Bielefeld: „Hamlet“

Ambroise Thomas

Premiere: 28. Februar 2015

Besuchte Aufführung: 3. März 2015

Wenn an einem Theater bei zwei aufeinander folgenden Produktionen ähnliche Regieansätze verfolgt werden, hat man schnell den Eindruck, dass Regisseure irgendwelchen Moden folgen. So ist es jetzt am Theater Bielefeld zu erleben, wo es nach „Romeo und Julia auf dem Lande“ auch bei „Hamlet“ darum geht, welche Erwartungen und Bilder die Figuren aufeinander projizieren.

In „Romeo und Julia auf dem Lande“ hatte Sabine Hartmannshenn dezent angedeutet, dass Sali all ihre Ausbruchshoffnungen in ihr männliches Gegenüber Vrenchen hineinprojiziert, sich diesen vielleicht nur erträumt. Andrea Schwalbach geht da in ihrer Inszenierung von Ambroise Thomas „Hamlet“ noch einen Schritt weiter und macht aus dem Geist von Hamlets Vater einen Familientherapeuten, in dem jede Figur ihre Wünsche und Erwartungen verkörpert sieht.

Anfangs ist diese Idee spannend, doch bald wirkt sie konstruiert und aufgesetzt, weil dieser Therapeut zwar oft anwesend ist, sich aber nur wenigen Szenen mit Hamlet auch sängerisch zu Wort meldet. Darstellerisch hätte Yoshiaki Kimura diese Figur auch stärker profilieren müssen.

Bei Andrea Schwalbachs Inszenierung, für die Nanette Zimmermann ein modernes Ambiente entworfen hat, fragt sich der Zuschauer sowieso, welche Gründe es für die Absichten der Figuren gibt? Entspringen Hamlets Rachegelüste gegen seine Mutter und den neuen König wirklich einem begründeten Verdacht, oder sind sie Ergebnis eines Verfolgungswahns oder übermäßigen Drogenkonsums?

Die Szene im 3. Akt, in der König Claudius von seinem schlechten Gewissen wegen dem Mord an seinem Bruder geplagt wird, und der versteckte Hamlet zögert ihn zu töten, wird in Bielefeld zu einer Familien-Therapie-Sitzung. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass sich Regisseurin Andrea Schwalbach viele kluge Gedanken zum Stück gemacht hat, aber dabei scheitert, diese Ideen in einer überzeugenden und schlüssigen Inszenierung auf die Bühne zu bringen.

Einige Ideen der Regisseurin sind plausibel, so dass Ophélie an einem Borderline-Syndrom leidet, sich selbst verstümmelt, um Hamlets Aufmerksamkeit zu erlangen und sich an diesen klammert. Dass Hamlet ihr dann das Gift verabreicht, mit dem sie sich tötet, ist dann aber an den Haaren herbeigezogen.

Kapellmeisterin Elisa Gogou lässt die Bielefelder Philharmoniker in den großen Chorszenen aufdrehen, als ginge es darum, das Gebäude der Bayerischen Staatsoper mit Klang zu füllen. Zudem hat die Hornabteilung einen schlechten Tag erwischt. Melodien werden bloß abgeliefert, aber nicht musiziert. In den intimeren Dialogszenen, arbeitet Gogou das spezielle Flair dieser Partitur aber treffend heraus.

Als Ophélie betont Cornelie Isenbürger besonders die lyrisch-zerbrechlichen Seiten der Figur, gestaltet aber auch die Koloraturen sicher und überzeugend. In der Titelrolle überzeugt Evgueniy Alexiev mit noblem und schönen Batiton. Als Laerte glänzt Daniel Pataky und lässt jugendlich-heldische Töne ertönen, bei denen man sich Pataky auch als einen glänznden Lohengrin vorstellen könnte.

Zwar ist es lobenswert, dass das Bielefelder Theater als einziges deutsches Haus den selten gespielten „Hamlet“ von Ambroise Thomas auf die Bühne bringt und dies sogar nur mit Sängerinnen und Sängern des eigenen Ensembles gelingt. Die szenische Umsetzung weist aber etliche Schwachpunkte auf.

Rudolf Hermes 9.3.15

Fotos: Theater Bielefeld