Es ist eine märchenhafte Geschichte wie aus 1001 Nacht: die Kinder Fadeya und Taseh suchen im Land Sultanien ihren Vater, den Sultan, den sie nie richtig kennengelernt haben. Dabei müssen sie drei spannende Abenteuer bestehen. Die Musik des israelischen Komponisten Avner Dorman besticht durch ihre vielfältigen Rhythmen und die Inszenierung durch orientalische Farbenpracht. Die Schulvorstellung von „Die Kinder des Sultans“ am 15.11.2022 um 11.00 Uhr endete mit tosendem Applaus, schrillen Begeisterungsschreien und Rufen nach Zugabe. 800 Kinder waren mit ihren Schulklassen in die Oper gekommen, um die fantastische Märchenoper zu sehen, die nach der Uraufführung am 20. März 2022 in Dortmund am 13. November 2022 im Rahmen der Kooperation „Junge Oper Rhein-Ruhr“ in Bonn übernommen wurde. (Besuchte Vorstellung -Schulvorstellung- am 15.11.2022)
Die Librettistin, die renommierte Kinder- und Jugendtheaterautorin Ingeborg von Zadow, versteht in der Tat ihr Handwerk, denn sie kombiniert eine heutige Geschichte einer getrennten interkulturellen Familie mit Elementen orientalischer Märchen und vielfältigen Anspielungen auf klassische Opern. Sie verwendet witzige Stabreime und schafft drei spannende Prüfungssituationen, bei denen die Kinder sich bewähren, und ein Happy End.
Der israelische Komponist Avner Dorman, der in New York lebt und dort den Schmelztiegel der Kulturen hautnah erlebt, hat eine richtige Oper mit groß besetztem Streicherapparat, doppelt besetzten Bläsern und drei Schlagzeugern, die auch die orientalische Bechertrommel Darbuka spielen, komponiert. Avner Dorman ist berühmt für das Konzert für Schlagzeug und Orchester (2007), das er dem Perkussionisten Martin Grubinger auf den Leib geschrieben hat, und auch seine Oper beeindruckt durch vielfältige Rhythmen und orientalisches Kolorit, er zitiert aber auch Bachs Kaffeekantate. Manche Orchesterpassagen, zum Beispiel die Musik zu dem reißenden Fluss, in dem Taseh zu ertrinken droht, erinnern an Schostakowisch, und es gibt als Erkennungsmelodie ein schönes lyrisches Wiegenlied und ein Lied: „Mit einem Kamel als Freund kann man immer weitergehen“, das mit seinem 7/8-Takt den Passgang des Kamels nachmacht. Das Kamel hat in den Wüstenländern ein hohes Prestige, ähnlich wie das Pferd bei uns. Der farbenprächtig als Händler auf dem Basar kostümierte besonders vielstimmige Chor des Theater Bonn unter der Leitung von Marco Medved und das bestens aufgelegte Beethovenorchester erzeugen internationales Flair mit orientalischem Kolorit. Kapellmeister Daniel Johannes Mayr bewundert an Dormans Märchenoper, „dass sie viele Stile vereint und trotzdem zu einer eigenen Tonsprache findet“, wie er in einem Interview des Bonner Generalanzeigers vom 12./13.11.2022 sagt. Das klingende Ergebnis sei immer sehr eingängig.
Die Ausstattung von Tatjana Ivschina ist sehr aufwändig und nutzt auch Video-Effekte von Boris Kahnert, zum Beispiel die Lichteffekte der in psychedelischen Farben aufleuchtenden Mauer vor dem Palast. Beim letzten Bild mit den vielen Lampions und dem Mond gab es Szenenapplaus. Die Kinder Fadeya und Taseh sind gekleidet wie ganz normale Kinder mit Jeans und Sweatshirts, alle anderen farbenprächtig wie aus 1001 Nacht. Besonders gut hat mir das Kamel gefallen, das die gertenschlanke Susanne Blattert mit Fatsuit und Pelz-BH, der zu den Höckern des Kamels wird, trägt, und der blaue Dschinn mit dickem Bauch, in dem der junge Bariton Carl Rumstadt steckt. Es sind Erzkomödianten, denen das Stück offensichtlich viel Freude macht.
Die Regisseurin Anna Drescher liefert dem jungen Publikum ab 3. Schuljahr 75 Minuten kurzweilige Unterhaltung mit Tiefgang, was aber auch an dem sehr gut singenden und spielfreudigen Ensemble liegt.
