Freiburg: „Hulda“, César Franck

Deutsche Erstaufführung: 16.02.2019

Lieber Opernfreund-Freund,

der in Belgien geborene Komponist César Franck (1822-1890) ist heutzutage vor allem wegen seiner Orgelwerke bekannt. Aber auch seine Messen (aus der für drei Stimmen stammt das berühmte Panis angelicus), die Béatitudes und seine Sinfonie d-moll sind Klassikfreunden nach wie vor ein Begriff. Sein Opernschaffen hingegen ist – zumindest hierzulande – weitestgehend unbekannt. Das möchte das Theater Freiburg ändern und gönnt seinem letzten vollendeten Bühnenwerk Hulda mehr als 130 Jahre nach dessen Entstehung die deutsche Erstaufführung.

Insgesamt vier Bühnenwerke aus der Feder César Francks sind überliefert, doch von keinem erlebte der Belgier, der im Teenageralter mit seinen Eltern von Lüttich nach Paris gekommen war, eine Aufführung. Als seine beiden Frühwerke Stradella und Le Valet de ferme entstanden, war Franck noch völlig unbekannt, Ghiselle konnte er nicht mehr vollenden. Und auch Hulda, an der er insgesamt sechs Jahre gearbeitet und die er 1885 fertig gestellt hatte, gelangte zu Francks Lebzeiten nicht zur Uraufführung. Die fand erst posthum im Jahr 1894 und zudem stark gekürzt an der Opéra Monte Carlo statt, es folgten Aufführungen in Den Haag und Toulouse 1895, ehe Hulda in der Versenkung verschwand. 1960 widmete sich die italienische RAI dem Werk, Orietta Moscucci singt in der mittlerweile auch auf youtube verfügbaren Einspielung in italienischer Sprache unter der Leitung von Vittorio Gui die Titelrolle. Das Theater hat das gesamte Werk nun für die deutsche Erstaufführung mittels des Originalautographen aus der Bibiothèque national in Paris rekonstruiert. Die klangliche Archaik orientiert sich dabei stark am Inhalt der Oper, der auf einem Drama von Björnsterne Björnson fußt, Frankcs Komposition besticht durch Verspieltheit, Orientalik und klangliche Wucht.

Die ist im Norwegen des 11. Jahrhunderts angesiedelt und handelt von Hulda Hustawick, die im Zuge grausamer Stammesfehden geschändet und, nachdem man ihre gesamte Familie umgebracht hat, mit Gutleik, dem ältesten Sohn von Sippenoperhaupt Aslak zwangsverheiratet wird. Fortan ist der Gedanke an blutige Rache ihr einziger Lebensinhalt. Ihr Geliebter Eiolf, ein Edelmann aus des Königs Gefolge, tötet ihren verhassten Ehemann im Rahmen eines Schaukampfs, ihr Schwiegervater ersticht seinen zweitältester Sohn Arne, in dem Glauben, es handle sich um Eiolf. Als sich Eiolf wieder seiner ehemaligen Geliebten Swanhilde zuwendet, trifft auch ihn Huldas Hass: Sie stiftet Gutleiks Brüder zum Mord an Eiolf an und stürzt sich von einer Klippe in den Tod.

