Premiere: 12. April 2019
Regie: Katarzyna Borkowska – Bühnenbildnerin von Beruf
Ich möchte die Charaktere in einer Weise beleben, die sie wiedererkennbar und lesbar machen, damit man sich mit ihren Absichten, Zuständen und Handlungen identifizieren kann. Das ist für mich one hin ein zentrales Thema im Theater, dass man in der gezeigten Welt etwas erlebt, durchlebt und dass man sich in Etwas wiedererkennt. (Katarzyna Borkoswska)
Ob sie dieses Ziel erreicht hat, muss jede Besucherin, jeder Besucher für sich selbst entscheiden. Ich für meinen Teil kann mich mit einem Vergewaltiger Giovanni, mit einem schwachen Ottavio, einem Zyniker und Intriganten Leporello nicht identifizieren. Als Mann kann ich dies für Frauen nur aus der politischen Warte beurteilen. Subtile Andeutungen, langsames heran tasten an die Charaktere ihrer Protagonistinnen und Protagonisten sind nicht Sache der polnischen Bühnenbildnerin.
Direkt und grobschlächtig wird die Sexualität der aristokratischen und auch ländlichen, bürgerlichen Gesellschaft in Mozarts Don Giovanni dargestellt.
Alle Damen werden als Edelprostituierte dargestellt, huldigen der Promiskuität. All dies ist in Da Pontes Libretto nicht vorgesehen, auch nicht angetönt. Für mich heisst dies, das Werk wurde, zumindest handlungsmässig arg verfälscht. Die Kostüme, entworfen von der Regisseurin, sind auch heute noch in Kabaretts der zwielichtigen Art Standard Uniform für die Anmache.
In dieser Bekleidung, zum Teil eher nicht-Bekleidung, treten die Sängerinnen auf die Bühne. Dazu für jede und jeden der HauptdarstellerInnen mindesten zwei Alter Egos, welche die Bühne beleben. Die Kostüme von Leporello, Don Ottavio und Don Giovanni sind moderne Alltagskleider.
Ich empfinde diese Art von Kostümierung, der krasse Unterschied zwischen Damen und Herren, als Diskriminierung der Frau, dies unter der Regie einer Frau, welche für Licht, Regie und Kostüm verantwortlich zeichnet. Dies ist unakzeptabel und einer Theaterinstitution absolut unwürdig. Politische Korrektheit muss zwingend auch auf der Bühne, einem öffentlichen Ort, vorgelebt werden.
Das Libretto beschreibt eigentlich die Personen wie folgt: Donna Anna ist eine Aristokratin, mit Don Ottavio verlobt. Donna Elvira wird im Libretto als vornehme Dame aus Burgos beschrieben. Zerlina, eine einfache Bäuerin, ist mit dem einfachen Bauern Masetto verlobt. Die Statisten sind, sollten sein, Bauern, Bäuerinnen, Musikanten und Diener.
Promiskuität ist in der Originaldramaturgie ausschliesslich Don Giovanni, einem sexsüchtigen jungen Edelmann zugeschrieben. Er ist der Mann, der dem libertinären Sex huldigt und zu diesem Zweck unzählige Frauen verführt.
Die Personenführung der Regisseurin für die HauptdarstellerInnen ist relativ statisch, oft aber auch irreührend und der Musik und dem Text wiedersprechend. So singt im zweiten Akt Sarah Traubel (Donny Anna) ihre Arie Or sai chi l’onore statisch ohne Bewegung, jedoch mit hervorragender Intonation und superber Diktion ohne Vibrato. Für mich fehlen jedoch die Emotionen.
Dafür geilt sich die unschuldige Zerlina bei ihrer Arie Batti, batti, o bel Masetto an einem Stuhl auf. Absolut unlogische, unsensible Personenführung! Zerlina wird gesungen und hervorragend gespielt von Katharina Ruckgaber.
Don Giovanni wird ansprechend interpretiert durch den Bariton Michael Borth. Seine Körpersprache wirkt echt, sein Mimik und Gestik ebenfalls. Sein Intonation und Diktion gefallen. Sein schauspielerisches Können wurde von der Regie nicht voll ausgenutzt, genauso wie dies bei Frau Ruckgaber der Fall ist. Die darstellerische Leistung würde unter einem Regisseur wie zum Beispiel Frank Hilbrich oder Elmar Goerden wesentlich prägnanter ausfallen und diese Aussage gilt für das gesamte sängerische Team.
In weiteren Rollen singen und spielen innerhalb der von der Regie gesetzten Grenzen mit guter bzw. hervorragernder Leistung: Matteo Macchioni (Don Ottavio), Inga Schäfer (Donna Elvira), Juan Orozco (Leporello), Zerlina Katharina Ruckgaber, Jongsoo Yang (Masetto) und Jin Seok Lee (Komtur).
Das Philharmonische Orchester Freiburg wurde geleitet von Daniel Carter.
Das Bühnenbild, entworfen von der Regisseurin, erinnerte stark an Bühnenbilder aus Tannhäuser, Pariser Fassung 1. Akt. Dasselbe gilt für die Choreographie von Tomasz Wygoda, welcher die Doubles der ProtagonistInnen unverständlich – eurythmisch? – gestikulieren liess. Dazu war intensives Kriechen am Boden angesagt. Die ganzen Doubles waren dauernd auf der Bühne zu sehen und lenkten vom musikalischen Geschehen ab. Es herrscht ein aktives, störendes Kommen und Gehen auf der Bühne.
Meiner Meinung nach hat Frau Borkowska eine Oper inszeniert, welche nur musikalisch mit Mozarts und Da Pontes Don Giovanni etwas zu tun hat. Ich bin kein Gegner von Neuinterpretationen, ganz im Gegenteil. Aber ich habe selten erlebt, dass eine Regie-Interpretation auch die geringsten Anforderungen an Werktreue nicht ansatzweise erfüllt.
Das zahlreich erschienene Publikum belohnte die Leistung der Sänger und Sängerinnen, des Chores und der Doubles, ebenso wie des Orchesters mit seinem Dirigenten mit dem verdienten Applaus. Bei der Regie fiel dieser Applaus doch sehr viel dünner aus.
Peter Heuberger 14.4.2019
Bilder (c) Paul Leclaire