Premiere am 1.10.2017
Ein „hoffmannesker“ Freischütz ohne Samiel…
Es war ein verheißungsvoller, vielleicht sogar ein „großer“ Abend, den das Theater Augsburg mit einem neu formierten Ensemble unter seinem neuen Intendanten André Bücker in der neuen „Spielstätte“ im Martini-Park, die das vorübergehend stillgelegte „Große Haus“ nun wird für einige Jahre ersetzen müssen, an den Anfang der Spielzeit setzte. Ein Abend, der die Schwierigkeiten, in denen sich die Augsburger Theaterszene zur Zeit befindet, nicht nur deutlich machte, sondern sie auch mit – im besten Sinne! – Lust und Liebe, mit Begeisterung anging und folgerichtig auch beim Publikum bestens ins „Schwarze“ traf. Das muss zuerst gesagt werden, denn die Situation, in der Bücker seine Amtszeit begann, war alles andere als rosig. Sie s o zu beginnen, mit Verve und – im guten Sinne! – Trotz, spricht für den Intendanten und all seine Mitarbeiter, die bis kurz vor Beginn noch damit beschäftigt waren, aus dem „Interregnum“ einen Ort der lebendigen Auseinandersetzung zu machen, nicht zu „kleckern“ sondern zu „klotzen“ – nach vorn zu schauen, es hilft ja nichts. Mit Richard Wagner könnte man sagen: „Sie haben gesehen, was wir können, und wenn sie wollen, dann haben wir eine Kunst!“ – Augsburg wird ohne „Großes Haus“ leben lernen müssen und wird im Martini-Park interessantes Theater bieten, das kann man schon erst einmal mit voller Überzeugung so in den Raum stellen, ungeachtet der Tatsache, dass es – wie bei jeder lebendigen Theaterarbeit – auch kritische Einwände im Detail gibt.
In jenem „Martini-Park“ wurden zwei leer stehende ehemalige Fabrik- oder Messehallen in kürzester Zeit zu einem „Theater“ umgestaltet, das natürlich ein Interregnum bleibt. Die nicht sehr hohe, dafür aber „lange“ Halle wurde zu einem Theaterraum mit steil ansteigenden Sitzreihen, die Beinfreiheit bieten, auch wenn es sich nur um bescheidene Sessel handelt (die Rückenlehnen sind jedenfalls weniger strapaziös als jene im viel bewunderten Bayreuther Festspielhaus – um bei Wagner zu bleiben!). Die kolossale Länge des Raumes wird natürlich in den oberen Reihen nicht nur ein Sicht-, sondern möglicherweise auch, besonders bei den gesprochenen Dialogen – ein Hörproblem, der Raum ist glücklicherweise nicht überakustisch, eher vielleicht etwas zu trocken in seiner Akustik. Auch das lässt sich durch Erfahrung verbessern, man wird von Werk zu Werk besser damit umgehen können. Auch hier hilft nicht das Jammern, sondern die Auseinandersetzung. Augsburg ist auf einem guten Weg – und im Nachkriegsdeutschland gab es solch „bescheidene“ Räume zu Hauf, ich erinnere mich noch sehr gut an die Leipziger „Dreilinden-Oper“, die uns 15 Jahre lang in dieser Weise dienen musste; heute spricht man von einer „Ära“, jedenfalls gab es dort mehr überdurchschnittliche Aufführungen als uns die offizielle Leipziger „Theatergeschichtsschreibung“ glauben machen will. Also – ich kann die Augsburger nur ermutigen, in jeder „Beschränkung“ liegt auch eine Chance…
Der letzte „Freischütz“ wurde in Augsburg vor 35 Jahren gespielt – das ist Anspruch und Chance zugleich, übrigens macht es deutlich, dass es wenigstens zwei Generationen Besucher geben wird, die das Stück überhaupt nicht kennen! Bei einer „Oper“, noch dazu einer mit romantischer Orchesterbesetzung, interessiert natürlich zunächst die klangliche Wirkung. Dort kann man Gutes berichten, das Orchester, ebenerdig und „breit“ vor dem gelegen, was man sich zunächst geniert „Bühne“ zu nennen, klingt voll und homogen, die hervorragenden Augsburger Philharmoniker unter der sehr engagierten Leitung ihres GMD Domonkos Héja stellten nicht nur ihrer Qualität, sondern auch der Qualität des Raumes ein denkbar gutes Zeugnis aus. Man hörte keine „Klangmasse“, sondern ein sehr differenziert aufeinander eingespieltes Ensemble mit großer Homogenität, bestens disponiert in den einzelnen Gruppen, beim FREISCHÜTZ natürlich zuerst die klanglich attraktiven Hörner, aber ebenso eine sehr ausgewogene, oft schön klingende Künstlerschar mit vielen instrumentalen Details, die man gern hervorheben möchte, z. B. die wunderschöne Soloklarinette schon in der Ouvertüre, den samtenen Klang des Solocellos und besonders das gefürchtete Bratschen-Solo in der zweiten „Ännchen“-Arie, das meine außerordentliche Bewunderung verdient.
