Bonn: „Staatstheater“

12.09.2020 – Voraufführung

Manahmanah – Ditdibidibi

Was für ein wunderschöner Abend!!!

Diese Farben! Diese Kostüme! Das Bühnenbild!

Und gesungen haben sie, als wenn es sich um Mozart gehandelt hätte!

Egal was man sich in Bonn anschaut, es ist immer traumhaft schön! – Und zwar unabhängig davon, ob es zum Stück passt, oder nicht.

Aus zwei Gründen lag es nahe, ein Stück von Kagel im Beethoven-Jahr 2020 in Bonn auf die Bühne zu bringen: Ebenso wie Beethoven war auch Kagel ein großer Neuerer, der genau wie der berühmte Sohn der Stadt eigene und neue Maßstäbe im Bereich der Musik/des Musiktheaters gesetzt hat. Und außerdem hatte Kagel mit seinem neunzigminütigen Schwarzweiß-Film Ludwig van zum 200. Geburtstag Ludwig van Beethovens (Ausstrahlung 1970) Beethoven in seine Heimatstadt, Bonn in den 1960er Jahren zurück geholt, und ihn durch die Stadt und sein Geburtshaus wandern lassen.

Mauricio Raúl Kagel (* 1931 Buenos Aires, + 2008 Köln) gilt als der wichtigste Vertreter des „Instrumentalen Theaters“, einer Art ritualisierten Konzert-Akts, in den auch die sichtbaren Begleiterscheinungen des Musizierens (Mimik, Gestik, Aktionen) mit einbezogen werden. Er leistete einen wichtigen Beitrag zur Neuen Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Verwendung von Elektronik und Tonbandzuspiel, aber auch Verweise auf traditionelle Musik, waren für den Kosmos von Kagels Musik selbstverständlich.

Als eindrucksvollstes Beispiel seiner Musiktheaterwerke ist das 1971 in der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführte Werk Staatstheater, das aufgrund von Drohbriefen unter Polizeischutz aufgeführt werden musste. Eine Aktionsgemeinschaft junger Freunde deutscher Opernkunst hatte mit einer Bombe gedroht, falls das Stück zur Aufführung käme.

In seiner 500 Seiten starken Partitur des 110 minütigen Stückes, zu der Kagel drei Jahre lang das Material auf Karteikarten sammelte, hat er nicht nur mit Klängen und Geräuschen, sondern mit allen Bühnenmitteln wie Figuren, Dekorationen, Requisiten, Beleuchtung sowie mit Bewegungsabläufen von Personen und Gegenständen komponiert.

Kagels für freie Aktionen notierte Partitur besteht aus den neun Teilen: „Repertoire. Szenisches Konzertstück“, „Einspielungen. Musik für Lautsprecher“, „Ensemble für 16 Stimmen“, „Debüt für 60 Stimmen“, „Saison. Sing-Spiel in 65 Bildern“, „Spielplan. Instrumentalmusik in Aktion“, „Kontra –> Danse“, „Freifahrt. Gleitende Kammermusik“ und „Parkett. Konzertante Massenszenen“.

Staatstheater ist der Versuch, das traditionelle Reservoir an Gesten und Gängen, an Mimik, Interieur und Haltungen zu analysieren. Dabei besteht Repertoire. Szenisches Konzertstück aus 100 oft nur sekundenlangen Aktionen (Kagel: Das Avancierteste, was ich je geschrieben habe). Später betreten Sänger die Bühne und singen Unverständliches. Mana Ana Nanan, Nama, Mana Takapu oder Pong Ping Sching, Xon Tschin Xing oder Za Za Pum Zaza, Za Za Za Za Za. Kagel hat in seinem Staatstheater die Sprache abgeschafft.

Von Heinz Josef Herbort 1971 noch als eines der wichtigsten Werke des musikalischen Theaters der Nachkriegszeit, eines der notwendigsten vor allem eingeschätzt, wird das Werk von Kagel, das seinerzeit zu einem veritablen Theaterskandal geführt hatte, in Bonn systematisch zu Pischipaschi-Kacke verarbeitet und zur völligen Bedeutungslosigkeit reduziert.

Den Schwimmbädern der Stadt droht die Schließung. Bonn feiert das Beethoven-Jahr. Die Corona-Pandemie hat die Welt fest im Griff. Aus diesen drei Bausteinen erschafft der Regisseur Jürgen R. Weber Welten, in denen sehr viel Wasser, ein angezogenes Beethoven- und ein nackiges Frauenpüppchen und Abstandsgreifer sowie Mundschutze zentrale Elemente sind. Am Ende werden die beiden Püppchen sogar zerschnitten! Der mutig zu Beginn der Aufführung zerschlagene Beethoven-Kopf wird jedoch kurz vor dem Ende wieder zusammen geklebt. – Ganz so weit wollte man offensichtlich doch nicht gehen…

Von den vielhundert Instrumenten, die Kagel eigens für dieses Stück entworfen hat, ist in Bonn nichts zu sehen. Ein paar Metronome und mit Steinchen gefüllte Styroporkugeln, die von einer ans Triadische Ballett erinnernden Personengruppe vorgeführt werden, die auf einer Hubbühne erscheint, müssen reichen. Zu ihnen gehört auch der berühmte Trommelmann, als einzige Reminiszenz an Kagels Ursprungsidee.

Solisten betreten die Bühne in traditionellen Rollenkostümen, ohne jedoch singen zu dürfen. In dieser Inszenierung sind es Kostüme des Kindertheaters, die den infantilen Eindruck der Inszenierung noch unterstreichen.

Neben den Einspielungen vom Band erleben wir drei Streicher und drei Bläser. Jedoch nicht alle Kratzgeräusche stammen von den Streichern auf der Bühne. Eines dieser Geräusche war sicherlich Kagel selbst, der sich im Grabe herum gedreht hat. Wollte er damals mit seinem Theateropus den Theaterbetrieb verunsichern und das Publikum schockieren, war hier eine Teletabbisierung des Kulturbetriebs zu erleben. Freisprachliche Vokalisen werden zu vorsprachlichem Kleinkindgebrabbel umgedeutet und virtuos ausgesungen. Einzelne Szenen klingen wie das bekannte Manahmanah – Ditdibidibi aus der Muppetshow. Es wirkt alles durchgehend albern. Ob es sich hier wirklich um Staatstheater handelt, das uns hier vorgeführt wird, oder doch nur um Kleinstadttheater, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Mit etwas mehr als 1 1/2 Stunden ein bunter und kurzweiliger Abend für die gesamte Familie, jenseits jeder Provokation. Interessierten sei der angstfreie Besuch der Veranstaltung nachdrücklich empfohlen. Mit so etwas lockt man keinen Bombenbauer mehr hinter dem Ofen hervor.

Ingo Hamacher 13.08.2020

Bilder (c) Thilo Beu

Credits

Besetzung

Yannick-Muriel Noah, Marie Heeschen, Giorgos Kanaris, Tobis Schabel, Kieran Carrel, Anjara I Bartz, Ludwig Grubert, Jugendchor des Theater Bonn, Beethoven Orchester Bonn.

Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr

Inszenierung: Jürgen R. Weber

Bühne: Hank Irwin Kittel

Kostüme: Kristopher Kempf

Licht: Friedel Grass

Einstudierung Jugendchor: Ekaterina Klewitz