Eine misshandelte Frau muss sich ihren Peinigern anschließen, um zu überleben, wird ausgebeutet und gedemütigt und ist deshalb vom Wunsch nach Vergeltung beherrscht. Diese Rachetragödie verlegt Tilman Knabe in den Kongo unserer Tage, in der noch heute Stammeskämpfe mit brutalsten Methoden ausgefochten werden. Davon Zeugnis gibt unter anderem das Cahier Africain, ein Schulheft in dem 300 Opfer die Gewalt und sexuellen Ausbeutung durch kongolesische Söldner schildern und das Knabe ins Zentrum seiner Interpretation stellt. An sich ein so schlüssiges wie hehres Vorhaben, würde der Regisseur sich am gestrigen Abend nicht dauernd selbst zitieren. Vor genau 10 Jahren war er mit der szenischen Umsetzung von Samson und Dalilah in Köln betraut und die Regiearbeit machte damals durch die offene und ungeschönte Darstellung sexueller und körperlicher Gewalt von sich reden. Leider ist ihm zur Visualisierung des Grauens seither nicht viel Neues eingefallen: Auch bei dieser Hulda dominieren Massenvergewaltigungsszenen, Schläge, literweise Theaterblut und allenthalben über Lautsprecher eingespielte Maschinengewehrsalven das Szenario, ertränkt in unablässig versprühten Nebelschwaden. Jede Frau muss grundsätzlich an ihren Haaren durchs Bild geschleift und mit blutverschmierten Oberschenkeln gezeigt werden, jeder Mann artikuliert sich bei jedem breitbeinigen Auftritt immer derb gröhlend und frauenverachtend. „Aber so ist nun einmal die Gewalt“ mögen Sie erwidern, lieber Opernfreund-Freund, und damit haben Sie auch recht. Ich habe auch nichts gegen diese Lesart, finde allenfalls die akustischen Beeinträchtigungen der doch immerhin zum ersten Mal in Deutschland gespielten Partitur mitunter zuviel. Eiolf als Blauhelmsoldaten zu zeigen, ist eine geniale Idee und auch die Mixtur aus afrikanischer Kriegerin und geschundener Frau, als die er Hulda interpretiert, ist schlüssig.

Allerdings treten Schwächen zutage, wenn der szenische Bombast einmal weggelassen wird – wie hier im zweiten Akt, den meine Augen und Ohren als Insel der Wohltat willkommen heißen. Den siedelt Knabe in einer Art afrikanisch-folkloristischen Rückzugsort Huldas an, in dem sie einmal nicht Rachegöttin spielen muss. Hier hört man kein Stöhnen und Ächzen von Statisten, keine Maschinengewehre, sieht keine Kämpfe und Vergewaltigungen und vergleichsweise wenig Blut – und übrig bleibt ein wenig Rampengestehe. Doch auch das sei geschenkt, hätte Knabe sich auf einen thematischen Focus beschränkt. Aber darüber hinaus muss partout noch die moderne Kolonialisierung in Form von Ausbeutung der Bodenschätze – in Freiburg durch chinesische Investoren – thematisiert werden. Und damit nicht genug: ich steige spätestens beim ausufernden imperialismuskritischen Essay aus, der während des Vorspiels zum dritten Akt doch bitte genau mitzulesen ist; das ist dann doch ein wenig viel moralischer Zeigefinger. Vielleicht hatte Tilman Knabe mich aber auch schon bei der gefühlt hundertsten Vergewaltigung, nach der die Frau noch ein paar saftige Ohrfeigen mitbekommt, verloren.

Uneingeschränkt gelungen ist die Ausstattung in Freiburg. Kaspar Zwimpfers Bühnenaufbau visualisiert ein Township in Afrika mit all seiner Trostlosigkeit, die Drehbühne ermöglicht zudem rasche Umbauten zum zerschossenen Hotel Leopold II samt Terrasse oder Huldas bereits erwähnter Kammer. Die Kostüme von Eva Mareike Uhlig sind von außerordentlicher Güte, mannigfaltig, farbenfroh, detailreich, überzeugend. Das Licht von Dorothee Hoff wird geschickt eingesetzt, um Stimmungswechsel zu unterstreichen. Doch würde alles nicht funktionieren, könnte man sich nicht auf so eine herausragende Sängerriege verlassen.

