Bremen: „Rusalka“

Premiere am 11.11.2017

Die Natur versteckt sich auf dem Dachboden

Antonín Dvořáks romantische Märchenoper „Rusalka“ mit ihrer schwelgerischen Musik wird im norddeutschen Raum eigentlich viel zu selten gespielt – weltweit ist das anders. Auch in der Reihe der Übertragungen von der Metropolitan Opera wurde sie schon zweimal berücksichtigt. Da kann man dankbar sein, dass das Bremer Theater das herrliche Werk jetzt auf den Spielplan gesetzt hat.

Von den zehn Opern Dvořáks ist „Rusalka“ seine bekannteste und erfolgreichste. Zwar gilt „Die verkaufte Braut“ von Smetana als tschechische Nationaloper, aber diesen Rang könnte „Rusalka“ auch für sich beanspruchen. Die Oper entstand im Jahr 1900, danach folgte nur noch „Armida“. Die märchenhafte Handlung um eine Nixe macht „Rusalka“ zu einer tschechischen Schwester von Lortzings 1845 uraufgeführter „Undine“.

Die Geschichte handelt von der Nixe Rusalka, die unbedingt ein Mensch werden will, weil sie sich in einen Prinzen verliebt hat. Die Hexe Ježibaba erfüllt ihr den Wunsch, allerdings um den Preis, dass sie stumm bleiben muss. Der Prinz wendet sich von ihr ab und Rusalka kehrt als Irrlicht in das Reich des Wassermanns zurück. Von ihrem Fluch kann sie nur durch den Tod des Prinzen befreit werden. Sie bringt das nicht übers Herz, aber der Prinz, inzwischen von Sehnsucht nach Rusalka erfüllt, folgt ihr freiwillig in den Tod.

Regisseurin Anna-Sophie Mahler hat in ihrem Konzept das Märchenhafte vollkommen ausgespart. Es gibt im Bühnenbild von Duri Bischoff keinen See und keine Naturstimmung. Man sieht nur einen schäbigen Dachboden mit Wasserflecken an der Decke und Tapeten, die sich von den Wänden lösen. Für das Schloss des Prinzen kommen ein Sofa und eine Stehlampe auf die jetzt in etwas freundliches Licht getauchte Bühne. Aber letztlich bleibt es doch der unwirtliche Dachboden. Mahler hat die Beziehung zwischen dem Wassermann und Rusalka als Konflikt zwischen Vater und Tochter umgedeutet. Rusalka will sich von ihrer Kindheit (für die steht symbolisch dieser Dachboden) lösen und den Entwicklungsschritt zur jungen Frau vollziehen, wobei der Vater sie aber nicht gehen lassen will.

Die grünen Kleider von Rusalka und den anderen Nixen (Kostüme von Geraldine Arnold) geben nur einen sanften Hinweis auf das Wasserreich. Allerdings erinnern die Szenen vom Wassermann und seinen „Töchtern“ mit ihrer latenten Erotik an Alberich und die Rheintöchter.

Rusalka kommt natürlich nicht in der Welt des Prinzen zurecht. Beide sitzen beziehungslos auf besagtem Sofa. Vor seinen Annäherungen schreckt sie zurück. Wenn der Prinz sich mit der signalrot gekleideten Fürstin vergnügt und die Hofgesellschaft das Hochzeitskleid für Rusalka präsentiert, wirkt das fast zynisch. Zur aufwühlenden Orchestermusik stößt sie einen stummen Schrei aus – eine der gelungensten Szenen dieser Inszenierung. Das Hochzeitskleid presst sie bei ihrer Rückkehr als Relikt ihres verlorenen Glücks fest an sich.

Rusalkas Sprachlosigkeit deutet Mahler als ein Trauma; die fremde Fürstin, die den Prinzen verführt, ist hier die personifizierte Angst Rusalkas. Die Hexe kann als böse Stiefmutter gedeutet werden. Der Schluss sieht bei Mahler anders aus als im Original: Den Todeskuss gibt Rusalka nicht dem Prinzen sondern dem Wassermann. Das bedeutet ihre endgültige Befreiung. Dvořáks verklärende Musik kündet vom Glück in einer anderen Welt.

Bei dieser Inszenierung steht eher Sigmund Freud Pate und weniger Hans Christian Andersen. Mahler setzt ihr Konzept aber mit so ausgefeilter Personenführung und schlüssiger Aktion um, dass diese Umdeutung durchaus funktioniert. Zudem kann man sich über durchweg ausgezeichnete Sängerleistungen freuen: Patricia Andress gibt dem „Lied an den Mond“ zwar einen sehnsuchtsvollen Klang, findet aber erst danach mit leuchtenden Tönen zu großer Form. Die seelischen Nöte verdeutlicht sie mit sehr nuanciertem Spiel. Nadine Lehner ist als Fürstin eine elegante Verführerin der Sonderklasse – stimmlich und auch Kraft ihrer Bühnenpräsenz. Romina Boscola ist eine ebenso herzlose wie dämonische Hexe, mit imponierendem Mezzo und einer Ausdrucksintensität, die an eine Ortrud denken lässt. An Ausdruck und Intensität mangelt es auch Claudio Otelli nicht, der dem Wassermann nachhaltiges Profil gibt. Hinter seiner Maske des Biedermanns lauern Abgründe. Luis Olivares Sandoval begeistert als Prinz mit warmer, ergiebiger Tenorstimme. Für die Nymphen tritt mit Iryna Dziashko, Nathalie Mittelbach, und Anna-Maria Torkel ein stimmschönes Trio an. Der Jäger ist bei Loren Lang gut aufgehoben. Nicht zu vergessen ist die gute Leistung des von Alice Meregaglia einstudierten Chores.

Hartmut Keil, der neue 1. Kapellmeister, überzeugt am Pult der Bremer Philharmoniker ohne Einschränkung. Er bringt Dvořáks herrliche Musik glanzvoll zum Klingen, er lässt sie funkeln und aufblühen. Der romantische Duktus – hier wird er aufs Glücklichste getroffen.

Wolfgang Denker, 14.11.2017

Fotos von Jörg Landsberg