(Leider waren die Instrumental-Solisten, besonders eben jene Bratsche, nicht namentlich auf dem Personenzettel erwähnt, was ich zu korrigieren empfehle!) Der Saal ist sehr geeignet, jedenfalls geeigneter als die überakustische Kongresshalle, die mir beim OTELLO letztes Jahr besonders missfiel. Dieses Orchester und sein Dirigent schufen die Grundlage einer Opernvorstellung, von der man im musikalischen Bereich nur in Tönen höchsten Lobes sprechen kann. Dazu kamen Solisten, die – unterschiedlich im Einzelnen – ihre Partien in bewundernswerter Frische und mitoft rollendeckender Intensität und Erfahrung gestalteten, was nichts damit zu tun hat, dass sie dies schon oft taten (ich konnte nicht genau recherchieren, meine aber, dass sie fast alle diese Partien zum ersten Male sangen), was die Angelegenheit noch mehr ins Positive steigert. Mit „Erfahrung“ meine ich hier besonders, dass es einer Aufführung eben zugutekommt, wenn ein Sänger eine große sängerische Erfahrung einbringen kann; ein Max, der den Stolzing längst anerkannt gut gesungen, eine Agathe, die mit Elsa und Senta bestens vertraut ist und ein Kaspar, den die gesangliche Aufgabe nicht überfordert, weil er längst beste Erfahrungen mit Amfortas und Gunther (und dazu an großen Bühnen) hat – das kommt dem FREISCHÜTZ dann eben nicht nur zugute, sondern es macht die besondere „Klasse“ dieses Ensembles aus, zudem ich in dieser Qualität auch einen Kuno zähle, der Holländer- und Kurwenal-Erfahrungen mitbringt; ausdrücklich einschließen möchte ich eine junge Stimme, neu im Ensemble, mit einem profunden Bass als Eremit – man darf sich schon jetzt mit diesen Stimmen (Leonora, Carlos und Guardian – wenn es bei der Vorausbesetzung auf „operabase“ bleibt) auf die FORZA DEL DESTINO freuen, die Intendant Bücker im Laufe der Spielzeit inszenieren wird, ein Regisseur, der auf dem Gebiet der Oper mindestens mit seinem weithin beachteten RING in Dessau Furore gemacht hat.
Hinrich Horstkotte hat als Regisseur gar nicht erst versucht, uns einen „deutschen Wald“ und eine „Wolfsschlucht“ mit allen Finessen vorzugaukeln – auf einer Bühne, die man besser als nicht eben großräumiges Podium bezeichnen muss, der es an Ober- und Untermaschinerie mangelt und auf der man das Stück eigentlich nicht spielen kann. Horstkotte ist ein viel zu er-fahrener und oft erprobter Regisseur, der übrigens vom Kostüm- und Bühnenbild kommt, der weiß, was er will und respektiert, was das Theater, für das er arbeitet, ihm an Möglichkeiten zur Verfügung stellt. Und er besinnt sich auf gute alte theatralische Mittel, auf das Kulissen-Schieben beispielsweise, das er benutzt und mit Hilfe der technischen Mitarbeiter souverän meistert, geradezu mühelos werden da Wände verschoben, neue Bilder geschaffen und ein szenischer Ablauf garantiert, der immer wieder fesselnd ist. Mit der ihm eigenen Trick- Zeichenkunst und der alten Projektionstechnik (heutzutage natürlich als Video) schafft er zudem Abwechslung und das besondere „Flair“, das dieses Stück braucht. Es muss zwangsläufig im „Alten Forsthause“ spielen, weil der Platz für Landschaft und großflächige Dorfplätze ganz einfach fehlt.