Die junge Sopranistin Ava Gesell und der in Spanien aufgewachsene Tenor Santiago Sánchez sind die Zwillingsgeschwister Fadeya und Taseh, die sich mit dem sprechenden Kamel (Susanne Blattert) auf die Suche nach ihrem Vater, dem Sultan, machen. Der böse Bruder des Sultans (Carl Rumstadt) will das Treffen verhindern – die Kinder wären vor ihm in der Erbfolge! Nach drei spannenden Abenteuern – zuerst will eine Riesenschlange die Kinder fressen, da hilft der Dschinn aus der Patsche, dann soll ein reißender Fluss Taseh verschlingen, da kann Fadeya ihren Bruder mit Hilfe eines fliegenden Teppichs aus den Fluten retten, und schließlich türmt sich in der Wüste vor den Kindern eine unüberwindliche Mauer auf, da gibt der schwarze Riesenvogel (Pavel Kudinov), Geistesverwandter von Wagners Waldvöglein, den entscheidenden Hinweis. Schlüssel ist das Wiegenlied, das Mutter und Vater ihnen früher gesungen haben, und das ihnen nach und nach wieder einfällt: „Aus zwei Welten kommen wir. Du von hier, ich von dort.“
Schließlich treffen die Kinder ihren Vater, den Sultan (Pavel Kudinov). Es stellt sich heraus, dass das Kamel niemand anderes ist als die Tante der Kinder, des Sultans Schwester, und dass der böse Onkel die Briefe, die die Eltern der Kinder einander geschrieben haben, abgefangen und so die Beziehung der beiden zerstört hat. Aber alle verzeihen einander, und die Kinder sind endlich mit ihrem Vater, dem Sultan, wieder vereinigt, den sie so lange nicht gesehen haben. Der Schlusschor zur großen Feier des Wiedersehens wurde von den Schülerinnen und Schülern lebhaft mitgeklatscht.
Das Buffo-Element tragen Juhwan Cho als Wasserverkäufer und Sara Léna Winterberg als Wahrsagerin bei, die natürlich alles vorhersieht. Sie spielt auch die Mutter, die schon vor Beginn der Vorstellung auf einer Seitenbühne einen Brief nach dem anderen schreibt.
Alle drei Abenteuer endeten mit spontanem Szenenapplaus, und am Schluss verlangten die Kinder nach mehr. Es ist eine echte Familienoper, denn das Elternpaar Constanze – Sultan stammt aus verschiedenen Kulturen. Die Kinder sind die Helden, denn ihrer Initiative ist es zu verdanken, dass ihre lange getrennten Eltern wieder zusammenkommen. Die liebe Tante, die sich als Kamel verkleidet, um die Kinder zu schützen, sowie der böse Onkel, der neidisch auf seinen älteren Bruder ist, ergänzen die Kleinfamilie. Am Schluss bereut der böse Onkel seine Gemeinheit, und alle verzeihen einander im Geiste Mozarts – nichts ist so hässlich wie die Rache!
Bühnenbild und Kostümbildnerei ziehen alle Register, vor allem, was Farbenpracht und Lichteffekte angeht, und die Kinder haben ganz schön gestaunt, wie die Bühnentechnik einer Live-Oper wirkt. Sie waren mucksmäuschenstill und voll bei der Sache und bejubelten den Chor, das Ensemble und den Dirigenten Daniel Johannes Mayr wie Popstars. Kindern und Jugendlichen gefällt die sehr rhythmusbetonte Musik richtig gut!
„Junge Opern Rhein-Ruhr“ ist ein Konzept, das vom Land NRW gefördert wird. Die Opernhäuser Dortmund, Bonn und Düsseldorf/Duisburg produzieren abwechselnd Familienopern, die an allen vier Häusern mit denselben Kulissen und Kostümen und den eigenen Ensembles, Chören und Orchestern gespielt werden. Die Preise für die Frühabendvorstellungen sind familientauglich, also niedriger als bei anderen Opernvorstellungen, und die Karten für die Schulvorstellungen um 11.00 Uhr kosten nur 6,00 € pro Schüler. Das ermöglicht vielen Kindern die Teilhabe an Kunst und Kultur, die sonst nie in die Oper gekommen wären.
Die Familienopern sind Auftragskompositionen und nicht länger als 75 Minuten und werden ohne Pause mit richtig großer Besetzung im großen Haus gespielt.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 20.11.2022
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
„Die Kinder des Sultans“ Avner Dorman
Libretto von Ingeborg von Zadow
Aufführung: 15.11.2022 / Uraufführung: 20.03.2022, Dortmund
Inszenierung: Anna Drescher
Eine Kooperation des Theater Bonn mit der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg und dem Theater Dortmund im Rahmen der Reihe „Junge Opern Rhein-Ruhr“
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Beethovenorchester Bonn