Bonn: „West Side Story“

Premiere: 15.09.2019

There is a place for us

Zur Geschichte der West Side Story sind an dieser Stelle sicherlich keine weiteren einführenden Worte nötig, zählt das Musical von Leonard Bernstein (Musik) und Stephen Sondheim (Gesangstexte) doch auch heute noch zu einem der bekanntesten und beliebtesten Werke des amerikanischen Musiktheaters. So verwundert es auch nicht, dass die West Side Story immer wieder auf den Spielplänen der verschiedenen Theater auftaucht, gerade erst in der letzten Spielzeit zum Beispiel am Dortmunder Opernhaus. Stichwort Dortmund, in den vergangenen Jahren hat man am Theater Bonn gerne mal die gelungenen Musical-Inszenierungen aus dem Ruhrgebiet übernommen, nicht so bei der diesjährigen West Side Story. Hierbei setzt man auf eine komplette Neuinszenierung durch Erik Petersen, was sich als echter Glücksgriff entpuppt.

Natürlich bleibt auch in dieser Inszenierung die Handlung des modernen Romeo- und Julia-Stoffes komplett erhalten, allerdings verlegt Petersen die Geschichte geschickt aus den 50er-Jahren in die Gegenwart. Die Gangs der Sharks, bestehend aus puerto-ricanischen Einwanderern, und der „einheimischen“ Jets sind viel rauer und härter und die einzelnen Gangmitglieder sind oft wahrlich keine „Sympathieträger“. Besonders trifft dies auf Riff zu, den Anführer der Jets, der vor lauter Langeweile auch mal einen in der U-Bahn-Station schlafenden Obdachlosen übel angeht. Lucas Baier spielt diese intensive Rolle ganz hervorragend, sowohl gesanglich wie auch in den verschiedenen Kampfszenen. Besagte U-Bahn-Station ist auch der zentrale Platz der Geschichte. Hier treffen sich die Gangs. Hier hat Doc seinen Kiosk in dem Tony Cola und Zeitschriften an die vorbeieilende Menge verkauft. Und hier befindet sich auf einer oberen Ebene auch das Modegeschäft in dem Maria und Anita arbeiten. Für die Ausstattung zuständig ist Dirk Hofacker, der hier ein Bühnenbild geschaffen hat, welches selbst einige große Musicalproduktionen in den Schatten stellt.

Auf drei Ebenen erstreckt sich die New-Yorker-Subway-Station in der immer wieder die Züge ein- und ausfahren. Dies sieht nicht nur beeindruckend aus, es ermöglicht zudem schnelle Szenenwechsel. Weitere Handlungsorte wie die beiden Geschäftslokale oder auch eine kleine Polizeidienststelle sind geschickt eingearbeitet. Lediglich für Marias Wohnung fährt ein Bühnenprospekt herunter, auf dem die allseits bekannten und für dieses Stück so typischen Feuertreppen zu sehen sind, die zu Marias Wohnung heraufführen. Dass diese natürlich in dieser Form nicht begehbar sind, ist dann auch der einzige kleine Wehmutstropfen dieser fabelhaften Ausstattung. Auf Grund der Höhe des Bühnenbildes sind aus produktionstechnischen Gründen keine Übertitel verfügbar, was aber kein Problem darstellt. Die Dialoge werden in der deutschen Fassung vorgetragen, während alle Songtexte (inclusive Gee, Officer Krupke) im englischen Original verbleiben. Die Kostüme bieten bei den Gangs die typische moderne Kleidung, weiteren Rollen sind teilweise in Anlehnung an Karl Lagerfeld oder Elton John sehr phantasievoll gestaltet. Ob Lieutenant Schrank nun eher Sozialarbeiter oder cooler Undercover-Bulle sein soll, ist dem Alt-68er-Outfit allerdings nicht wirklich zu entnehmen.

Insgesamt 30 Darsteller sorgen in den sehenswerten Choreografien von Sabine Arthold für viel Schwung auf der Bühne. Und auch gesanglich bleiben hier keine Wünsche offen. Jan Rekeszus gibt als Tony mit schönem Musical-Tenor einen passenden Partner für Marie Heeschen, die als Maria mit einem detaillierten Sopran überzeugt. Auch Andreas Wolfram kann als Bernardo, Anführer der Sharks, mit Stimme und Schauspiel glänzen. Bleibenden Eindruck hinterlässt aber vor allem Dorina Garuci als Bernardos Freundin Anita. Diese Rolle verkörperte sie bereits in Dortmund, bei der Premiere am vergangenen Wochenende gelang ihr allerdings eine wahre Glanzleistung. So ist es auch nicht verwunderlich, dass man ihr bei dieser Neuinszenierung auch den Song „There is a place for us“ übertragen hat. Nachdem sie vom Tod Ihres Freundes erfahren hat, lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf. Schade nur, dass man ihr hier ein paar „Showgirls“ zur Seite gestellt hat und nicht den Mut hatte, die Bühne allein durch ihre Stimme zu erfüllen. Dies hätte dem berührenden Moment nochmal eine Extraportion Gänsehaut verliehen. Highlight des Abends, wenn man dies bei einem so runden Gesamtpaket überhaupt sagen kann, ist aber das Beethoven Orchester Bonn unter der musikalischen Leitung von Daniel Johannes Mayr. Mit einer solchen Wucht und Intensität hört man die West Side Story selten.

So bleibt am Ende nur noch zu sagen: „There is a place for us“ und dieser Platz befindet sich im Theater Bonn. Bis zum 21.06.2020 stehen insgesamt noch 27 Vorstellungen auf dem Spielplan und ich für meinen Teil, habe bisher nie eine bessere West Side Story gesehen.

Markus Lamers, 18.09.2019

Bilder: © Thilo Beu