Erfurt: „Gutenberg“

Uraufführung am 24.03.2016

Oper von Volker David Kirchner

Zwischen analoger und digitaler Welt – ein Jahrtausend-Mann wird besichtigt

Was war so großartig an Gutenberg? Seine Erfindung der beweglichen Lettern bescherte uns eine Flut von Büchern und machte Lesen zum Allgemeingut. Bildung und Unterhaltung für Jedermann beziehungsweise Jederfrau ist möglich geworden. Jetzt mit der Smartphone-Flut wird das Buch immer überflüssiger. Ist dieses Thema ein Grund für eine Oper? Warum nicht oder doch vielleicht! Die Kommunikation zu analysieren, das ist natürlich erklärtes Ziel entsprechender Forschungsgebiete, deren Abhandlungen sind Bibliotheken und Festplatten füllend. Reicht das für eine Oper? Eine Operngeschichte braucht immerhin eine irgendwie geartete unmittelbare Handlung. Personen entwickeln sich, agieren und reagieren und dazu gibt es eine Musik, die das Geschehen dramatisieren soll.

Das Theater Erfurt stand wohl zunächst vor dem Problem, das Volker David Kirchners „Gutenberg“Oper nur eine Stunde dauert. Deswegen hat Regisseurin Martina Veh eine szenische Kollage mit dem Titel „Digitale Revolution“ der eigentlichen Oper vorangestellt. Man weiß da nicht so richtig, wozu man geladen ist. Der Chor rezitiert bzw. singt Auszüge aus der Johannespassion und der h-Moll-Messe von Bach. Dazwischen finden Spielszenen statt, die die Auswirkungen der digitalen Revolution illustrieren. Von einem Moderator, der auftritt wie Steve Jobs und handyfummenlden extra-doofen jungen Frauen, die darüber sprechen, dass ihnen geraten wurde mal ein Buch zu lesen. Die Dialoge werden noch elektronisch verquächst durch Gunnar Geisse, der mit einer Hasenöhrchenmütze auftritt, das tut den Ohren bisweilen richtig weh, soll es sicher auch. Denn Regisseurin Martina Veh will Kontrast produzieren und die Hörer sind hin- und hergeworfen zwischen zwei Welten und dem, was sie da sehen und hören müssen. Natürlich da sind die ewigen Fragen der Menschheit. Ein Spielfeld nennt es Regisseurin Martina Veh und so verhackstückt sie Bach und lässt I-Pads regnen. In den darauffolgenden Szenen wird viel mit Papp-Menschen gearbeitet und der Chor hat ein „Schrei vor Glück oder schick es zurück“ – Erlebnis. Der konforme Mensch, der Individualität sucht, wenigstens im massenverkauften Handy. Das ist Kapitalismus-kritischer Agitprop und im Programmheft kann der Interessierte nachlesen: „Das Netz definiert die Privatheit neu“. Dazu gibt es dann den Auszug der h-Moll-Messe: „Qui sedes ad dexteram Patris, miserere nobis.“ Und so geht es munter fort bis: „Dona nobis pacem“. Für die Nichtlateiner wird übersetzt. Der Vorhang fällt und die Zuschauer spenden Höflichkeitsapplaus und es bleiben Fragen über Fragen auf der Meta-Ebene. Von der Leistung des Chores kann man angetan sein und auchSamuel Bächli dirigiert präzis auch alle Orchestereinsätze. Auch das ist eine Herausforderung für ihn gewesen.

