Aachen: „Der Apotheker“

Premiere: 02.07.2021
besuchte Vorstellung: 03.07.2021

Haydn-Rarität

Lieber Opernfreund-Freund,

die pandemiebedingten Beschränkungen bieten die Chance, selten gespielte Werke für kleine Besetzung mit wenigen Akteuren (wieder) zu entdecken und fördern dabei so manches musikalische Juwel zutage. Lo Speziale, zu Deutsch Der Apotheker von Joseph Haydn ist so ein Edelstein, den sie nach nur zwei Live-Vorstellungen am vergangenen Wochenende nun kostenlos im Online-Stream auf der Homepage des Theaters entdecken können, auch wenn nicht jede Facette gleich stark funkelt.

Die Handlung ist rasch erzählt: Der Apotheker Sempronio möchte sein Mündel Grilletta (nicht zu verwechseln mit der DDR-Version des Hamburgers) heiraten, um an ihre Mitgift zu kommen. Die hat ihr Herz jedoch an den Apothekergehilfen Mengone verschenkt. Der arbeitet nur bei Sempronio, um Grilletta täglich nahe sein zu können, kommt aber ansonsten nicht recht zu Potte. Außerdem verkompliziert das Werben des jungen Lebemannes Volpino die Lage; beim Notartermin erscheinen Mengone und Volpino gleich als zwei angebliche Notare, die den Ehevertrag nach ihren Wünschen anpassen. Die von allen Angebetete hat die Nase voll und schickt gleich alle drei zum Teufel.

So schlicht wie die Story ist auch die Bühnengestaltung von Dorien Thomsen. Ein langer Tresen bietet die Kulisse für den Schwank, einige Fläschchen mit Arzneien und umso mehr Zeitungen, die Sempronio fortwährend liest, um sich an Klatsch und Tratsch zu ergötzen, bilden die wenigen Requisiten. Nahezu avantgardistisch muten die Kostüme von Sandra Linde an, Perücken und Make-Up muten wie eine Mischung aus Klaus Nomi und Frankensteins Braut aus dem Jahr 1935 an. Coronakonform wird von der Regisseurin Ramona Bartsch auf der Bühne penibel auf Abstand geachtet, selbst in den Liebesszenen sind körperliche Nähe oder gar Berührungen ausgeschlossen. Überhaupt hält das Theater Aachen penibel die Vorgaben bzgl. Hygiene und Abstand ein. Kontaktdaten sind bei Kartenbestellung anzugeben und das Theater erinnert nochmals aktiv per e-mail an die Rahmenbedingungen eines gelungenen Theaterbesuchs in diesen besonderen Zeiten. Mit rund 120 besetzten Plätzen ist das Haus unter den gegeben Umständen ausverkauft, das Stück ist gekürzt (der ohnehin unvollständig gebliebene Finalakt samt Versöhnung und Verlobung von Grilletta und Mengone fehlt), damit man ohne Pause und unter einer Stunde spielen kann – und so kommt der Schluss dann recht abrupt und ohne musikalisches Finalbrimborium daher.

Musikalisch entfachen das Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung des Australiers Benjamin Bayl einen originellen, harmonisch spannenden Melodienreigen in bester Buffomanier, der sich durchaus zu entdecken lohnt, und die vier Protagonisten sind mit viel Herzblut und ansteckender Spielfreude bei der Sache. Schade, dass Marcel Oleniecki in der Titelrolle zu Beginn bei Intonation und Koloraturen ein gewisses Maß an Präzision vermissen lässt und erst in der zweiten Hälfte mit seiner großen Arie begeistert – das macht er allerding mit dem größten komödiantischen Talent des Abends wett. Der klanglich ausgewogene Spieltenor von Hyunhan Hwang macht ebenso Lust auf mehr wie die samtenen Töne von Mezzosopranistin Rosha Fitzhowle in der Hosenrolle des Volpino. Mit viel Gefühl und zahlreichen klanglichen Nuancen gibt Anna Graf die Grilletta und komplettiert so das junge Ensemble.

Falls Sie, lieber Opernfreund-Freund, selbst sehen und hören wollen, werden Sie hier fündig: https://www.theateraachen.de/de_DE/apotheker

Ihr
Jochen Rüth

05.07.2021

Die Fotos stammen von Carl Brunn.