Basel: „Julien – Rot und Schwarz“

Uraufführung – Premiere: 16. Januar 2020

„Sie sehen das alles und tun nichts dagegen. Sie beten und sind still.“

Lukas Bärfuss hat erstmals einen Klassiker der Weltliteratur dramatisiert. Sein Text folgt dem Roman von Stendhal >LE ROUGE ET LE NOIR< und bringt eine gelungene Interpretation der zwei Hauptthemen Stendhals, Kritik an der Gesellschaft und Kritik an der Heuchelei (Hypokrisie) auf die Bühne. Die Aktualität zur heutigen Zeit ist im Werk von Bärfuss klar zu erkennen, wird jedoch den Zuschauerinnen und Zuschauer unaufdringlich und mit viel Humor vorgesetzt. Dabei ist anzumerken, dass auch ohne vertiefte Kenntnis der napoleonischen Zeit die erzählte Geschichte verstanden wird.

Die Regisseurin Nora Schlocker hat es verstanden, den dichten Text von Bärfuss mit einem Team von herausragenden Schauspielerinnen und Schauspielern leichtfüssig und verständlich auf die Bühne zu bringen. Ihre Personenführung ist bis ins kleinste Detail ausgefeilt. Ihre Liebe zum Detail in Gestik, Mimik und Körpersprache ist bei allen Protagonistinnen und Protagonisten in jeder Phase des dreistündigen Schauspiels zu erkennen. Man erkennt, dass das ganze Team jederzeit auf die Aktion, den Text reagiert und entsprechend agiert. Und dies ist grosse Regiekunst, gepaart mit der hervorragenden Professionalität aller Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne.

Die Musik, geschrieben und gespielt als Livemusik von Simon James Philipps, unterstreicht subtil die starke Wirkung des Textes, der Handlung, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Die Bühne, konstruiert von Jessica Rockstroh, erlaubt die vielen Szenenwechsel ohne Umbaupausen. Dies entspricht dem schnellen Fortschritt der Handlung und hält die Spannung während der gesamten drei Stunden aufrecht. So kommt nie Langweile auf und die Handlung wird nirgends unterbrochen und leidet, bis auf eine Ausnahme, nicht unter unnötigen Längen. Die Ausnahme betrifft die letzte Szene im Kerker, welche meines Erachtens einiger Kürzungen bedarf.

Die Kostüme, entworfen von Caroline Rössler Harper, gleichen sich dem Design des Bühnenhintergrundes an und unterstreichen die Andersartigkeit der Hochgeborenen, des Adels. Die Kostüme der nicht zum Adel gehörenden sind nicht diesem Hintergrund angepasst. Es sind dies: Der Brettsäger Vater Sorel, sein Sohne Julien Sorel und der Abbé. Julien immer in Schwarz, ausser wenn er sich anpassen will. Dann der Abbé, der Pfaffe in Soutane mit Frackschleppe und Vater Sorel in Zimmermannstracht.

Vincent zur Linden spielt den Julien, den Heuchler, auf eine Weise, welche ihm, obgleich er eigentlich ein Bösewicht ist, sein sollte, viel Sympathie einbringt. Seine Bühnenpräsenz ist hervorragend und man spürt, trotz der Länge seines Auftrittes bis zum Ende keine Müdigkeit, kein Abflachen seiner Leistung. Bravo!

Julischka Eichel als Louise, Madame de Rênal, brilliert mit hervorragender Diktion. Sie versteht es auch laut zu flüstern, etwas was viele Schauspielerinnen und Schauspieler verlernt haben, dem Fernsehen sei Dank! Interessant auch ihre subtile Gestik, mit welcher Frau Eichel ihren Text verstärkt und untermalt, ihre Darstellung intensiviert.

Die beiden Rollen, Bürgermeister Monsieur de Rênal und Duc de Lardeur, finden beim Schauspieler Martin Butzke eine Interpretation, welche nur als hervorragend bezeichnet werden kann. Butzke spielt die beiden so unterschiedlichen Persönlichkeiten, den präpotenten, machtbesessenen Bürgermeister und den versnobten, gelangweilten Adligen so überzeugend, dass sich ganz kurz die Frage stellt: Ist dies der gleiche Schauspieler?

Holger Bülow überzeugt als Marquis und erweckt den Vater Sorel zum Leben. Sein Marquis ist einerseits eine Lachnummer, andererseits aber ein überzeugter Vertreter des Adels mit einer sehr einseitigen Betrachtungsweise der Klassenunterschiede, welche an die Herrenmenschen im dritten Reich erinnert. Der gesamte Adel bei Frau Schlocker ist teutonisch blond und hochgewachsen. Bülows Sorel dagegen ist eher unterwürfig, dienerisch. Er ist ja auch Geschäftsmann und will mit den reichen, adligen Grundbesitzern Geschäfte, gute Deals, machen.

Leonie Merlin Young spielt Mathilde, die Tochter des Marquis. Ihre Auftritte als leicht hysterische Adlige, gelangweilt und unausgefüllt überzeugen in jeder Hinsicht.

Weiter sind auf der Bühne zu sehen und in ihren Leistungen zu beachten: Sebastian Schulze als Vicomte de Courtenois, Friederike Wagner in den zwei Rollen Madame de Derville und Ferravaque sowie Germaine Sollberger als die Wäscherin Elisa. Festzuhalten ist, dass auch die kleineren Nebenrollen ausgezeichnet besetzt sind und in keiner Weise gegenüber den übrigen DarstellerInnen abfallen.

Das Auftragswerk, diese Uraufführung, markiert einen weiteren Meilenstein in der Geschichte des Theater Basel! Danke Lukas Bärfuss!

Das zahlreich aufmarschierte Publikum belohnte die hervorragend gelungene Aufführung mit rauschendem Applaus.

Peter Heuberger, Basel

© Sandra Then