Basel: „La Bohème“

Premiere: 14. Dezember 2019

Eingangsapplaus für die Dirigentin Kristiina Poska, sie hebt den Taktstock, dann erst mal einige Takte Rockmusik ab Konserve. (Mein Kommentar dazu auf Schnuppe Opernfreund).

Jetzt erst: Präziser Einsatz Sinfonieorchester Basel zu einer ausgezeichnet gespielten und gesungenen Bohème. Frau Poska hat ihr Orchester sehr gut im Griff und die spielfreudigen Musiker und Musikerinnen im Graben folgen dem dynamischen Dirigat mit hoher Präzision und gefühlten Emotionen. Die Basler Interpretation zeichnet sich aus durch die gut durchdachte Dynamik, einer ausgezeichneten Wahl der Tempi und den subtilen Einsatz der vom Komponisten geschriebenen Klangeffekte.

Die Spielleitung des amerikanischen Regisseurs Daniel Kramer ist konventionell und bietet keine Überraschungen. Seine Personenführung, seine Spielanleitung ist relativ rampenorientiert, die gesamte Handlung findet im vorderen Drittel der Bühne statt und ist frei von Überraschungen: Solides Opernhandwerk, jedoch rein spielerisch kein unbedingt mitreissendes Musiktheater. Die Konzentration des Spiels auf den Vordergrund kommt den Sängerinnen und Sängern zu statt. Sie können sich auf saubere Intonation und gute Diktion konzentrieren ohne dass extreme Lautstärken notwendig werden.

Den Dichter Rodolfo singt der italienisch Tenor Davide Giusti. Seine Leistung als Schauspieler in Körpersprache, Mimik und Gestik wird nur übertroffen von seiner Stimme. Seine Interpretation des Rodolfo überzeugt in jeder Hinsicht. Vom zarten "Che gelida manina" bis hin zum Aufschreien im vierten Akt spürt man seine Hingabe an das Werk Puccinis. Man kann auch sagen, dass der Sänger Davide Giusti der Dichter Rodolfo ist, diese Rolle lebt! Seine Intonation und Diktion sind über jeden Zweifel erhaben.

Die rumänische Sopranistin Cristina Pasaroiu in der Rolle der Mimi ist eine vollendete Partnerin für Giusti. Mit zarten Tönen, leise, sehr leise stellt sie sich bei Rodolfo vor. "Si. Mi chiamono Mimi". Ihre Intonation lässt aufhorchen, ihr Vibrato ist richtig eingesetzt und fast nicht feststellbar. Vielleicht ist ihre Diktion noch ein bisschen verbesserungsfähig, wobei dies vor allem für den ersten Akt gilt. Im zweiten und vierten Akt war jedes Wort klar zu verstehen, unabhängig von der Lautstärke. Ihre Emotionen, ihre Liebe zu Rodolfo werden durch Ihre eindrucksvolle Mimik, ihre Körpersprache und ihre Gestik unterstützt und verstärkt.

Den Maler Marcello interpretiert das Basler Ensemblemitglied, der Bariton Domen Križaj. Sein Marcello ist geprägt von der Liebe zur leichtlebigen aber herzensguten Musetta. Die Eifersucht auf jegliche Männer, welche Musetta nahekommen, ist nachvollziehbar und hervorragend gespielt. Sein ausdrucksstarker Bariton in vollendeter Intonation und Diktion überrascht das Basler Publikum nicht, stand er doch schon in einigen Rollen auf der Basler Bühne.

Musetta wird gegeben von der italienischen Sopranistin Valentina Mastrangelo. Ihre Darstellung leidet ein bisschen unter der Personenführung von Daniel Kramer. So wird ihre Arie "Quando m’en vò", geschrieben im ¾ Takt, auch bekannt als "Musettas Walzer" nur bedingt durch ihren Auftritt unterstützt. In diesem Auftritt will Musetta die Eifersucht Marcellos wecken. Wesentlich besser charakterisiert wird Musetta im dritten und vierten Akt. Ihre Körpersprache, Diktion und Intonation sind gut. Sie hat eine sehr kraftvolle Stimme geeignet auch für grössere Häuser. Ihre Stimme ist für diese Rolle geeignet, da Musetta im zweiten und dritten Akt dominant auftritt. Im vierten Akt wird diese dominante Musetta jedoch leiser, herzlicher und menschlicher. Brava!

Der gross gewachsene Philosoph Colline, gesungen und gespielt von Paull-Anthony Keighley, überzeugt im vierten Akt mit dem Abschied von seinem Mantel, "Vecchia zimarra, senti".

Die Rollen Colline und Schaunard sind laut Libretto eher Nebenrollen, sind aber, von der Regie richtig eingesetzt, für den Fortschritt des Dramas wichtig. Dies hat Kramer erkannt und die beiden Rollen mit seiner Personenführung auch so interpretiert.

Schaunard wird sauber gespielt und bravourös gesungen vom Basler Ensemblemitglied, dem armenischen Bariton Gurgen Baveyan.

In weiteren Rollen zu sehen und hören: Alexander Vassiliev, Donovan Elliot Smith, Eckhard Otto und Martin Krämer.

Der Chor des Theater Basel wurde einstudiert von Michael Clark. Die Mädchenkantorei Basel stand unter der Leitung von Marina Niedel und die Einstudierung der Knabenkantorei Basel besorgte Rolf Herter.

Der Bühnenentwurf stammt von Annette Murschetz, Die Kostüme zeichnete Esther Bialas und für die Beleuchtung zuständig war Charles Balfour.

Alles in allem ein solider Opernabend ohne Überraschungen. Die negativen Punkte (Pausenmusik) können in der Opernfreund Schnuppe nachgelesen werden.

Das Premierenpublikum belohnte die musikalische Leistung des Orchesters und der Sängerinnen und Sänger mit langanhaltendem Applaus.

Peter Heuberger, 15.12.2019

Fotos © Priska Ketterer