Bonn: „Asrael“, Alberto Franchetti (zweite Besprechung)

Lieber Opernfreund-Freund,
nach Giacomo Meyerbeers Feldlager in Schlesien wartet das Theater Bonn in dieser Spielzeit erneut mit einer Ausgrabung auf: Alberto Franchettis erste Oper „Asrael„, 1888 uraufgeführt, hatte gestern vor beinahe ausverkauftem Haus Premiere. Das Theater Bonn lässt das Werk erstmals seit über 70 Jahren erklingen, ließ – wie schon beim Feldlager – eigens Notenmaterial für die Aufführung rekonstruieren. Der Abend war jedoch durchzogen von Licht und Schatten – und das nicht nur wegen der fantastischen Lichtregie von Jorge Delgadillo.

 ©Thilo Beu

Alberto Franchetti, 1860 in Turin als Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmanns geboren, galt zumindest während seiner ersten Schaffenshälfte neben Puccini, Mascagni und Leoncavallo als eine der großen Hoffnungen der italienischen Oper nach Verdi. Der hatte ihn 1892 selbst empfohlen, die Oper Cristoforo Colombo für den 400. Jahrestages der Entdeckung Amerikas zu schreiben, nachdem Ricordi bei der Uraufführung seines nun in Bonn gezeigten Erstlings Asrael auf ihn aufmerksam geworden war. Später begann er die Arbeit an einer Vertonung von Sardous Tosca, die Ricordi dann aber in die Hände seines Schützlings Puccini legte. Franchetti schrieb rund ein Dutzend weiterer Opern, von denen Germania aus dem Jahr 1902 die erfolgreichste war. Sie wurde nicht nur in Deutschland häufig gespielt, wo Franchetti sich zeitweise sogar niedergelassen hatte. Als Jude traf ihn dort aber ab 1933 ein Aufführungsverbot der Nationalsozialisten, mit der Übernahme der „Rassegesetze“ durch Italien verschlechterte sich seine Lage auch dort. Seine 1941 vollendete Oper Don Bonaparte kommt trotz Mascagnis Fürsprache nicht mehr zur Aufführung. 1942 stirbt Alberto Franchetti in Viareggio.

 ©Thilo Beu

Sein Asrael, dessen Uraufführung noch vor dem Vertrag mit dem Verlagshaus Ricordi vom Vater Franchettis finanziert wurde, erzählt die Geschichte der Engel Asrael und Nefta. Als Asrael ins Exil in die Hölle geschickt wird, versuchen die beiden, wieder zueinander zu kommen, und trutzen dem Himmel und der Hölle ein Jahr auf der Erde ab. Trotz seiner Liebelei mit der rassigen Loretta erkennt Asrael im gemeinsamen Gebet Nefta wieder und beide kehren in die ewige Glückseligkeit des Himmels zurück. Librettist Ferdinando Fontanas Version der Geschichte fällt dabei durch Anleihen bei erfolgreichen anderen Opern wie Lohengrin, Carmen und Mefistofele auf und nimmt auch Turandot von Puccini in Teilen vorweg, bei der Gozzis Vorlage zum Zeitpunkt von Asrael längst bekannt und beliebt war.

