Freiburg: „Die Königin von Saba“

Ein ambitioniertes Ziel

hat sich das Theater Freiburg mit der Neuproduktion von Karl Goldmarks einstigem Erfolgserstling DIE KÖNIGIN VON SABA gesetzt – und, das darf ich schon mal vorwegnehmen, vor allem in musikalischer Hinsicht reüssiert. Die Frage stellt sich natürlich, woran es genau lag, dass dieses Werk in der Zeit nach seiner Uraufführung und bis Mitte der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts so populär war und weshalb diese Oper auch nach dem Untergang der Nazidiktatur den Weg ins Repertoire nicht mehr gefunden hat.

Doch erst einmal zur Aufführung: Anspruchsvoll sind sie, die fünf Hauptpartien in Goldmarks Oper – glänzend besetzt wurden sie im Theater Freiburg: Nuttaporn Thammati ist ein hervorragender Assad. Mit seinem wunderschön timbrierten Tenor schafft er den schwierigen Spagat zwischen liedhaftem Gesang und heldischem Aplomb. Bruchlos führt er seine Stimme durch die Register, verzichtete wohltuend auf Forcieren und tenorale Schluchzer und zeichnet mit seiner klaren Diktion das Porträt dieses sich selbstzerstörerisch zwischen den beiden Frauen, der femme fatale (Königin von Saba) und der femme fragile (Sulamith), aufreibenden Jünglings. Dass er sich dazu manchmal in lächerlich spastischen Verrenkungen produzieren muss, ist wohl nicht ihm, sondern der Regisseurin anzulasten. Katerina Hebelková in der Titelpartie bringt alles mit, was die Figur der femme fatale glaubhaft erscheinen lässt: Viel Sexappeal, ein ausgesprochen erotisch klingendes Timbre in der raumgreifenden, wunderschön ebenmässig geführten Stimme, die auch in der hohen Lage nie schrill klingt. Nicht nur im Schlussakt, wo sie sich wie eine Mischung aus Barbarella, Pornosternchen Cicciolina und Catwoman raubtierartig über die Bühne schleicht, auch in den ersten drei Akten im tief geschlitzten sexy Pailletten-Abendkleid aus purem Gold (an ein Gemälde

Gustav Klimts erinnernd) macht sie eine ausgezeichnete Figur. Sie ist mit jeder Faser ihres Körpers die Frau, die sich selbstbewusst das nimmt, was ihr zuzustehen scheint, emanzipiert, stolz und eben auch verletzlich. Gerade diesen Aspekt der vielschichtigen Figur schälen Frau Hebelková (und natürlich die Regisseurin Kirsten Harms) besonders eindrücklich heraus. Als starke Gegenspielerin erweist sich Petya Ivanova als Assads Braut Sulamith. Goldmark hat hier ja auf eine ähnliche Figurenkonstellation gesetzt wie Bizet in CARMEN (die verführerische Carmen und die jungfräulich reine Micaëla).

Frau Ivanova berührt mit ihrem glockenreinen Gesang, ihrem mädchenhaften Timbre. Sie verfügt über eine strahlende Durchschlagskraft in den Ensembles. Besonders ergreifend ist ihre grosse Szene im dritten Akt: Während sie sich die Haare abschneidet, gestaltet sie mit von Trauer umflorter Stimme ihre Todessehnsucht. Am Ende dann lässt Kirsten Harms sie nicht zusammen mit Assad in der Wüste den Liebestod sterben, sondern Sulamith zerschneidet das weisse Band, welches sie symbolhaft immer an das Patriarchat gefesselt hat, lässt Assad in der wüsten Einsamkeit zurück und nimmt den selben Ausgang, welchen die Königin kurz vorher genommen hat: ein Frau hat sich emanzipiert, weil sie ahnt, dass der Mann eben (trotz aller gegenteiligen Schwüre) ein fleischlich schwacher Mann bleiben wird.

