Wien: „Halka“, Stanisław Moniuszko

22.12.2019, (Premiere am 15.12.)

„Einspringerin“ Ewa Vesin rettet die Aufführung

Manchmal verkehrt sich die Absage der Interpretin der Titelrolle, der US-Amerikanerin Corinne Winters, durch Direktor Roland Geyer in ihr glückliches Gegenteil. Aus Polen wurde Ewa Vesin eingeflogen, die diese Partie im Februar des kommenden Jahres am Teatr Wielki Opera Narodowa in Warschau, mit dem das Theater an der Wien koproduzierte, singen wird. Und es ist mehr als nur ein glücklicher Zufall, denn sie hatte die Rolle der Halka bereits in ihrem Repertoire. In groben Zügen war ihr auch das Regiekonzept von Mariusz Treliński bereits bekannt, denn die Sopranistin kam erst zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn in Wien an. Und sie hielt sich den ganzen Abend über wacker, lediglich in der letzten Szene waren ein paar in englischer Sprache wiedergegebene Anweisung, wie “back“ zu hören, worauf die Sängerin letztlich langsam zum Bühnenhintergrund gehend, ausgeblendet wurde. Zurück blieb der gebrochene Janusz, der sie einst geschwängert und dann verlassen hatte.

Mit der szenischen Aufführung der Halka kann das Theater an der Wien sowohl die österreichische Erstaufführung am 15.12.2019 als auch die erste in polnischer Sprache im deutschen Sprachraum auf seine Fahnen heften. Die Volksoper wiederum kann für sich die erste deutschsprachige Aufführung der Halka im deutschen Sprachraum im Jahr 1926 reklamieren. Der Anlass ist gut gewählt, denn Stanisław Moniuszko feiert heuer seinen 200. Geburtstag. Mit Halka wird übrigens erstmals eine Frau aus der sozialen Unterschicht, eine Leibeigene, zur Heldin einer tragischen Oper, wodurch eine nicht unbedeutende soziale Kritik in den zeitgenössischen Kontext der Oper einfloss. Der vom Film kommende polnische Regisseur Mariusz Treliński verlegte die um 1770 nahe Krakaus spielende Handlung der Oper in ein Hotel im kommunistischen Polen der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Dort verfolgt das Stubenmädchen Halka ihren von Gewissensbissen gepeinigten Geliebten Janusz, der seine Rückgratlosigkeit in Alkohol zu ertränken sucht und die reiche Zofia heiratet. Was aber nicht funktioniert und das hat der Regisseur offenbar übersehen, ist der in adeligen Kreisen herrschende kirchenrechtliche Grundsatz des „aut duc aut dote“, der so viel bedeutete wie „heirate oder bezahle“ (für das uneheliche Kind, den sog. „Kegel“). Und dieser Aspekt wird in der Oper vorgeführt, denn Janusz gibt Jontek Geld für die hochschwangere Halka. Am Ende der Oper ertränkt sich Halka. Und dieses Ende wird pantomimisch bereits während der Ouvertüre vor Beginn der Oper und nach der Pause durch Polizisten angedeutet, die den Tatort vermessen und mit Taschenlampen nach Indizien suchen. Dieser Tatort auf der ständig im Einsatz befindlichen Drehbühne eröffnet den Blick auf ein Hotel mit Festsaal und Küche (Bühnenbild: Boris Kudlička), dessen Glasarchitektur den Räumen Transparenz verleiht und in welchem die Landbevölkerung einer Hochzeitsgesellschaft in Glockenhosen mit Plateaustiefeln in poppigen T-Shirts und uniformen blonden Perücken gewichen ist (Kostüme: Dorothée Roqueplo).

Łukasz Pycior kreierte dieses Blondhaar- und Make-up-Design. Tomasz Wygoda steuerte eine flotte Choreographie der Polonaise bei. Marc Heinz leuchtete die Szene ein und Bartek Macias ergänzte die Inszenierung mit düsteren Videoeinspielungen. Mit der Überraschung des Abend, Ewa Vesin, als „Einspringerin“ in der Titelrolle war eine Sängerin zu erleben, die vom gefühlvollsten piano bis zum gewaltigen dramatischen Ausbruch im forte jede Facette dieser geschundenen Frau durch ihren lupenreinen, perfekt geführten Sopran zum Erstrahlen brachte. Flankiert wurde sie bei ihren bühnenbeherrschenden Auftritten von den derzeit wohl besten polnischen Opernsängern: Piotr Beczała als Jontek bestach durch seinen brillant in allen Lagen erstrahlenden Tenor und noblem Aussehen. Sein Gegenspieler in der bösen Rolle des Janusz war Tomasz Konieczny, dessen Heldenbariton sich an diesem Abend perfekt zu einem polnischen Trio der Superlative gesellte.

Der russische Bassist Alexey Tikhomirov reüssierte als Brautführer Stolnik, während seine Tochter Zofia von der polnischen Mezzosopranistin Natalia Kawałek sich gegen Ende der Oper als mitleidensfähige Rivalin von Halka entpuppte. Als Hotelchef Dziemba fungierte eher unauffällig der polnische Bassist Łukasz Jakobski. Der serbische Bassbariton Sreten Manojlović ergänzte noch in der kleinen Sprechrolle des Dudziarz (Dudelsackpfeifer). Zum großen Erfolg des Abends trug wie gewohnt der von Erwin Ortner bestens einstudierte Arnold Schönberg-Chor bei. Das RSO-Orchester unter der umsichtigen Leitung von Łukasz Borowicz konnte an diesem Abend sowohl die polnische Volksmusik der Partitur von Moniuszko, als auch dessen gefühlvolle wie dramatische Passagen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl zelebrieren. Geraucht wurde auf der Bühne ziemlich viel, wir erinnern uns an die 70er Jahre, wo viele, so auch der Rezensent, diesem „Laster“ ausgiebigst frönten. Zusammenfassend kann man sagen, dass Piotr Beczała, Ewa Vesin und Tomasz Konieczny vom Publikum zu Recht mit Szenenapplaus bedacht und am Ende der Vorstellung sogar mit Bravorufen geadelt wurden. Die übrigen Sänger erhielten ebenfalls gebührenden Applaus und auch der Arnold-Schönberg-Chor und der Dirigent. Ein schöner langer Abend, der viel zu schnell verfloss.

Harald Lacina, 24.12.2019

(c) Monika Rittershaus bzw. Teatr Wielki Opera Narodowa, Warschau (Ewa Vesin)