Bremen: „Maria Stuarda“

Premiere am 02.04.2016

Meisterhaft umgesetzter Psychothriller

Wenn man vom „Ring“ spricht, ist immer der von Wagner gemeint. Aber als Donizettis drei historische England-Opern „Anna Bolena“ (1830), „Maria Stuarda“ (1834/35) und „Roberto Devereux“ (1837), die den Zeitraum von der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts der englischen Geschichte behandeln, in einer zyklischen Aufführung in New York gespielt wurden, hat ein amerikanisches Magazin sie spontan als „Tudor-Ring“ bezeichnet. „Roberto Devereux“ wird am 16. 4. von der Metropolitan Opera im Kino übertragen; „Maria Stuarda“, der zweite Teil dieses „Rings“, hatte in Bremen Premiere. Die Inszenierung ist von Anna-Sophie Mahler, die musikalische Leitung hat Olof Boman.

In „Maria Stuarda“ geht es nur äußerlich um die historischen Ereignisse – die Oper ist in erster Linie ein Eifersuchtsdrama. Königin Elisabeth I. von England liebt den Grafen Leicester, der sich aber seinerseits zu der auf Schloss Fotheringhay gefangen gehaltenen schottischen Königin Maria Stuart hingezogen fühlt. Maria bittet brieflich um ein Treffen mit Elisabeth, um ihre Begnadigung zu erwirken. Das Zusammentreffen wird ein Fiasko. Elisabeth, eifersüchtig auf die Jugend und Schönheit Marias, verhöhnt diese, worauf Maria sie als Bastard und Schande Englands beschimpft. Die Folge ist ein Todesurteil. Elisabeth verfügt sogar noch, dass Leicester der Hinrichtung beiwohnen solle. Maria verzeiht ihren Feinden und geht gefasst zum Richtblock.

Anna-Sophie Mahler macht aus der Donizetti-Oper nach Schillers „Maria Stuart“ einen Psychothriller, indem sie sich ganz auf das „Duell“ zwischen Maria und Elisabetta konzentriert. Das Bühnenbild von Duri Bischoff verzichtet komplett auf historisches Kolorit, es ist eine Art Verhörraum mit durchlässigen Lamellen-Fenstern. Für Maria ist es ein reales Gefängnis, für Elisabetta eines ihrer von Ängsten und Zweifeln bedrängten Seele. Die Kostüme von Geraldine Arnold sind fast zeitlos schlicht gehalten, aber die Halskrause als Insigne der Macht deutet auf das historische Zeitalter.

Bevor der erste Ton erklingt sagt Elisabetta: „In meinem Ende liegt mein Anbeginn.“ Sie trägt dabei die Augenbinde, die sie später Maria bei ihrer Hinrichtung anlegen wird. In Mahlers Sicht geht es mehr um die Psyche als um einen Machtkampf, der bei Donizetti eher ein Kampf um einen Mann ist, nämlich um den Grafen Leicester, den beide lieben. Leicesters Entscheidung für Maria gibt letztlich den Ausschlag, dass Elisabetta ihre Rivalin zum Tode verurteilt. Die szenische Reduktion intensiviert die psychologisch sehr geschickt aufgebaute Spannung ungemein.

Im Eingangsbild wirbt der französische König um Elisabetta, allerdings sehr aufdringlich: Seine Gesandten führen das Hochzeitskleid schon im Gepäck. Kein Wunder, dass Elisabettas Ablehnung sehr schroff ausfällt.

Bei der Begegnung der beiden Frauen kreisen sie wie zwei Raubtiere umeinander bzw. um Leicester herum. Dieser Moment wird szenisch und musikalisch mit berstender Spannung aufgeladen. Sie sind vom Charakter zwar sehr verschieden – Elisabetta setzt auf die Ratio, Maria auf das Gefühl – aber Mahler sieht darin zwei Seiten einer Medaille. Das verdeutlicht sie mit einer ausgefeilten Personenführung, bei der jede Geste, jeder Ausbruch passgenau erarbeitet ist. Der Bühnenraum verwandelt sich unmerklich in ein raffiniertes Spiegelkabinett, mit dem Annäherung und Trennung der beiden Frauen visualisiert werden. Maria nimmt ihr Schicksal ruhig und gelassen an, während Elisabetta seelische Qualen leidet, an denen sie und ihre gespiegelten Doubles fast körperlich zugrunde gehen. Die parallel ausgeführten, gleichen Bewegungen der beiden zeigen, wie ähnlich sie sich im Grunde sind. Marias Tod bedeutet keinen Frieden für Elisabetta, auch ihre Existenz ist dadurch vernichtet.

Theresa Kronthaler war in Gesang und Ausdruck eine ungewöhnlich starke Elisabetta und stellte ein expressives, bezwingendes Porträt auf die Bühne. Was sie an gesanglichen und darstellerischen Facetten zur Verfügung hatte, war sensationell. Mit Gebärden der Macht, aber auch mit großer innerer Verunsicherung formte Kronthaler einen Charakter voller Widersprüche. Aber Patricia Andress konnte mit eher verhaltenem, weichem Sopran daneben durchaus überzeugen. Neben ihrer mit feiner Differenzierung gesungenen großen Arie „O nube! Che lieve per l’aria“ war es vor allem die lange Abschiedsszene vor der Hinrichtung, ihre Lebensbeichte, in der Andress so intensiv gestaltete, dass man fast Gänsehaut bekam. Hyojong Kim gab mit kräftigem Tenorstrahl der Verzweiflung Leicesters lebendigen Ausdruck. Neben kraftvollen, aber stets ungefährdeten Tönen konnte Kim auch mit zarteren, differenzierteren Momenten für sich einnehmen. Christoph Heinrich gab mit sattem Bass den Grafen Talbot, Loren Lang den intriganten Cecil. Marias Vertraute Anna wurde von Nathalie Mittelbach gesungen.

Der Chor, der am Ende sehr eindrucksvoll im 1. Rang postiert war, wurde von Daniel Mayr und Alice Meregaglia ganz hervorragend einstudiert.

Olof Boman ließ die Bremer Philharmoniker teilweise auf historischen Instrumenten spielen und erzeugte ein geschärftes Klangbild. Die dramatischen Zuspitzungen musizierte er geradezu atemberaubend aus. Die prallen Jagdhörner, das fulminante erste Finale und die elegische Stimmung des Schlussbildes – alles entwickelte er stimmig und wie aus einem Guss. Ein großer Abend!

Wolfgang Denker, 03.04.2016

Fotos von Jörg Landsberg