Mit eindringlicher vokaler und szenischer Präsenz überzeugt Juan Orozco als König Salomon. Klar und deutlich seine Diktion, wunderbar satt und reichhaltig strömend sein Bariton. Der weise König darf sich zwischendurch auch als Dr. Freud betätigen: Während Assad ihm seine sexuelle Begegnung mit der Königin von Saba schildert, erscheint auf der Rückwand die Projektion der berühmten Analysecouch (neben Gina Lollobrigida aus King Vidors Film) und Salomon setzt sich mit Brille und Notizbuch neben den „Patienten“. Als gestrenger Hohepriester und Vater Sulamiths verkörpert Andrei Yvan mit markantem Bass das konservative, orthodoxe Element. In der kleinen Partie der Sirene Astaroth lässt Viktoria Varga mit schönen Vokalisen aufhorchen. Ob es wirklich notwendig war, die Stimme mittels Mikrofon und Lautsprecher besonders hallig erklingen zu lassen, sei mal dahingestellt. Kraftvoll und klangschön bewältigen der Opernchor und der Extrachor des Theater Freiburg die extensiven Chortableaus. Zur Unterstreichung der patriarchalischen und strengläubigen Ordnung am Hofe Salomons haben Kirsten Harms und ihr Ehemann Bernd Damovsky (Bühnenbild und Kostüme) auch die Damen des Chores mit Bärten und Pelzhüten ausgestattet. Das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Stabführung von Fabrice Bollon interpretiert Goldmarks farbenreiche Orchestrierung mit transparentem, ausgewogenem und schlankem Klang. Bollon deckt die Sänger nie mit der üppig-schwülen Klangsprache zu, sondern überlässt ihnen das Primat. Neben aufpeitschend und mitreissend gestalteten Aktschlüssen und tollen sforzati-Effekten (Ouvertüre) sind auch ganz introvertierte Passagen zu vernehmen, zum Beispiel die wunderbare Introduktion zum dritten Akt.

Kirsten Harms inszeniert die Oper als eine Art Kampf zwischen Eros und Ratio, wie erwähnt mit etwas Freud und vielen Bildern von starkem Symbolgehalt. Einige gelungen (Klagemauer, die von der Projektion der altbabylonischen Darstellung der Lilith überlagert wird), andere etwas rätselhaft (der brennende Dornbusch) oder abgedroschen. In der Ausstattung von Bernd Damovsky dominiert natürlich Schwarz. Daraus heben sich das Goldkleid der Königen von Saba (bei ihrem ersten Auftritt regnet es Goldplättchen vom Bühnenhimmel wie bei Jauchs Wer wird Millionär) und Sulamiths weisses Hochzeitskleid besonders effektvoll ab. Ärgerlich sind die heutzutage allgegenwärtigen hässlichen, weissen Monobloc Stühle, welche beim Wüstensturm in Trümmern von oben schweben (wie im ersten Akt die Gebetsbücher). Dass mit den Monobloc Stühlen im dritten Akt dann auch gleich noch ein Sesseltanz (Reise nach Jerusalem) aufgeführt wird, trägt bloss zur Belustigung des Publikums bei und erklärt die vorzeitige Abreise der Königin. Salomon fragt sie nämlich: „Behagt mein Fest dir nicht?“ Kein Wunder dass die kluge, emanzipierte Königin diesem infantilen Getue der Orthodoxen nichts abgewinnen kann … .

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Wird diese Oper den Weg zurück ins Standardrepertoire finden? Da bin ich eher skeptisch. In Freiburg hat man die Oper von den Attributen der Grand Opéra etwas entschlackt, das Ballett z.B. gestrichen, nicht auf Opulenz der Ausstattung gesetzt, sondern das Werk auf die psychoanalytischen und emanzipatorischen Aspekte hin untersucht. Das ist durchaus statthaft und bei andern Opern aus dieser Epoche auch erfolgreich praktiziert worden. Der Autodidakt Goldmark war ein sehr begabter Orchestrierer, doch in der Behandlung der Gesangslinien zeigen sich eklatante Brüche: Das Changieren zwischen Schubertschem Liedgesang und der pathetischen Attitüde Wagners wirkt allzu unausgegoren, die grosse Linie und auch der melodische Einfallsreichtum oder die rhythmische Akzentuierung fehlen über weite Strecken. Dazu gesellt sich noch die allzu blumige Sprache des Librettos mit seinen grobschlächtigen Reimen. Nichtsdestotrotz: Dem Theater Freiburg muss man für diese Ausgrabung dankbar sein und darf sich auch auf die Veröffentlichung der geplanten CD freuen.

Und noch ein kleiner Hinweis: Für die nächste Saison ist Wolf-Ferraris DER SCHMUCK DER MADONNA geplant. Dieser veristische Reisser war einst ebenfalls ein Welterfolg: Man darf gespannt sein.

Kaspar Sannemann 17.5.15

Bilder: Theater Freiburg / Rainer Murnyi

OPERNFREUND-CD-TIPP

leider ist obige CD mittlerweile eine enebso audiophile Seltenheit, ebenso wie die folgende Aufnahme (Bild unten), die ich noch vor 10 Jahren für knappe 10 Euro erwerben konnte – nun bestimmt leider die Nachfrage den unverschämten Preis (zumindest beim größen Tonträgeranbieten)

Die Fischer-Aufnahme glänzt wenigstens mit tollen Sängern und einem grandiosen Dirigenten – auch ist die Tonqualität sehr gut.
PB