Bielefeld: „The Convert (Beten – zu wem?)“, Wim Henderickx

© Bettina Stöß

Auf deutschen Bühnen sind die Werke belgischer Komponisten kaum zu erleben. Selbst André Laporte oder Philippe Boesmans kennt man hier nur dem Namen nach, weil ihre Werke an der Oper in Brüsssel uraufgeführt wurden. Wim Henderickx Oper „The Convert“ hatte 2022 in Antwerpen Premiere. Wenige Monate später starb der Komponist, so dass dieses Werk bedauerliche Weise die einzige große Oper dieses Musikers bleiben wird.

Literarische Vorlage ist der 2016 erschienene Roman „Die Fremde“ des aus Gent stammenden Autor Stefan Hertmans, dessen Werke in Deutschland bei Hanser und Diogenes verlegt werden. Henderickx war nach der Lektüre des Romans so begeistert, dass er beschloss aus diesem Buch eine Oper zu machen.

Erzählt wird die Geschichte der normannischen Adeligen Vigdis Adelais, die im 11. Jahrhundert vom Christentum aus Liebe zum Judentum konvertiert, mit ihrem Mann nach Südfrankreich flieht und von ihm zwei Kinder bekommt. Bei einem Progrom der Kreuzritter wird die jüdische Gemeinde ermordet. Vigdis, die sich jetzt Sarah nennt, ist mit ihren Kindern die einzige Überlende.

Die Kinder werden ihr aber abgenommen und zu ihren Eltern gebracht. Sie reist in den Nahen Osten, bekommt ein drittes Kind, wird vergewaltigt und versklavt, kehrt dann zurück nach Frankreich und stirbt auf dem Scheiterhaufen.

Wim Henderickx hat die Geschichte fast im Stile eine Grand Opera komponiert: Das gibt es große Genrebilder und Chorszenen wie Vigdis Konvertierung zum Judentum, fanatische Kreuzritterchöre und eine Scheiterhaufen Szene, bei denen neben dem Opern- und Extra- auch noch der Kinderchor aufgeboten werden. Hagen Enke, Felicitas Jacobsen und Anna Janiszewska haben die Chöre bestens vorbereitet, so dass diese klangmächtig auftrumpfen können.

© Bettina Stöß

Die Musik ist gut hörbar und trifft die Stimmungen der Geschichte bestens: Da gibt es drohende Blechbläser, funkelnde Stabspiele und orientalische Zupfinstrumente, was an Detlevs Glanerts jüngst in Dresden uraufgeführte „Jüdin von Toledo“ erinnert, die ebenfalls Antisemitismus thematisiert. Auch dort kam eine arabische Oud zum Einsatz.  Auch in den Streichern und Gesangslinien finden sich viele Melodien, die von orientalischer Melodik inspiriert sind.

Das Libretto, das Krystian Lada aus dem Roman geformt hat ist klug konzipiert und sorgt für eine packende Dramaturgie, die zwischen großen Chorszenen, lyrischen Duetten des Liebespaares und Szenen der Verfolgung und Bedrohung wechselt. Henderickx komponiert festlich-großformatige Chöre, schöne Liebesduette und wilde brodelnde Bedrohungsszenarien. Dirigentin Anne Hinrichsen bringt die Musik ebenso einfühlsam wie eindrucksvoll zum Klingen. 

Nach dem mitreißen-starken ersten Akt, der gut 85 Minuten dauert und in dem apokalyptischen Szenario der Ermordung der jüdischen Gemeinde von Moniou in der brennenden Synagoge endet, fragt man sich aber, warum diese Oper noch einen zweiten Akt benötigt, der noch einmal 60 Minuten dauert. Die Irrfahrten der Hauptfigur bringen inhaltlich keine neuen Impulse und mildern die Wirkung des fulminanten ersten Aktes.

Regisseur Nick Westbrock bringt die Geschichte spannend und einfühlsam auf die Bühne, sodass man als Zuschauer gut mit dem Schicksal der Hauptfigur identifizieren kann. Im ersten Akt sorgt Bühnenbilder Marvin Ott mit großen Steinwänden auf der Drehbühne dafür, dass die Schauplätze schnell wechseln können. Im zweiten Akt reicht dann eine sich drehende Treppe. Erfreulich ist, dass die Kostüme von Julia Rösler die Geschichte nicht ins 3. Reich verlegen, sondern im Mittelalter belassen.

© Bettina Stöß

Überraschend ist aber, dass hier viel Religionsfolklore betrieben wird. Beraterin Mayan Rachel Goldenfeld hat darauf geachtet, dass jüdische Rituale authentisch auf die Bühne gebracht werden, damit sich niemand beleidigt fühlt. Das ist insofern erstaunlich, als dass sich bei der Inszenierung der christlichen Ritualen in Wagners „Parsifal“ kein Regisseur darüber Gedanken macht, ob er dadurch die Gefühle irgendwelcher Christen beleidigt.

Die Besetzungen lässt sich nicht endgültig beurteilen, das die Akteure mit Mikroports verstärkt werden. Herausragend gestaltet Dusica Bijelic die Vigdis/Sarah mit hellem und klarem Sopran. Todd Boyce singt ihren Mann David und mehrere kleine Rollen mit stattlichem Bariton. Mit markant-kantigem Bass ragt Yoshiaki Kimura aus der Sängerriege heraus.

Das Bielefelder Theater bringt mit großem Einsatz eine starke deutsche Erstaufführung dieser Oper auf die Bühne. Die Wirkung des Stückes wäre aber noch stärker, wenn man den 2. Akt streichen würden.

Rudolf Hermes, 20. April 2024


Wim Henderickx
The Convert (Beten – zu wem?)

Theater Bielefeld

Deutsche Erstaufführung: 13. April 2024

Regie: Nick Westbrock
Musikalische Leitung: Anne Hinrichsen
Bielefelder Philharmoniker