Bonn: „Die Sache Makropoulos“

Premiere: 7.4.2019

Besuchte Aufführung: 11.4.2019

Trotz leichter Einschränkungen eine großartige Aufführung

„Eine Schönheit, dreihundert Jahre alt – und ewig jung – aber nur ein ausgebranntes Gefühl. Kalt wie Eis. Über sie werde ich eine Oper schreiben.“ So Leos Janacek. „Kalte“ Frauen wie Emilia Marty dominieren auch in anderen Opern des mährischen Komponisten, so die Kabanicha in „Katja Kabanowa“ oder die Küsterin in „Jenufa“, die am Ende freilich Selbstanklage übt und tiefe Reue zeigt.

Das Vorleben dieser beiden Frauen ist nur in Andeutungen bekannt, das von Emilia Marty in „Die Sache Makropoulos“ zunächst auch, jedenfalls für die Menschen, welchen sie auf der Bühne begegnet. 1585 wurde sie geboren und lebt 1922 (Handlungszeit der Oper) noch immer vital und mit derart blühender Weiblichkeit, daß ihr die Männer reihenweise zu Füßen liegen. Was hat es mit dieser körperlichen Konservierung auf sich? Elenas Vater, Hieronymus Makropoulos, Leibarzt von Kaiser Rudolf II., sollte für diesen ein lebensverlängerndes Elixier brauen, es jedoch vorsichtshalber erst an seiner Tochter ausprobieren. Bei dem 16jährigen Mädchen schlägt die Therapie an und läßt sie nun 337 Jahre lang leben.

Diese Umstände sind ist für die Opernhandlung, welche der Komponist nach einer Komödie von Karel Capek selber textierte, von mehr Gewicht als der einen freilich großen Handlungsumfang beanspruchende Erbprozeß zwischen den Familienverbänden Prus und Gregor. In der Bonner Aufführung wird er mit markanten optischen Akzenten bebildert. Gleich zu Beginn fallen massenweise Aktenblätter vom Bühnenhimmel. Prus und Gregor sind lebensbestimmende Namen im stark erotisch geprägten Leben von Emilia Marty, deren weitere Namen bis zu dem ihrer Geburt (Makropoulos) zurückführen. Es scheint kaum sinnvoll, diese komplizierte Vorgeschichte en detail nachzuerzählen, dafür gibt es Opernführer, die man ohnehin vorbereitend zur Hand nehmen sollte. Selbst Regisseur Christopher Alden befindet: „Man kann von keinem Publikum der Welt erwarten, dem Durcheinander der Sachverhalte … zu folgen.“ Alden hat das Werk vor zehn Jahren erfolgreich für die English National Opera inszeniert. Auch die originalsprachliche Übernahme nach Bonn wirkt, von wem auch immer aufgefrischt, stringent und plausibel.

Leichte Defizite sind freilich nicht zu verschweigen. Sie betreffen auch die Protagonistin der Aufführung. Yannick-Muriel Noah, seit 2013 in Bonn in vielen heterogenen Partien erlebt, füllt die anspruchsvolle Partie der Emilia mit ihrem weitgehend lyrisch gebliebenen Sopran intensiv aus und spielt bühnensprengend. Daß diese Emilia eine allseits adorierte Opernprimadonna ist, hätte allerdings durch eine andere Frisur, vor allem jedoch durch ein anderes Kostüm sichtbar gemacht werden sollen. Sue Willmington steckt die Sängerin jedoch in ein graues Alltagskostüm, welches so gar keine Aura erzeugt. Breitkrempiger Hut und Sonnenbrille helfen nicht weiter. Schade, daß die für sich genommen großartige Leistung von Yannick-Muriel Noah visuell so defizitär bleibt.

Aldens Inszenierung wiederum läßt Emilias Umschlag von einer gefühlskalten, Männer niedermähenden Frau zur ein weiteres Leben verweigernden Leidensfigur kaum nachvollziehbar werden. Die Bekenntnisse Emilias über ihre Vergangenheit und der plötzlich aufglühende Wunsch nach erlösendem Tod werden psychologisch allenfalls beiläufig untermauert.

