn es geht um die dekadente Atmosphäre Venedigs, die auch der im Habsburgerreich zu fühlenden Endzeitstimmung entspricht.

Für ein derartiges Ambiente war Pier Luigi Pizzi als für Regie, Bühnenbild und Kostüme Verantwortlicher der richtige Mann. Der 89-jährige, keine Zeichen von Müdigkeit erkennen lassende, Künstler verlegte die Handlung in die Entstehungszeit der Oper und schuf eine phantastische Glitzerwelt mit einer prachtvollen Robe für die Protagonistin. Durch eine kreisrunde Öffnung im Hintergrund konnte man den Himmel erahnen: hier legten die venezianischen Barken an. Ein Stil, der perfekt zur Musik passte.

Dieser vierten von insgesamt fünf Vorstellungen ging ein kurzes Gespräch zwischen dem Intendanten und künstlerischen Leiter Sebastian F. Schwarz und dem Dirigenten Pinchas Steinberg voraus, da die „Giornata della memoria“ einen Tag später, am spielfreien Montag, stattfand. Steinberg sprach über seine in Polen von den Nazis ausgerottete Familie; dieser Moment war so stark, dass Schwarz darauf verzichtete, sich noch zu Korngold zu äußern.

Am Pult des Orchestra Teatro Regio Torino erwies sich Steinberg als fundierter Kenner der Musik Korngolds, die so viel von Richard Strauss und seinen Werken in sich aufgesogen hat. Die Titelrolle wurde von der Holländerin Annemarie Kremer mit Leidenschaft und souveränem Gesang erfüllt. Ihr runder Sopran besitzt überzeugend explodierende Spitzentöne. Ihren steifen, der soldatischen Disziplin hörigen Ehemann gab Michael Kupfer-Radecky mit geboten trockenem Bariton. Als Alfonso kämpfte Norman Reinhardt mit so mancher Höhe, wie sie von Strauss gern ungeliebten Tenören vorgeschrieben wurde, sang im Ganzen aber sehr anständig und hatte auch die richtige Physis für den Filou. Peter Sonn enttäuschte mit schwachem Tenor als Maler Giovanni Bracca, der mit weinlaubumkränztem Haar alle Beteiligten in den orgiastischen Genuss des Karnevals zu ziehen versucht. Mit schönen Mezzotönen bestach Anna Maria Chiuri als besorgte Amme Barbara. Als Magd Bice fiel die griechisch-kanadische Sopranistin Soula Parassidis positiv auf. Joan Folqué, Cristiano Olivieri, Gabriel Alexander Wernick, Eugenia Braynova und Claudia De Pian ergänzten zufriedenstellend in den Episodenrollen. Bestens auch der Klang des im Off singenden Chors des Hauses unter Andrea Secchi.

Lang anhaltender Beifall ließ auf ein beeindrucktes Publikum schließen.

Eva Pleus 5.2.20

Bilder: Edoardo Piva / Teatro Regio di Torino