Bielefeld: „Die Frau aus dem Eis (Antropocene)“, Stuart McRae

Das ewige Eis hat sich in den letzten Jahren zu einem beliebten Spielort neuer Opern entwickelt. Anno Schreier erweckte 2013 seine märchenhafte „Prinzessin aus dem Eis“, Joby Talbot schilderte 2015 den tödlichen Ausgang einer Expedition zum „Everest“, und Mirsolav Srnka beschrieb 2016 das Wettrennen zwischen Scott und Amundsen zum „South Pole“. In „Die Frau aus dem Eis (Antropocene)“ bringen Librettistin Louise Welsh und Komponist Suart McRae die Geschichte einer fiktiven Expedition, die in Grönland den Körper einer vor tausenden Jahren eingefrorenen Frau finden, die dann wieder zum Leben erwacht, auf die Bühne. In Bielefeld ist jetzt die deutsche Erstaufführung zu sehen.

(c) Theater Bielefeld

Die kurze Einordnung liest sich wie ein großer mystischer Stoff, bei dem die titelgebende Frau aus dem Eis im Zentrum steht. Welsh und McRae geht es aber eher um die Konflikte innerhalb der Gruppe: Da gibt es den Unternehmer Harry King, der die Expedition finanziert, und der von Lorin Wey mit wendigem Tenor gesungen wird. Der profilierungssüchtige Journalist Miles Black wird von Todd Boyce mit kräftigem Bariton verkörpert. Für Ruhe und Vernunft sorgt Kapitän Ross, den Moon Soo Park mit sonorem Bass gestaltet.

Für all diesen Figuren schreibt Stuart McRae eine turbulente Musik, die meist nur so vor Optimismus strotzt und klingt, als seien wir in einer komischen Oper. Die vielen Diskussionen dieser Expedition lassen das Stück aber meist zu einem reinen Diskussionstheater werden, bei dem die Geschichte nur sehr mühsam vorankommt.

(c) Theater Bielefeld

Dirigent Gregor Rot treibt am Pult der Bielefelder Philharmoniker die Musik munter voran. Aufgrund des kleinen Bielefelder Orchestergrabens dominieren die harten Blechbläserklänge, und die kleine Streicherbesetzung hat das Nachsehen. Aufhorchen lässt aber das wunderschöne Erwachungsduett, das allerdings nur die zweite Szene der Titelfigur ist, so dass ihr eigentliches Erwachen eher nebensächlich abgehandelt wird.

In diesem Duett mischt sich der höhensichere Sopran von Veronika Lee als Eisfrau mit der warmen Stimme von Cornelie Isenbürger, die hier die Wissenschaftlerin Prof. Prentience singt. Die weitgespannten und schwebenden Melodien werden von Harfe und dezentem Schlagwerk begleitet, wozu sich später noch die Streicher gesellen. Hier entwickelt McRae einen Klangzauber, den man der gesamten Oper gewünscht hätte.

Regisseurin Maaike van Langen bringt in ihrer lebendigen und bewegungsfreudigen Regie glaubhafte Figuren, die sich stark aneinander reiben, auf die Bühne. Letztlich erlebt man hier aber nur eine „Big Brother“- oder „Dschungelcamp“-Situation, in der die Figuren ihre Konflikte untereinander austragen. Ausstatterin Anna Schöttl hat ein schräg stehendes Schiffsdeck als Spielfläche entworfen. Ein großes Schleiergebilde stellt die arktische Eislandschaft dar.

Insgesamt ist „Die Frau aus dem Eis“ ein ambitioniertes Projekt, das allerdings die Erwartungen, die man aufgrund des Titels und der Vorankündigung hat, nicht erfüllt.

Rudolf Hermes, 1. Mai 2023


Stuart McRae:

„Die Frau aus dem Eis (Antropocene)“

Theater Bielefeld

Regie: Maaike van Langen

Premiere: 15. April 2023

Dirigent Gregor Rot

Bielefelder Philharmoniker

sehenswerter Trailer