Dabei hat Alden die Situation konzeptionell präzise und sogar über die Privatbelange der Protagonistin hinausreichend beschrieben. „Karel Capek und Leos Janacek lebten in einer Zeit des quälenden Übergangs. Für sie stellte die 327jährige E.M. die Weigerung dar, der Entwicklung einer Gegenwart Platz zu machen.“ Tod zu gegebener Zeit ist nun einmal conditio sine qua non, ohnehin kann dem Sterben selbst mit modernen medizintechnischen Mitteln nicht wirklich begegnet werden und sollte es auch nicht. Daß das wiederaufgefundene lebensverlängernde Rezept in Emilias Hände eingebrannt scheint, daß sie es nur mit äußerster Mühe abzuschütteln imstande ist, ergibt bei Alden zuletzt eine doch noch sehr bestechende Schlußszene.

Eindrucksvoll der hohe, verglaste Bühnenraum von Charles Edwards, von wechselnden Lichtstimmungen (Adam Silverman) suggestiv mitgestaltet. Im zweiten Akt ist die Szene mit Blumensträußen übersät, und vor den Türen warten Verehrer der Primadonna mit weiteren floralen Gebinden. Leichte Ironie prägt auch noch andere Szenen. Skurril per se die Figur des Hauk-Sendorf, welcher mit Emilia verheiratet war, als sie sich noch Eugenia Montez nannte. Jetzt versucht er, geistig schon leicht verwirrt, sie zu einer Reise nach Spanien zu bewegen, wird aber von Wärtern in eine Zwangsjacke gesteckt.

Für die gesehene zweite Vorstellung hatte sich der Rollensänger Johannes Mertes als indisponiert melden müssen, agierte jedoch auf der Bühne. Von der Seite her synchronisierte ihn vokal Clemens Bieber von der Deutschen Oper Berlin, wo „Makropoulos“ zu Beginn dieses Jahres Premiere hatte (Titelpartie: Evelyn Herlitzius). Der 63jährige Sänger imponierte mit bester Kondition.

Gleich zu Beginn macht Christian Georg als Kanzeleigehilfe Vitek mit strahlkräftigem Tenor auf sich aufmerksam. Auf hoher Qualitätshöhe ist auch das restliche Ensemble zu erleben, was gleichermaßen für das Sängerische und das Darstellerische gilt. Auf eine Individualbeschreibung der Figuren darf ebenso verzichtet werden wie zuvor schon auf eine nähere Darlegung der Handlung. Nur die Namen also: Ivan Krutikov (mit kraftvollem Baß als Jaroslav Prus), David Lee (klarstimmig als sein Sohn Janek), Thomas Piffka (mit noch immer beeindruckendem Stimmmaterial als Albert Gregor), Martin Tzonev (prägnant wie immer, jetzt als Kanzeleirat Kolenaty), Kathrin Leidig (fraulich überzeugend als Viteks Tochter Krista) sowie in kleineren Partien Susanne Blattert (Kammerzofe), Anjara I. Bartz (Putzfrau) und Miljan Miloviv (Maschinist).

Die Janacek-typisch heterogene Musik bringt der 27jährige Dirigent Hermes Helfricht mit dem Beethoven Orchester so energisch wie feinfühlig zur Geltung. „Makropoulos“ verzichtet auf Gesangsnummern im engeren Sinne und kommt auch ohne Ensembleszenen aus. Im Orchester leuchtet aber immer wieder Melodisches auf, und über dem Finale breitet sich ein friedvolles, ergreifendes Klangleuchten. In der besuchten zweiten Aufführung war die Bonner Oper allenfalls zur Hälfte gefüllt. Aber mit einer gewissen Publikumsreserviertheit gegenüber weniger vertrauten Werken ist stets zu rechnen. Umso ehrenwerter die Bemühungen des Hauses, den Spielplan immer wieder mit Raritäten zu durchsetzen. Und die Zuschauer des jetzigen Abends reagierten ja auch enthusiastisch.

Christoph Zimmermann 12.4.2019

Dank für die schönen und aussagekräftigen Bilder an (c) Thilo Beu