Basel: „Andersens Erzählungen“

Uraufführung Premiere: 27. September

Verderberin, Gebärerin, Verführerin: Die Meerjungfrau als Sinnbild unmöglicher Liebe
Dass der dänische Dichter H. C. Andersen und seine wohl berühmteste Figur, die kleine Meerjungfrau, seelenverwandt sind, ist vielleicht nicht allen bekannt.
Weit draussen im Meer ist das Wasser so blau wie die Blätter der schönsten Kornblume. An der allertiefsten Stelle liegt des Meerkönigs Schloss. Der hat sechs schöne Kinder, aber die Jüngste ist die Schönste von allen, aber wie bei allen anderen endet ihr Körper in einen Fischschwanz. So der Anfang des Märchens Die kleine Meerjungfrau, das H. C. Andersen gerade zu schreiben beginnt, als er am Vorabend von dessen Hochzeit bei seinem Freund Edvard Collin erscheint, um diesem seine Liebe zu gestehen.
Erschüttert von dessen Zurückweisung, spinnt Andersen sein Märchen weiter und lässt es eine tragische Wende nehmen: Aus Liebe zu einem Prinzen möchte die kleine Meerjungfrau ein Mensch werden. Dafür geht sie einen fatalen Handel mit der Meerhexe ein, wird daraufhin zwar ein menschliches Wesen – die Liebe des Prinzen kann sie jedoch nicht gewinnen.

Regisseur Philipp Stölzl, Autor Jan Dvořák und Komponist Jherek Bischoff nehmen diese Seelenverwandtschaft zum Ausgangspunkt für diese Produktion, ein Auftragswerk des Basler Theater und des Residenztheater München.

Stölzl inszeniert die Geschichte um Andersen als Sprechtheater. Die Erzählung Andersens dagegen, wird als Musiktheater, als Oper und Ballett, als Märchen gespielt und gesungen. Die Kombination der drei Sparten gelingt Philipp Stölzl auf eindrucksvolle Art, dies nicht zuletzt dank des hervorragenden Librettos/Textes von Jan Dvořák und der eingängigen Komposition von Jherek Bischoff.
Dazu kommt die klare Personenführung des Regisseurs, gepaart mit der eindrucksvollen Leistung der Schauspieler und Schauspielerinnen, der Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Nicht zu vergessen ist auch die emotional getanzte Rolle der kleinen Meerjungfrau (Pauline Briguet). Das Ballett ist vor allem Untermalung und Verstärkung der Handlung und so auch diskret getanzt von den Tänzern
Claudio Costatino, Laetitia Aurélie Kohler Kihako Narisawa und Danie Staaf, choreografiert und in Szene gesetzt von Sol Bilbao Lucuix.

Als ausgezeichneter Hans Christian Andersen erscheint auf und vor der Bühne Moritz von Treuenfels. Seine sprachliche Diktion, seine Körpersprache zeigen zwingend seine Zerrissenheit. Von Treuenfels beeindruckt durch Emotionalität, Beweglichkeit und Stärke. Edvard Collins wird von Mario Fuchs gespielt, Klaus Brömmelmeier gibt den Jonas Collin. Sehr überzeugend stellt Linda Blümchen die Henriette Thyberg dar. In der Rolle von Louise Lind, Edvards Schwester sehen wir Katharina Marianne Schmidt, eine eher unscheinbare, aber wichtig Persönlichkeit.
Ganz ausgezeichnet als singende kleine Meerjungfrau erlebte ich den Countertenor Bruno de Sa. Seine Diktion, seine Intonation kann nur als Meisterleistung bezeichnet werden. Seine schauspielerischen Fähigkeiten überzeugen und hauchen der schwierigen Rolle der Meerjungfrau Leben ein.

Rolf Romei als Meerhexe ist in seiner Darstellung nicht zu übertreffen, war stimmlich in Hochform, hoch gewachsen mit dicksten Sohlen sehr beweglich, ein Romei wie ihn Basel kennt und liebt. Hyunjai Marco Lee sang den Prinzen mit klarer Diktion und sauberer Intonation. In weiteren Rollen: Die zwei Meerschwestern Ena Pongrac und Stefanie Knorr, als Grossmutter Jasmin Etezadzadeh.

Die Bühne wurde entworfen von Phillipp Stölzl und Heike Vollmer. Interessant dabei auch die zwei Aspekte der Produktion: Realität und Märchen: Sie wurden vor allem farblich im Licht unterschieden. Die Lichtführung stammt von Thomas Kleinstück und unterstreicht die Unterschiede zwischen der Realität und Andersens Märchen, seiner Emotionen, seiner Schwäche. Die Märchenszenen erscheinen im Gegensatz zu den Realszenen blau und unreal im Licht.

Kathi Maurer zeichnete die farbenfrohen, sehr stimmigen Kostüme. Das Libretto, der Text des Autors erlaubt einen tiefen Einblick in die zerrissene Persönlichkeit des dänischen Nationaldichters Andersen. Dazu Jan Dvořák: Als ich begann, mich mit dem Leben und Werk H.C. Andersens zu beschäftigen, war mir schnell klar, dass ich den Aspekt der Sublimierung von Homoerotik im Werk des Dichters unglaublich spannend fand. Wählte doch der grosse Däne ausgerechnet das Medium des Kindermärchens, um seine subtile Botschaften von Andersartigkeit und Aussenseitertum zu formulieren. Er erreichte durch diese Camouflage eine universelle Aussagekraft. Dvořáks Text und Stölzls Inszenierung illustrieren zwingend diesen Aspekt.

Die Musik des Komponisten Jherek Bischoff ist gefällig und eingängig. Sie meiner Auffassung nach zu eingängig zu gefällig und schwächt bis zu einem gewissen Masse den starken Eindruck der Inszenierung ab. Es fehlen die dramatisch/musikalischen Höhepunkte, die Komposition kommt wie eine gefällige Filmmusik daher.

Die Basel Sinfonietta unter der Stabführung von Thomas Wise interpretierte die Komposition mit viel Gefühl und musikalischer Professionalität.
Das zahlreich erschienene Premierenpublikum belohnte die sehr gelungene Produktion mit dem verdienten Applaus und Bravi-Rufen ohne jegliche negativen Nebentöne (Buh’s).

Peter Heuberger, 29.9.2019
© Sandra Then

Das Auftragswerk „ANDERSENS ERZÄHLUNGEN“ ist eine Koproduktion des
THEATER BASEL mit dem RESIDENZTHEATER MÜNCHEN.