Asrael ist eine Geschichte über den Kampf zwischen Gut und Böse, über nicht endende Liebe, über Glauben und Zuversicht. Asrael ist beim renommierten Regisseur Christopher Alden die Geschichte von drei Schwestern, die nach dem Selbstmord ihrer Mutter unter dem despotischen Vater leiden und um die Liebe von Asrael buhlen. Dass dann am Ende die so warmherzige wie reine Nefta den Schnitt macht und weder die durchtrieben-laszive Loretta, noch die unterkühlte Lidora, ließe sich noch irgendwie aus dem Libretto ableiten. Dieser Ansatz ist jedoch so schlecht erzählt, dass er sich ohne vorherige Lektüre des vorbildlichen Programmhefts von 230 Seiten Umfang, das neben einem zweisprachigen Libretto und vielen Informationen zu Komponist und Werk auch ein Produktionsgespräch mit dem US-amerikanischen Regisseur beinhaltet, nicht erschließt. Bühnenaufbau und die Kostüme von Sue Willmington wirken fast ein wenig billig. Plastikhelme, Holzschwerter und als Umhang übergeworfene Tischdecken erinnern an Schülertheater und, dass sich absenkender Dachstuhl und sich hebende Seitenwände Speicher und Keller und damit Himmel und Hölle symbolisieren, versteht man erst nach langem Überlegen (Bühne: Charles Edwards). Ein wenig Personenführung hätte zudem geholfen, die Geschichte in ihrer neuen Lesart zu verstehen; ich hatte allerdings stellenweise den Eindruck, dass die sich auf sieben Statisten beschränkt, die eine Nähmaschine über die Bühne tragen. Ergänzend erlebt der Zuschauer ein paar beliebig wirkende Versatzstücke aus dem Regisseursbaukasten wie „brennendes Bild“, „herunter gerissene Vorhänge“, „Licht durch offene Seitentür“ und Kalteisnebel. Schade! So bleibt Christopher Alden mit seiner Umsetzung hinter der Erwartung zurück, eine schlüssige, zugängliche Bühnenerzählung zu dieser Ausgrabung zu präsentieren.

 ©Thilo Beu

Mehr erwartet hatte ich auch von Peter Auty in der Titelpartie. Der Engländer wird im Programmheft als „einer der führenden Tenöre Großbritanniens“ beschrieben. Doch als Asrael müht er sich vom ersten Ton an ab, kämpft im Dauerforte hörbar mit den Höhen, die Franchetti so zahlreich in diese Höllenpartie geschrieben hat, und lässt dabei jegliches Gefühl vermissen. Ähnliches muss ich von den beteiligten Damen nicht berichten: Svetlana Kasyan ist eine himmlisch gute Nefta mit ihrem Sopran voller warmer Farben, ihren Emotionen und ihrer umwerfenden Darstellungskraft. Khatuna Mikaberidze ist eine anbetungswürdig verführerische Loretta mit geläufigem, sattem Mezzo voller lockender Zwischentöne. Das Damen-Trio komplett macht Tamara Gura als Lidoria mit beinahe alt-
artigem gutturalen Sound und gehaltvoller Tiefe. Der russische Bass Pavel Kudinov ist der fünfte im Bunde und überzeugt souverän als Vater, Luzifer und König gleichermaßen.

Asrael ist eine ausgesprochene Choroper; wohl deshalb hat man die Damen und Herren prominent im Publikum Platz nehmen lassen. So sind deren genau aufeinander abgestimmte Stimmen, die vielen präzise ausgeführten Phrasierungen, Klanggewalt wie feinste Töne hautnah mitzuerleben. Warum dann im vierten Akt die gerade noch so präsenten Stimmen über Lautsprecher eingespielt werden, wissen wohl nur Regie- und Leitungsteam.
Im Graben macht das Dirigat von Hermes Helfricht die musikalische Seite perfekt. Der junge Kapellmeister hat hörbar Freude an dieser Ausgrabung, besticht durch ein hohes Maß an Italianitá, ohne die Präzision zu vernachlässigen, und legt die vielen, vielen Farben in Franchettis Partitur so beschwingt wie gekonnt frei. Ein Grund, warum ein Großteil des frenetischen Jubels am Ende ihm und seinem Orchester gilt.

 ©Thilo Beu

Soll ich Ihnen diese Produktion nun trotz der missglückten Regie und des überforderten Tenors empfehlen? Ich soll! Denn Alberto Franchettis Musik ist einfach wunderbar in ihrer Vielfalt, Svetlana Kasyan und Khatuna Mikaberidze sind zum Niederknien, der Chor unter der Leitung von Marco Medved ist eine Wucht und Hermes Helfricht zaubert regelrecht im Graben.

Jochen Rüth, 17.10.2022


Alberto Franchetti – Asrael“ / Premiere am 16.10.2022 Theater Bonn

Inszenierung: Christopher Alden

Musikalische Leitung: Hermes Helfricht

Beethoven Orchester Bonn

Trailer