Wien: „La vestale“, Gaspare Spontini

23.11. (Premiere am 16.11.)

Ein musikalisches Juwel, äußerst sorglos aufbereitet…

Das Erfreuliche zuerst: Spontinis tragédie lyrique in drei Akten nach einem Libretto von Victor-Joseph Étienne de Jouy (1764-1846), die am 15.12.1807 an der Pariser Académie impériale de Musique uraufgeführt wurde, fand an diesem Abend in musikalischer Hinsicht durch das spannende wie schillernde Dirigat von Bertrand de Billy am Pult des Orchesters der Wiener Symphonikern eine packende Wiederbelebung. Und das völlig zu Recht, erlebte die Oper alleine am Ort ihrer Uraufführung noch mehr als 200 Aufführungen. Die Handlung könnte man als einen altrömischen „Romeo und Julia“-Plot, nur mit Happyend, beschreiben. Zu den Hauptaufgaben einer römischen Priesterin der Göttin Vesta gehörte es, das Herdfeuer im Tempel zu hüten, denn es durfte niemals verlöschen. Der mehr als unerfreuliche Teil des Abends bildete ein Großteil der verworrenen Inszenierung von Johannes Erath, der offenbar mit dem Sujet der Oper nur wenig anzufangen wusste und diese daher mit allerlei belanglosem Trash und völlig unnötigen Details aufpeppte.

Dazu gehörten zunächst einmal das Sprungbrett mit dem sogenannten Pauschen- oder Seitpferd, auf welchem Sébastien Guèze als sportlich gekleideter Cinna herumturnt und auf einer Matte auch einige Liegestütze vorführen darf. Freilich waren Nachbildungen des lebendigen Pferdes schon bei der römischen Reiterei zu Vorübungen, insbesondere des Auf- und Absitzens, in Gebrauch. Aber wer weiß das heute noch außer Wikipedia und wahrscheinlich der Regisseur? Die Vestalin ist doch alles andere als eine komische Oper, in der auch nicht immer ein Gag den anderen jagen muss. Verziehen habe ich dem Regisseur noch den Einfall, eine Choristen in Verzückung auf der Bühne verweilen zu lassen, bis sie bemerkt, dass ihre Priesterkolleginnen diese schon längst verlassen haben. Die wunderschöne Ballettmusik Spontinis wäre bei geschlossenem Vorhang viel stärker zur Geltung gekommen als durch den Blick auf eine nackte Frau, die sich in einem mit Wasser gefüllten Becken zur Statue der Vesta, hier mehr als indische Variante einer Mutter Gottes dargestellt, demütig hinräkelt. Zu allem Ärger kommt noch, dass Bühnenarbeiter ständig durch die Szene wuseln und Stühle und andere Requisiten bereitstellen, um nur ja jeden Anflug romantischer Gefühle im Keime zu ersticken.

Der Opernbesucher aber wird sogleich wieder mit Brachialgewalt durch das Einblenden des berühmten S.P.Q.R., der Abkürzung für das lateinische Senatus Populusque Romanus (Senat und Volk von Rom) daran erinnert, dass die Handlung eigentlich im antiken Rom angesiedelt ist. Spätestens dann, wenn Franz-Josef Selig seinen schäbigen Anzug ablegt, um sich in den Souverain Pontife, den Pontifex Maximus, zu verwandeln, kleidet ihn Kostümbildner Jorge Jara in die Robe eines katholischen Würdenträgers (?), halb Bischof (violett) und halb Kardinal (rot), ein. Ob das aus Unkenntnis geschah, bleibt uns das Programmheft leider schuldig. Am Ende der Oper ersticht ihn jedenfalls Claudia Mahnke in der Rolle der Grande Vestale, aber keine Sorge. Als ein Blitz das ausgegangene Feuer im Vestatempel aufs Neue entfacht, geschieht noch ein zweites Wunder: Der Hohepriester darf sich wieder aus seiner Leichenstarre erheben. Apropos Feuer: Es handelt sich natürlich nicht um ein einfaches Feuer, sondern um ein übergroßes rotes Plastikherz, das die junge Vestalin Julia an sich nimmt und welches knapp vor dem Ende der etwa dreistündigen Oper wieder an seinen angestammten Platz zurückkehrt. Regisseur Erath konnte auch der Versuchung nicht widerstehen, sich gewaltsam zwischen verschiedenen Zeitebenen hin- und her zu bewegen.

Und da fügen sich dann Symbole des alten Roms, wie Helm, Brustpanzer und ein ausgestopfter Raubvogel nahtlos an den als Hippies gekleideten Chor des Schlussbildes oder die Madonnenstatue an. Die Drehbühne von Katrin Connan mit einem riesengroßen weißen Kubus in der Mitte, ergab, im zweiten Akt geöffnet, das Bild des Inneren des Vestatempels mit einer Strahlenkranzmadonna in der Mitte eines seichten Wasserbeckens stehend. In geöffnetem Zustand erweist sich diese Statue dann als Hinrichtungsmaschinerie ähnlich der sogenannten „Eisernen Jungfrau“. Elza van der Heever als Julia musste am Ende der Oper eine eigenartige Schminkszene – wohl als Vorbereitung auf den Tod (?) – über sich ergehen lassen, die ihr Gesicht zu einer clownesken Maske verzerrte. Das „Lächerlichmachen“ im Angesicht des Todes könnte vom Regisseur vielleicht dem mittelalterlichen „Teeren und Federn“ nachempfunden sein? Sie gestaltete die Rolle der Julia sehr eindringlich, in gesanglicher Hinsicht aber hörte sich ihr Sopran in der Höhe vielerorts ziemlich schrill an. Michael Spyres als ihr heimlicher Geliebter Licinius wartete mit einem vor allem in der Mittellage gut geführten Tenor auf, ebenso Sébastien Guèze als Cinna meist in Unterwäsche bekleidet mit etwas hellerem Tenor und ausgezeichneter Körperbeherrschung in den „Turnübungen“.

Claudia Mahnke bot ihren satten Mezzosopran für die Grande Vestale, die Mutter Julias, in den unterschiedlichsten Kostümen als gestrenge Herrin in Reitdress mit Peitsche, dann in Abendrobe mit Glitzerbrille und auch als Wäschermädel auf. Franz-Josef Selig gestaltete den Souverain Pontife als wahres Ekel mit seinem nicht mehr ganz frischen Bass. Dumitru Mădărăşan als wahrsagender Chef des Aruspices (Eingeweideleser) sowie Ivan Zinoviev als Consul ergänzen das Ensemble mit ihren trotz aller Kürze bühnenwirksamen Auftritten. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schönberg-Chor wartete, anders als beim Premierenabend, dieses Mal weder mit verwackelten Einsätzen noch mit kleineren Intonations-schwächen auf. Das von Bibi Abel beigesteuerte Video konnte das Regiekonzept keineswegs bereichern. Die Lichtgestaltung von Bernd Purkrabek wiederum tauchte den Zuschauerraum kurz vor der Pause für einen Moment in grelles Licht, als ob der Zuschauer sich nicht ohne dieses mit dem Holzhammer verabreichte Zeichen bewusst war, dass er oder sie Teil der geifernden, lüsternen Masse war, die Zeuge des Frevels der Vestalin war und womöglich deren Bestrafung ebenfalls herbei sehnte. Trotz einiger Abstriche gab es am Ende doch verdienten Applaus für alle Beteiligten und Brava-Rufe für die Titelheldin.

Harald Lacina, 24.11.2019

Fotocredits: Werner Kmetitsch