Freiburg: „The Turn of the Screw“

Premiere: 9. November 2019

Henry James schrieb die Erzählung im Jahre 1898. Veröffentlicht wurde die Geschichte als Fortsetzungsroman in zwölf Fortsetzungen von der Zeitschrift "COLLIER’S WEEKLY". Das Libretto für die Kammeroper von Benjamin Britten erarbeitete Myfanwy Piper, die Uraufführung der Komposition fand am 14. September 1954 im Theater "La Fenice" in Venedig statt. Dazu ist anzumerken, dass einige Werke von James in Venedig spielen.

Zu Freiburger Inszenierung schreiben Peter Carp als Spielleiter und Heiko Voss als verantwortlicher Dramaturg im Programmheft:

>Wir entschieden uns für eine größere Anzahl kürzerer Szenen, durch musikalische Zwi-schensätze verbunden, die in demselben Maße ein Bestandteil der Handlung und ebenso unentbehrlich für ihre Weiterentwicklung zu sein hatten wie die reflexiven Kapitel des Buches. Die Oper hat zwei Akte und einen Prolog. Jeder Akt acht Szenen, jede Szene eine kleine Episode, die nicht nur die Handlung um einen Schritt weiterträgt, sondern auch typisch dafür ist, wie sich das Leben der vier Menschen in Bly abspielt typisch auch für die Art und Weise, wie die verschiedenen Beziehungen zu den Gespenstern Quint und Miss Jessel beeinflusst werden.

Die offensichtlichen dramaturgischen Probleme, die sich aus einer Aneinanderreihung zahlreicher kurzer Szenen ergeben, sind erstens Kontinuität ständig auf einen Nenner zu bringen und zweitens Klarheit. Diese suchten wir dadurch zu wahren, dass jede Szene nur ein wichtiges Ereignis enthielt oder nur einen Aspekt des Problems umriss. Jene, die Kontinuität, hat Britten dadurch gesichert, dass er jedes einzelne musikalische Zwischenspiel als Variation auf das zu Beginn des ersten Aktes aufgestellte Thema komponierte. Je nach der Stimmung des Zwischenspiels (das immer die der folgenden Szene vorwegnimmt), sei es in hellen Farben, sei es in tragischem Dunkel gehalten, bleiben die düsteren Töne des Themas und damit die Erscheinungen, die sich spukhaft durch die ganze Handlung hinziehen, dem Bewusstsein immerwährend gegenwärtig<. (© Theater Freiburg)

Der Besucher dieser Oper muss sich im Klaren sein, dass es am Ende keine Erklärung für die Geschehnisse in Bly gibt, es findet kein Happy End statt, die Geschichte endet mit vielen offenen Fragen, Möglichkeiten für Unterschiedliche Gesichtspunkte: Was? Warum? Wie? Wer?

Ein Kenner von Henry James hat mir gegenüber ausgedrückt, dass sich "THE TURN OF THE SCREW" anhört, wie wenn man ein Bild von M. C. Escher anschaut. Je nach Blickpunkt, Standpunkt ändert sich die Perspektive, das Empfinden, alles ist relativ, subjektiv!

Die Inszenierung des Werkes ist Peter Carp hervorragend gelungen. Ich frage mich immer noch: War es ein Schauspiel mit gesungenem Text, war es eine Oper mit faszinierend spielenden und singenden Sängerinnen und Sängern? Für mich war es Beides: Eine Oper und ein Schauspiel, bravourös in Szene gesetzt.. Die Personenführung Carps ist zielführend, die dramaturgische Umsetzung der Erzählung durch Voss klar strukturiert und die Fortsetzung der Handlung zwingend gewährleistet. In keinem Moment kommt Langeweile auf. Dies ist auch der schauspielerischen Leistung des gesamten Teams auf der Bühne zu verdanken.

Jede der einzelnen Szenen fand in einem unterschiedlichen Dekor statt. Die Drehbühne in Freiburg leistete Schwerarbeit. Das Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer unterstützte die relativ düstere Geschichte, unterstützt durch die Lichtführung von Dorothee Hoff und die Kostüme von Gabriele Rupprecht. Die Farben der Kleider wiederspiegeln die jeweiligen Emotionen, die Psyche der Protagonisten und Protagonistinnen in beispielhafter Weise.

Unter der Stabführung von Gerhard Markson interpretierte das Philharmonische Orchester Freiburg die nicht einfache Musik Brittens mit fühlbarer Empathie und präziser Rhythmik und gelungener Dynamik.

Eine grossartige Leistung war die Arbeit der beiden Kinder Flora und Miles. Katharina Bierweiler singt und gespielt Flora glaubwürdig mit sauberer Diktion und makelloser Intonation. Dasselbe kann für den Darsteller/Sänger von Miles, Thomas Heinen, gesagt werden. Die beiden Jugendlichen Bühnenkünstler sind Mitglieder des "Cantus Juvenum Karlsruhe". Ich kann nur schreiben: BRAVI!

Joshua Kohl singt den Prolog und interpretiert Peter Quint. Sein strahlender Tenor ist auch in leisen Stellen immer verständlich, sein Intonation und Diktion makellos, seine schauspielerische Leistung überzeugt.

Solen Mainguené interpretiert die unerfahrene Gouvernante auf eine Art, welche aufhorchen lässt, welche aufsehend erregend ist: Das Wechselspiel ihrer Gefühle drückt sie mit perfekter Mimik, hervorragender Körpersprache und klarer Gestik aus. Ihr Gesang vom leisesten Ton bis zum hysterischen Aufschrei ist geprägt von einer Musikalität, welche ihresgleichen sucht. Gepaart ist diese Leistung mit einer sicheren Intonation und einer klaren Diktion und dies ist in einem Werk aus literarischen Erbe von Henry James unerlässlich.

Als Haushälterin auf der Bühne Judith Braun, eine wichtige Antagonistin zur Gouvernante. Was ich von Mainguené geschrieben habe, gilt auch für Braun. Ihre Rolle ist allerdings nicht ganz so emotionell, so spektakulär angelegt. Sie bleibt eher im Hintergrund.

Inga Schäfer als Miss Jessel, zusammen mit Kohl als Gespenster bleiben im Hintergrund. Ihre Auftritte sind selten, aber wichtig für den Ablauf der Geschichte und auch für das Nichtverständnis des Geschehens, für das Ende ohne Abschluss. Diese beiden Figuren sind es, welche nicht greifbar sind, welche nicht erklären und zeigen was ihre Geschichte ist. Schäfer singt und spielt mit gewohnter Präzision, klarer Diktion und sauberer Intonation.

Das Premierenpublikum belohnte die hervorragende Leistung des gesamten Teams mit stürmischem Applaus und zahlreichen Bravi-Rufen. Besonderen Applaus erhielten die beiden jugendlichen KünstlerInnen des Cantus Juvenum Karlsruhe.

Peter Heuberger, Basel

© Paul Leclaire