Aber er schafft mit seinem Ideen- und Phantasiereichtum eine neue, andere Sichtweise, indem er uns die Geschichte in „Innenräumen“ erzählt, ohne dem Werk Gewalt anzutun oder den Zuschauer das der Romantik eigene „Gruseln“ vorzuenthalten. (Bühnenbild Siegfried Meyer, nach Entwürfen vom Nicolas Bovey; Kostüme Hinrich Horstkotte). Ich gehe nicht konform mit der Veränderung der Figuren-Konstellationen, die freilich auf eindeutigen Quellen basieren, das Verständnis aber leider auch erschweren. Wer, wie unsereiner, sich in der Oper auskennt, hat keine Schwierigkeiten, die „hoffmannesken“ Anklänge zu orten, die Frage mit dem Spiegelbild zu verstehen – aber: wenn Max nicht nur die eine Seite der Figur, sondern gleichermaßen als „zweite Seite“ seiner selbst auch Kaspar ist, dementsprechend der Samiel eliminiert und – mittels des Spiegelbildes –ebenfalls ein Teil von Max wird, ist das nicht nur auf den ersten Blick verwirrend, es verändert auch die dramaturgische Struktur der Personen zueinander in sehr ernster Weise. Kaspar im Übrigen leidet darunter in erster Linie, sein Motiv (im Originaltext des Werkes), Max aus Eifersucht und Missgunst ins Verderben zu stürzen, fällt weg (im Originaltext spricht Kaspar – Dialog vor der fünften Szene – vom „Wachspüppchen, das mich um deinetwillen verwarf“, meint damit Agathe und seinen „Anspruch“, als „erster Jägerbursche“, Braut und Amt erwerben zu können: das ist seine Motivation fürs Handeln an und mit Max!).
Das fällt weg, weil Max „allein“ meint, handeln zu müssen und selbst den Entschluss fasst, „das Böse“ (als seine zweite Seite) heraufzubeschwören. Ich brauchte einige Zeit, bis mir das klar wurde – versteht es der Besucher, der Zusammenhänge und Hintergründe des Originals nicht kennt? Ich hege da einige Zweifel, die aber in erster Linie dadurch bestärkt werden, weil sie die „Figur“ des Kaspar abwerten, ihn zum zweiten Ich des Max degradieren – was besonders missverständlich in seiner Arie („Schweig, damit dich niemand warnt“) wurde, wo beide im Bett liegen und man zunächst überhaupt nicht weiß, was es soll – konsequent durchgeführt bis zum Schluss, wo zunächst eine scheinbar gedoubelte Agathe herein stürzt, sich dann, als die echte Agathe erwacht, der „getroffene“ Kaspar auf die Seite des vermeintlichen Doubles robbt, um sterben zu können. Also – dort ist die Phantasie ein wenig zu weit gegangen, die ursprüngliche Fassung scheint mir überzeugender (wie immer, bei echten Meisterwerken – und der FREISCHÜTZ gehört noch immer dazu!) Das ist mein grundlegender Einwand gegen eine Aufführung, die ansonsten das Stück durchaus gut bediente und die bei den Zuschauern auch ankam. Und – des Nachdenkens wert: Heja spielt die gesamte Partitur (von Kleinigkeiten der Wiederholungen beim Brautjungfern-Abgang abgesehen – und der volle Erfolg stellt sich ein. Weshalb denken Regisseure immer, dass, wenn sie die Texte der Stücke ändern, etwas Besseres draus wird – es klappt nie!)
