Das Theater Aachen feiert sein 200jähriges Bestehen mit einer Neuproduktion von Mozarts Zauberflöte und ehrt auf diese Weise den großen Baumeister Karl Friedrich Schinkel, der zusammen mit Peter Cremer den Theaterbau plante und dem das Theater den klassizistischen Portikus zu verdanken hat, der wie ein Wunder auch die Zerstörung des Aachener Theaters im 2. Weltkrieg überdauert hat. An Schinkel soll nun in der Neuinszenierung von Mozarts Geniestreich durch Regisseurin Geertje Boeden dadurch erinnert werden, dass sich Bühnenbildner Tim Berresheim durch die Zauberflöten-Bildentwürfe Schinkels von 1815 inspirieren ließ, die dieser für eine Berliner Aufführung erstellt hatte. Und so erstrahlt dann z.B. in der Tat der berühmte Sternenhimmel beim Auftritt der Königin der Nacht im 1. Akt, die aus schwindelerregender Höhe gleichsam aus dem Himmel herabschwebt, wir erleben als Bühnenhintergrund in Videoanimationen herrschaftliche Tempelanlagen, die an die Akropolis mit dem Parthenon oder an Ephesos erinnern, wir werden nach Ägypten entführt, wenn es darum geht, Palast und Palastgarten von Sarastros Reich zu illuminieren, sehen die Nillandschaft mit Chimären wie der Sphinx und staunen nicht schlecht, dass in diesem Ambiente plötzlich mit dem Bahkauv auch ein Aachener Wahrzeichen und Fabelwesen auftaucht.
Die ägyptische Symbolik begegnet auch in den Kostümen Sarastros und seiner Priester, z.B. in der großen Fächerkopfbedeckung und dem plissierten Kragen Sarastros, die auf den Sonnengott Re verweisen. Die ungemein phantasievollen Kostüme (Sarah Antonia Rung) tragen im Übrigen dem Prinzip der starken Kontrastierung Rechnung, das für Mozarts Oper essentiell ist, denken wir nur an die Gegensätze von Tag und Nacht, Gut und Böse, märchenhaften Zügen und tief ernsten, philosophischen Aussagen, Menschenwelt und Tierwelt und vielerlei dergleichen mehr. Sarastros Tag Welt ist hell, die Welt der Königin der Nacht ist dunkel und düster. In beiden Reichen leben seltsame, animalische Mischwesen. In Sarastros Welt erinnern sie an Reptilien, Sarastro und seine Priester selbst tragen Echsenschwänze, das Reich der Königin der Nacht bevölkern demgegenüber Quallen artige, eher der dunklen Tiefsee zuzuordnende Gestalten, während Papageno und Papagena in ihrem peppig bunten Outfit als Eulen-Menschen auftreten. Nur Taminino ist wahrer Mensch, wie es ja auch Sarastro in seiner berühmten Antwort „Mehr! Er ist ein Mensch“ postuliert. Als zusätzliche Chimären tänzeln auf der Bühne die Zauberflöte und das Glockenspiel, womit noch deutlicher werden soll, dass es in der Zauberflöte wie schon in Vorgängeropern wie Glucks Orfeo ed Euridice um die Kraft der Musik geht, die geeignet ist, auch Gewalt und Bösartigkeit in die Schranken zu weisen. Immer wieder tanzen deshalb auch in den Videoclips an entscheidenden Stellen der Handlung Noten über die Tempelanlagen und Landschaftsbilder. Auch die drei Knaben, die in dieser Inszenierung zunächst als singende Wolken eingespielt werden, dann aber leibhaftig Papagena und Papageno vor dem Freitod bewahren, sind Mischwesen aus Frosch und Spinne. In der Vorankündigung der Aachener Oper heißt es zusammenfassend, dass Tim Berresheim mit überbordender Fantasie und computerunterstützter Kunst mystisch-verdrehte Welten zwischen rankender Natur, Tempeln und Sternenhimmel geschaffen habe. Dem wird man gerne zustimmen, wenn sich auch beim Betrachter bisweilen das Gefühl eines Zuviels und der Eindruck einstellen, dass der ernste, würdevolle und aufklärerische Hintergrund der Zauberflötenhandlung mit seinen Bezügen zu dem freimaurerischen Gedankengut gegenüber den komödiantischen Turbulenzen doch arg in den Hintergrund gedrängt wird.
