Freiburg: „The Black Forest Chainsaw Opera“, Stef Lernous

(UA 5.5.) – Vorstellung vom 17.5.2018

Wenn die Zuschauer massenweise angeekelt fliegen…

Um es für einmal vorweg zu nehmen: Das war das Schrecklichste, das ich je auf einer Bühne gesehen habe. Die zahlreichen Zuschauer, die während der Aufführung (und das war nicht einmal die Premiere, sie waren also gewarnt) den Saal verliessen, waren der gleichen Meinung. Allerdings – auch gleich vorweg: Genau diese Reaktion war beabsichtigt. Schliesslich ist der für Konzept, Regie und Kostüme verantwortliche belgische Theaterschaffende Stef Lernous ein glühender Fan des für diese Produktion als Vorbild dienenden Trash-Horrorfilms „The Texas Chain Saw Massacre“ von Tobe Hopper aus dem Jahre 1974 (2003 gab es ein Remake von Michael Bay, übrigens 1990 auch eine deutsche Version von Christoph Schlingensief). Auch dieser Film spaltet seine Zuschauer in Abschalter (resp. aufs Klo rennende) und glühende Verehrer.

Die Story des Films ist relativ einfach und wurde inspiriert vom Fall des Serienmörders Ed Gein: Eine Gruppe von fünf jungen Leuten fällt in Texas einer kannibalistischen Familie ehemaliger Schlachter in die Hände, nur eine junge Frau entkommt.

Stef Lernous, der dieses Stück in Koproduktion mit seiner für verstörende Aufführungen bekannten belgischen Theatergruppe „Abbatoir Fermé“ (was passenderweise so viel wie „geschlossenes Schlachthaus“ heisst) einstudiert hat, versetzt die Szenerie in ein abgelegenes heruntergekommenes Blockhaus im Schwarzwald mitsamt Hirschgeweih und Kuckucksuhr (Bühne: Sven Van Kuijk), und setzt auch inhaltlich eigene Akzente. So handelt sich bei den Eindringlingen um ein Produktionsteam von Horrorfilmen oder der Sohn beginnt eine stürmische Affäre mit einer leicht durchgedrehten Dame, bevor er diese zerstückelt. Effektvoll auch, wie die Kinder die Schädel vergangener Opfer vor sich halten und im Wiegeschritt fast anklagend diese repräsentieren. Natürlich dürfen die beinahe sehnsüchtig erwarteten Horrorutensilien wie Fleischerschürze, Kettensäge und Hammer (mit dem einem Opfer auch mal bühnenwirksam der Schädel eingeschlagen wird) nicht fehlen.

Da es sich um eine Oper handelt, wird auch gesungen. Grosses Lob für das einzige Orchestermitglied, den am Bühnenrand spielenden Pianisten Mihai Grigoriu, der nicht nur das Hauptthema komponiert hat, sondern auch in das Geschehen mit einbezogen wird, zum Beispiel ebenfalls zur Zigarette greift, wenn es alle anderen tun. Die Arien sind ein bunter Mix aus Geklautem: Schwedische Volkslieder, Abba, „In Dreams“ von Roy Orbison (gesungen von einem Schwarzwaldmädel, bevor es unter grausamen Schreien in ein Bodenloch gezogen wird), Lieder von Brahms, Dvořák und Purcell, im krassen Gegensatz natürlich zum Optischen.

Die Schauspieler von Abbatoir Fermé (Inga Schäfer, Chiel van Berkel, Tine Van den Wyngaert, Kirsten Pieters) und des Theaters Freiburg (mit herausragender Stimme: Roberto Gionfriddo, daneben Janna Horstmann, Lukas Hupfeld, Holger Kunkel) geben wirklich ihr Bestes, dennoch wirkt die Oper wie eine Anreihung eindrücklicher Horrorszenen, ohne dass ein wirklicher Ablauf zu erkennen ist: Eine Schauspielerin erscheint als Äffin mit voller Körperbehaarung, ein nacktes Paar wird zur Beobachtung in einen Glaskäfig gesperrt (passend zur Musik der „zwei Königskinder“), eine Schönheitskönigin wird mit roten Trauben so vollständig eingerieben, dass es scheint, als würde man ihr die Gedärme herausreissen, usw. Eindrückliche, schreckliche Bilder ohne Handlungsstrang, lose inspiriert von amerikanischen Horrorfilmen, die das Prädikat „absolut sinn- und wertlos“ geradezu herausfordern.

Ich verliess das Theater mit dem gleichen flauen Gefühl im Magen wie beim kürzlichen Besuch der Comic-Con mit meinen Teenagern: Den Freaks wird’s gefallen.

Alice Matheson 31.5.2018

Bilder*

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