Für Wolfgang Schwaninger (a. G.) als Max bedeutete es eigentlich eine völlig neue Rollensicht. Er spielte das mit großer Geste und versuchte, die Angelegenheit in dieser Weise zu übersetzen. Seine hervorragende musikalische Gestaltung der Partie half ihm dabei, auch wenn ich mir die Bemerkung nicht verkneifen kann, dass es schwer vorstellbar ist, Agathe wäre auf diesen Max „versessen, kann nicht ohne [ihn] leben“ – einen intellektuellen Eigenbrötler, der (auch im Kostüm) dem E. Th. A. Hoffmann mehr gleicht, als dem „schlanken Bursch“, der da angeblich gegangen kommt… Alejandro Marco-Buhrmester stattet den Kaspar mit allen hintergründigen Mitteln im gesanglichen Part aus, bleibt szenisch unter diesen gegebenen Umständen leider – ich laste dies nicht dem Sänger an – recht im Hintergrund. Sally du Randt versteht es als Agathe einmal mehr, die Grenze zwischen Anmut und der Gefahr ins Triviale abzugleiten, zu ziehen; sie ist sachlich, wohl auch ängstlich, sicher zurückhaltend – aber so ist Agathe eben, und es ist die größte Schwierigkeit, diese Grenze dabei nicht zu überschreiten. Sie wurde vorbildlich gemeistert! Dass sie die Partie mit der Mühelosigkeit und Legatokultur, die wir seit langem von ihr gewohnt sind, meistert, versteht sich fast von selbst, dass sie ein wundervolles piano in ein sehr kerniges Forte umzuwandeln versteht (besonders in ihrer zweiten Arie) – macht sie musikalisch-sängerischzu einer erstklassigen Besetzung.
Ob der alte Cuno so Methusalem-artig erscheinen muss, wie hier, bleibe dahingestellt: Stephen Owen (a.G.) bringt stimmliche Größe ein und wäre sicher auch in der Lage, einen nicht ganz so alten Cuno zu spielen, Agathe ist immerhin seine Tochter, nicht die Enkelin! Dass ein Ännchen im FREISCHÜTZ besonders reüssiert, ist nicht neu; neu im Ensemble ist Jihyun Cecilia Lee, ausgestattet mit einer großen und technisch gut geführten Stimme, der es allerdings noch etwas an Geschmeidigkeit und edlem Glanz fehlt. Jedenfalls ist sie gut zu verstehen und hatte das Publikum zuvörderst auf ihrer Seite. Endlich hat Augsburg einen profunden Bass: Stanislav Sergeev war im Stimmlichen ein überwältigender Eremit; weshalb er gekleidet sein musste wie ein Abgesandter des Ku-Klux-Klan und warum sein Gesicht schwarz beschmiert war, hat sich mir nicht erschlossen. Der Eremit ist ganz gewiss kein Bösewicht, wer so singt, kann das gar nicht sein! Sehr sympathisch in Stimme und Gestalt war Thaisen Rusch als Kilian. An der Würde und Macht eines regierenden Fürsten etwas oberflächlich und leichtfüßig vorbeischreitend empfand ich WiardWitholt als Ottokar.
Opernchor und Extrachor des Theaters Augsburg, wie immer von Katsiaryna Ihnatsyeva–Cadek sicher vor- und klangvoll aufbereitet, hatte mit dem neuen Wirkungsort zunächst kleinere Probleme; schon im ersten Akt gab es kleinere Ungenauigkeiten, die im späteren – und sehr klangschön musizierten – Jägerchor dann allerdings doch ins Gewicht fielen. Ob man alle vier Strophen des „Jungfernkranzes“ spielen muss, mag entscheiden, wer dazu befugt ist; jedenfalls habe ich die 2. Strophe textlich so gut wie nicht verstanden. (Da das Programmheft acht Namen nennt, möchte ich nicht der falschen Dame nahetreten…)
Anzumerken wäre unbedingt, und das laste ich den Umständen mit dem neuen Raum an und will es deshalb gern verzeihen, dass die Dialoge schwer zu verstehen sind (ich saß im vorderen Teil des Saales, hinten wird es sicher noch schwerer.) Hier gilt es Erfahrungen zu sammeln und noch besser zu werden (erst recht, wenn es sich um Texteinfügungen handelt, die im Sinne der Konzeption existenziell sind; nicht jeder Zuschauer studiert anschließend das Programmheft, wo vieles nachzulesen ist.)
Meine kritischen Anmerkungen dürfen nicht meine grundsätzliche Zustimmung zu dieser Aufführung in Frage stellen. Das Augsburger Ensemble hat an diesem Abend bewiesen, dass es mit der vor ihm liegenden Herausforderung wird leben können, die Zuschauer der aus-verkauften Premiere haben das nachdrücklich nicht nur mit Szenenbeifall nach jeder Arie, sondern mit einem herzlichen, langanhaltenden Schluss-Applaus bewiesen.
Fotos (c) Jan-Pieter Fuhr / Theater Augsburg
Werner P. Seiferth 4.10.2017
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