Dass z.B. die Figur des Sprechers eher als dümmlich und vorwitzig hingestellt wird und für slapstickartige Späße herhalten muss, befremdet doch sehr. Puristen werden sich auch daran stoßen, dass der Originaltext Schikaneders nur den älteren Figuren in den Mund gelegt wird, während die Vertreter der jüngeren Generation eine eher saloppe Alltagssprache verwenden. Das Regieteam sieht hierin eine Möglichkeit, den Generationenkonflikt zu verdeutlichen: Tamino und Pamina wollen sich nicht in die Ränkespiele der Erwachsenen einlassen, sie wollen selbst darüber entscheiden, was gut und böse ist. Ganz überzeugend scheint dieser Kunstgriff einer Implementierung verschiedener Sprachebenen nicht zu sein. Manch Gesagtes wirkt dadurch doch allzu banal. Dennoch bleibt festzuhalten, dass in Aachen eine phantasievolle Inszenierung voller Einfälle, schöner Bilder und erlesener Kostüme zu sehen ist, die vom Publikum frenetisch bejubelt wird. Musikalisch kann die Aachener Zauberflöte trotz einiger schmerzhafter Schnitte und Auslassungen in vielerlei Hinsicht punkten. GMD Christopher Ward legt mit dem Sinfonieorchester Aachen eine in jeder Hinsicht spritzige und spannungsreiche Interpretation der herrlichen Musik Mozarts vor. Das wird schon in der Ouvertüre deutlich, zeigt sich dann aber vor allem auch in der Orchesterbegleitung der Arien und Duette, die durch zügige Tempi und Akzentuierungen eine ganz neue Frische und einen neuen Anstrich erhalten. So konnte sich auch die spanische Sopranistin Laia Vallés als großartige Pamina in ihrer Arie Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden als selbstbewusste junge Frau präsentieren, die ihr Schicksal mutig selbst in die Hand nimmt.
Laia Vallés, die beim Tenor-Viñas-Wettbewerb 2022 drei Sonderpreise gewann, nämlich den der besten spanischen Sängerin, den Publikumspreis und einen Sonderpreis, wurde für ihre formidable Gesangsleistung vom Publikum zu Recht ganz besonders gefeiert. Ángel Macias als Tamino verfügt über einen samtweichen Tenor, der vor allem in der Mittellage wunderschön klingt. Da stört es kaum, dass die Stimme in den hohen Lagen bisweilen eher etwas verdeckt und angestrengt wirkt. Alma Ruoqi Sun, die seit der Spielzeit 2023/24 dem Internationalen Opernstudio der Staatsoper Stuttgart angehört, brillierte als Königin der Nacht vor allem mit gestochenen Koloraturen in ihren beiden Arien, die im ersten Fall mit den Sternen im Sternenhimmel Schinkels um die Wette funkelten. In der Mittellage wünschte man sich vielleicht ein wenig mehr Farbe und Wärme in der Stimme. Jorge Ruvalcaba präsentierte sich als ungemein spielfreudiger Papageno mit eher schlankem, jugendlichem Bariton und erfüllte damit genau die Erwartungen, die man bei der Verkörperung dieser Rolle hegt. Die beiden Basspartien des Sarastro und des Sprechers waren bei SungJun Cho und Ronan Collett in den besten Händen, und auch Evelyn Grünwald als Papagena und Andreas Jost als Monostatos füllten ihre Partien rollendeckend aus. Opernchor Aachen und Extrachor Aachen überzeugten in der Einstudierung durch Jori Klomp auf der ganzen Linie. Das Publikum feierte alle an der Aufführung Beteiligten mit enthusiastischem, nicht enden wollendem Beifall. Der Wunsch des Theaters Aachen, das 200jährige Bestehen mit einer ganz besonderen Opernproduktion zu feiern, die Erwachsene, Jugendliche und Kinder in gleichem Maße in ihren Bann schlägt, ist in vollem Maße aufgegangen. Glückwunsch!
Norbert Pabelick 10. Dezember 2024
Die Zauberflöte
Wolfgang Amadeus Mozart
Theater Aachen
8. Dezember 2024
Inszenierung: Geertje Boeden
Dirigat: Christopher Ward
Sinfonieorchester Aachen