Nach der Pause folgt die eigentliche „Gutenberg“ Oper, die aus neun Szenen besteht. Hier handelt es sich natürlich nicht um eine Historienoper. Es ist mehr ein szenisches Oratorium. Das sind knappe Kapitel-Szenen mit einer eher sprunghaften Dramaturgie, in denen Lebensabschnitte Gutenbergs dargestellt werden. Seine Kämpfe, sein Bemühen, seine Begegnungen mit Begleitern und Gegnern, das wird hier oratorisch gezeigt. Verwoben sind die Spielszenen immer mit traumhaften Elementen wie: Kriegsszenen, Streitigkeiten mit Geschäftspartnern oder der Obrigkeit und Gespräche mit seinen Unterstützern. Die Räume in denen dies stattfindet sind ein Alterssitz, seine Schreibstube, ein Wirtshaus, der Dom und die Orte reichen von Mainz über Eltville bis zum Cyber-Himmel, wo er Steve Jobs trifft. Das spannt dann den Bogen von der analogen zur digitalen Welt, unter Ausklammerung einer Chronologie. So frei wie er mit Orten und Personen umgeht, so macht Volker David Kirchner es auch mit den musikalischen Elementen, die er verwendet. Zitate von mittelalterlichen Wallfahrtsliedern, Melismen, liturgische Zitate wie: „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut…“ werden von ihm mit Klangteppichen kombiniert. Die erste Szene, die einen Rückblick bildet, hört sich auch sehr vielversprechend an. Im Verlauf der Oper bewegt sie sich aber musikalisch auf einen Dreitonschritt zu, wohl um die Binärität des Digitalzeitalters, das auf 0 und 1 basiert, anzuzeigen. Wellen und Linien haben da keinen Platz mehr, nur die Summe millionenfacher Operationen machen das Gesamte. Möglicherweise ein faustischer Erkenntnis-Weg, der mit der Frage endet, ob diese Reduktion am Ende ein Reset benötigt. Den Fortschrittsoptimismus von Steve Jobs kann Gutenberg offenbar nicht teilen.

Musikalisch wird mit Stille und Sprechgesang-Elementen gearbeitet. Die Grenzen von Klang und Geräuschen werden fließend. Klangteppiche und Intervalle überlagern sich und auf der Bühne sieht man einen Chor, deren Mitglieder im weißen Kittel und mit weißen Schädeln auftreten. In dieser Schlussszene hört man auch nur noch Sprechgesang. Wie überhaupt der Gesang im Opernverlauf gleichsam eine parallele Entwicklung nimmt in Eigenständigkeit zur Musik.

Man staunt, wie Samuel Bächli dieses Werk dirigiert. Von den Sängern wird viel verlangt, denn ihre Gesangsparts bewegen sich zwischen kurzen Melodiebögen und Sprechgesang. Da gibt es auch Stellen, die musikalisch nur sehr schwer zu ertragen sind. Die Sängerstimmen klingen oft sehr unvorteilhaft. Auf eine richtige Arie wartet man vergebens. Die Instrumentierung bietet bisweilen interessante Klangeindrücke z.B. wenn auf eine Celeste mit chromatischen Windungen dunkle Fagotte antworten.

Im Verlauf der Oper wird immer mehr mit Hörgewohnheiten gebrochen. Obwohl die Sänger wie Siyabulela Ntlale (Gutenberg), Julian Freibott (Probst/Geselle/1. Bürger), Gregor Loebel(Henrici/Wirt/2. Bürger/Bach), Nils Stäfe (Becher/Emissär/Hausdiener) und Won Whi Choi(Drizehn/Verwundeter) sowie Katja Bildt (Haushält./Frau/Schwester/Bach) und Reinhard Becker(Anführer Gruppe) Daniela Gerstenmeyer sicher viel Können aufbieten, will sich am Gesang als Ganzes nur wenig Begeisterung einstellen, die Partitur bietet ihnen dazu auch wenig Chancen. Die Chorauftritte in der Einstudierung von Andreas Ketelhut sitzen gesanglich gut.

Dramaturgisch bietet die Inszenierung vor allem zu Beginn einige optische Überraschungen. Die Akteure verschwinden hinter einer Videowand. Siyabulela Ntlale als Gutenberg geht in heutiger Kleidung in die spätmittelalterliche Schreibstube und erscheint da sofort in damaliger Gewandung. Das war perfektes Timing und schöner Bluescreen-Effekt. Solche Vorgänge finden auch mit der Krankenschwester statt. Diese Effekte stellt die Video-Firma fettfilm her und die andere Ausstattung kommt von Christl Wein. Auch die Unterhaltung zu Beginn mit einem Kind über Buchstaben wird von spannenden Videobildern begleitet. Ein Spiel mit dem Digital-Hype erwartet den Zuschauer. Da sortiert sich auch der Schauspieler Mark Pohl als Steve Jobs gut ein, der den Präsentations-Glamour gut nachmimt.

Der Schlussapplaus ist zurückhaltend, wenn auch gespickt mit wenigen Bravo- und Buhrufen. Wer sich mit Medien und Digitaler Welt kritisch auseinandersetzen will, der sollte sich das Stück anschauen. Wer musikalische Unterhaltung sucht, der sei vor Risiken und Nebenwirkungen gewarnt.

Thomas Janda 27.3.16

Bilder (c) Theater Erfurt

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)

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