Dortmund: „Madama Butterfly“

Premiere am 15.9.2019

Spaß mit Selfies

Insgesamt betrachtet ein harmloser Saisonbeginn für das zweite Jahr Musiktheater-Intendanz von Heribert Germeshausen. Keine Experimente. Man setzt erkennbar aufs Abovolk, die Volksbühnen und Theatergemeinden. Teatro populare muß die Ränge füllen. Demnächst kommt schon wieder ein Musical (Dr. Jeckyl & Mr. Hide).

Puccini geht immer – besonders in dieser friedfertigen Form. Die beliebteste deutsche Taschentuch-Oper. Wir erleben eine brave werktreue Inszenierung von Tomo Sugao, die vom Eröffnungsabend-Publikum begeisternde bejubelt wird als habe man die Callas und Pavarotti zurück geklont und Meister Zefirelli habe seine Bühnenkunst noch einmal enthüllt. Leider ist dem nicht so, denn im einfallslos langweiligen Bühnenbild von Frank Philipp Schlössmann dominiert unselig bekannte Schiebetürenromantik und einfallslose Schrebergarten-Idylle. Da ändert auch die eingespiegelte Freiheitsstatue und die vielen No-Hope-Poster, die Obamas Leitspruch umfunktionieren nichts.

Die bunten Kostüme von Mechthild Seipel erinnern an japanische Touristen-Folklore oder Karneval, obwohl der Regisseur das erklärtermaßen laut Programmheft eben nicht zeigen wollte. Nun ja, es sah schon nett und putzig aus. Ein Kessel Buntes in der sonstigen Tristesse einer deprimierenden Story. Alles in allem tut so etwas keinem weh, reißt aber auch den Kritiker nicht zu Begeisterungstaumel hin.

Meilenweit entfernt von z.B. der phänomernale Butterfly-Produktion von Tilman Knabe am Nachbarhaus in Essen oder der aktuelle Jahrhundertproduktion in Kassel von Jan-Richard Kehl, für die sich auch die weiteste Anfahrt weiterhin lohnt.

Die Abgrenzung der Bühneausschnitte im 70er Jahre Neonröhrencharme ist ziemlich daneben geraten. Entweder hat so etwas, wenn es denn schon sein muß, Showbühnen, Vorgarten oder Bordell/Bar/Stripteaseschuppen-Charakter. In einem ernsten Stoff wie Puccinis Madama Butterfly fehl am Platz. Eine Geisha ist eben keine Konkubine! Daß kolonialkritische Aspekte in der Inszenierung völlig fehlen verwundert. Die Atombombe (Stichwort Düsseldorfer Oper)) habe ich nicht vermisst.

Solide Stadttheatermit passablen Sängern in den Hauptpartien – Anna Sohn und

Hyona Kim bei der Premiere – die nicht einbrechen sowie höhensicher und laut genug ihre Partien bewältigen. Von lyrischer Emphase ist man allerdings noch weit entfernt.

Fritz Steinbacher (Bild rechts) als Goro war für mich eine Entdeckung und ist es wert, ausdrücklich noch genannt zu werden. Ich halte ihn für einen beachtlichen vielversprechender, entwicklungsfähiger Musiktheaterdarsteller mit phantastischer Präsenz. Gute Tenöre haben den Sprung von der leichten Muse (Hairspray, Rössel, Neverland u.a.) ins größere Opernfach geschafft. Man sollte ihn unbedingt im Auge behalten.

Die Dortmunder Philharmoniker unter dem sehr flotten Dirigat von Gabriel Feltz spielen relativ ordentlich und sauber, wenngleich bei diesem Tempo die schwelgerische Italianita doch ziemlich auf der Strecke bleibt. Überhaupt ist es ein kühl inszenierter Abend mit zuviel hellem Licht und zu wenig Kammerspiel – es mangelt an athmosphärischer Dichte. Tragisches Ambiente kommt auch am Schluß kaum auf. Da braucht im Finale eigentlich niemand das Taschentuch zu zücken.

Der theatralisch-kitschige sui genere Schluß bleibt uns dankenswerter Weise in realer Darstellung erspart. Schiebetür zu – Con onor muore chi non può serbar vita con onore – Schiebetür auf: tabula rasa: Schock! Alle liegend tot am Boden. Alle…?

Nein! Nur Butterfly, Suzuki und das Kind. Oh je…

Nun gut, aber bei so einem vom Original abweichenden Schluß hätte ich dann wenigstens erwartet, daß auch die Pinkertons zeitgemäß gemeuchelt werden. Man ginge fröhlicher nach Hause und die US-Armee hätte einen Kriegsstrategen weniger. So haben mal wieder zwei total Unschuldige ihr Leben unfreiwillig geopfert. Warum Kate Pinkerton schon von Anfang an durch das Bühnenbild huscht, kann uns nur der Regisseur beantworten. Aber wer will das wissen? Immerhin stört es kaum.

Das nervige Handy-Selfie-Spektakel von Pinkerton welches einem den ersten Akt verleidet, sollte man vielleicht noch einmal überarbeiten. Ein Selfie ist ja ganz schön und wir wissen, was die Regie uns da sagen will, aber gefühlte 153 davon? Soviel Aktionismus nervt und ärgert. Tempus fiugit: B.F. ist im ersten Akt noch einfacher Offizier; im dritten Akt (drei Jahre später!) ist schon zum Fregattengeneral befördert. Sowas geht wahrscheinlich nur bei Trump. Immerhin sieht er gut aus in der Parade-Operetten-Uniform 😉

Peter Bilsing 17.9.2019

(c) Oper Dortmund

P.S.

Leider keine original Szenenbilder wie üblich, wegen rechtlicher Probleme mit den Bildern dieser Produktion. DER OPERNFREUND zahlt kein Honorar für Werbebilder.

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