Bielefeld: „Rusalka“

Märchenstunde

Premiere: 27.11.2021
besuchte Vorstellung: 01.12.2021

Lieber Opernfreund-Freund,

Antonìn Dvoraks Dauerbrenner Rusalka ist derzeit am Theater Bielefeld zu sehen. Was als beschauliches Märchen beginnt, endet in der Inszenierung nach einem Konzept von Jörg Weinöhl in kulissenloser Trostlosigkeit. Sängerisch lassen vor allem die Gäste aufhorchen.

Frei von jeder tiefenpsychologischen Deutung zeigt Nick Westbrock die Geschichte um das Geisterwesen Rusalka, das, um ihre Liebe zu erfüllen, jedes Opfer bringt. Doch endet sie nach der Zurückweisung durch den Prinzen als Irrlicht, bevor sich der Geläuterte zum tötenden Kuss in ihre Arme wirft. Zwei Kinder malen Bilder auf den Boden des Bielefelder Theaters, wie zufällig entsteht so die Erzählung. An sich ist das ein guter Ansatz, der das Märchen Märchen sein lässt – und doch will die Lesart mich nicht so richtig packen. Vielleicht ist einfach nicht konsequent genug erzählt. Vielleicht fehlen mir dann aber zum Märchen dann doch die märchenhaften Bilder. Zwar sind die Kostüme von Marie Louise Otto und Irina Spreckelmeyer durchaus ansehnlich und symbolträchtig, Rusalkas Kleid mit seinen zahlreichen Volants irgendwie an Wasser erinnernd und der Wassermann mit seinen übergroßen Taschen, in der er dauernd seine Hände hat, irgendwie zur Untätigkeit verdammt. Doch die fremde Fürstin, die dem Prinzen die Leidenschaft und das Feuer bieten soll, das er bei der kühlen Rusalka vergeblich sucht, vermag in Gummistiefeln und Netzstrümpfen allenfalls Fetischisten zu entflammen. Da überzeugt die Bühne – vielleicht gerade wegen ihrer Schlichtheit – mehr. Wenn Rusalka im Schlussbild dann den letzten der halbdurchsichtigen Vorhänge herunter reißt, die während der vorangegangenen zwei Stunden mithilfe der Videoeinspielungen von Sascha Vredenburg einen Hauch Mystik gezaubert hatten, und so die Bühne vollkommen der Kulissenlosigkeit preisgibt, zeigt das das Drama der jungen Seele in eindrucksvollem Bild.

Stimmlich beeindrucken kann mich vor allem die Ježibaba von Joanna Motulewicz. Die junge Sängerin ist in ihrer Mischung als Cruella de Vil und Morticia Addams, als die Otto und Spreckelmeyer sie zeigen, nicht nur eine Augenweide. Sie verfügt über einen farbenreichen, dämonischen Mezzo voll obskurer Tiefe und eine umwerfende Bühnenpräsenz und verkörpert glühende Leidenschaft. Als Prinz hätte ich sofort SIE gewählt. Der hält sich aber ans Skript und schwankt zwischen den beiden Ensemblemitgliedern Katja Starke als stimmgewaltiger Fürsten und Dušica Bijelić als kühler Rusalka. Die Serbin ist mir aber als halbmenschliches Wesen zu energisch und stimmlich überhaupt nicht zerbrechlich, wäre sicher eine exzellente Elsa, ist mir aber hier über weite Strecken zu wenig zart. Dabei spielt sie ganz hervorragend und arbeitet physisch die Zerrissenheit ihrer Figur ganz wunderbar heraus. Die immer wieder mahnenden Worte ihres Vaters, des Wassermannes, kommen in meiner Vorstellung wiederum weitaus unerbitterlicher und wuchtiger über den Graben als das, was Moon Soo Park zeigt. Dafür gefällt mir Michael Siemon als Prinz ausgesprochen gut, zeigt strahlende, kraftvolle Höhen und immensen Ausdruck. Zwar klingt er sehr nach „deutschem Fach“, das mag aber auch daran liegen, dass man in Bielefeld auf Deutsch (und übertitelt) singt. Cornelie Isenbürger und Frank Dolphin Wong geben ein hinreißendes Gespann aus Küchenmädchen und Förster und komplettieren so die Solistenriege.

Dvoráks folkloredurchzogene Partitur ist bei der Kapellmeisterin Anne Hinrichsen in besten Händen. Voller Leidenschaft legt sie die slawischen Klänge ebenso deutlich frei wie die mystischen – da verzeihe ich gerne so manchen knirschenden Einsatz der Bielefelder Philharmoniker. Sie merken, lieber Opernfreund-Freund, ich tue mir schwer mit einem abschließenden Urteil zu dieser Produktion, zu ambivalent sind die Eindrücke des Abends, irgendwie nicht Fisch und nicht Fleisch – oder damit doch auch irgendwie Rusalka.

Ihr
Jochen Rüth

03.12.2021

Die Fotos stammen von Bettina Stöß.