Wo viel gestorben wird, werden die Partien oft recht kurz. So ist es ein Jammer, dass uns Anja Jungs süchtig machender, voluminöser Mezzo nur während des Prologes und mit einem innig vorgetragenen Gebet gegönnt wird. Auch Ensemblemitglied Juan Orozco, stimmlich und darstellerisch mit beeindruckendem Bariton präsent, haucht allzu früh sein Bühnenleben als Gutleik aus. Jim Soek Lee als sein Bühnenvater Aslan verfügt über einen imposanten Bass, der ihn für die Rolle des Stammesoberhauptes prädestiniert, als dessen Gattin Gudrun glänzt Katerina Hebelková. Katharina Ruckgaber gefällt mir als Thordis mit geschmeidigem Sopran, während die Stimme von Irina Jae Eun Park, die eine überwältigende Swanhilde gibt, mich mit ihrer Klarheit und Brillanz berührt. Die Koreanerin, seit dieser Spielzeit neu am Haus, macht Lust auf mehr. Für die Figur des Eiolf bringt das junge Ensemblemitglied Joshua Kohl die nötige Kraft, Versiertheit und einen großen Farbenreichtum mit. Er fügt über einen baritonal gefärbten Tenor, der im Gedächtnis bleibt, und sein Duett mit Swanhilde wäre sicher mein Höhepunkt des Abends, wäre da nicht sie: Morenike Fadayomi ist mit der Verkörperung der Hulda betraut und das nimmt das jahrelange Ensemblemitglied der Rheinoper in Düsseldorf/Duisburg wörtlich. Ab der ersten Sekunde wird die in London geborene und zeitweise in Nigeria aufgewachsene Sopranistin zur Inkarnation ihrer Figur. Zwar spricht die Mittellage nicht immer unmittelbar an und auch die Registerwechsel geraten mitunter ein wenig grob. Was die Vollblutkünstlerin allerdings mit betörenden Pianobögen in der lupenreinen Höhe macht, verschafft mir eine ebensolche Gänsehaut wie ihr intensives, präzises und durch die Bank überzeugendes Spiel. Eine wahre Charakterstudie dieser vielschichtigen Frauenfigur, die Morenike Fadayomi da im Rahmen einer gesanglichen Mörderpartie abliefert. Von den zahlreichen kleineren Rollen bleibt mir vor allem Arne in Erinnerung, den der junge Südkoreaner Jongsoo Yang mit Bravour meistert.

Im Graben zaubert GMD Fabrice Bollon einen Klangteppich, präsentiert César Francks Partitur als eine Mischung aus schwelgerischem Massenet und farbenreich-orientalistischem Bizet, gewürzt mit einer Prise Wagner’scher Tiefe. Das Philharmonische Orchester Freiburg ist in Bestform und spielt mit großer Freude auf. Der Chor, von Norbert Kleinschmidt betreut, leistet Großes und Großartiges und macht den Abend so musikalisch rund.

Als sich der Vorhang senkt, ist das voll besetzte Haus innerhalb von Sekunden aus dem Häuschen, bejubelt alle Mitwirkenden, allen voran Irina Jae Eun Park, Joshua Kohl, Morenike Fadayomi und Fabrice Bollon mit langanhaltendem und nicht enden wollenden Applaus und Bravorufen. Als sich die Regie zeigt, ist dann doch etwas anders, als vor zehn Jahren in Köln. Seinerzeit gab es noch einen handfesten Skandal, Chorstreik und Umbesetzung der weiblichen Hauptrolle inklusive, und einen Buhorkan schon zur Pause. Heutzutage regt die radikale Lesart und das permanente Zeigen von Gewalt niemanden mehr auf, zwar ertrinkt Tilman Knabe samt Produktionsteam nicht in Vivat-Rufen, doch zumindest wohlwollender Applaus ist ihm gegönnt.

Ist das nun ein Erfolg? Ist das Publikum 2019 eher bereit, sich mit Knabes roher Bildsprache auseinander zu setzen als 2009? Ist man als Zuschauer abgestumpfter? Unempfindlicher geworden durch die Bilder aus Nachrichten und Fernsehen? Oder durch ähnliche Bilder auf ähnlichen Opernbühnen?

Machen Sie sich selbst ein Bild, lieber Opernfreund-Freund. Gönnen Sie sich dieses Werk unbedingt! Wenn nicht bei einer der Vorstellungen in Freiburg, dann auf DVD, die zeitnah von dieser Produktion erscheinen wird.

Ihr Jochen Rüth 17.02.2019

Die Fotos stammen von Tanja Dorendorf

P.S.

Dank Youtube hier eine Aufnahme von 1960 aus Mailand zum Reinhören

OPERNFREUND Plattentipp

Leider nur noch als Venyl Box erhältlich