Hagen: „Avenue Q“

Premiere: 5. September 2015

Wie wäre es, wenn die Puppen aus der Sesamstraße ihre Sexualität entdecken würden, miteinander im Bett landen und einige Figuren sogar schwul wären? Das Broadway-Musical „Avenue Q“ beantwortet diese Fragen. Nachdem das Stück 2012 bei seiner deutschen Erstaufführung in Mannheim einen starken Eindruck machte, ist auch die Premiere am Theater Hagen ein Riesenerfolg.

Die Tatsache, dass dieses Stück beim Publikum so einschlägt, hat neben den frechen Songtexten und der flotten Musik von Robert Lopez und Jeff Marx vor allem damit zu tun, wie Puppen und Menschen hier miteinander spielen: In der New Yorker Avenue Q leben beide Spezies nämlich friedlich miteinander.

Hausmeister der Straße war in Mannheim Daniel Kübelböck (nicht der echte, sondern auch er wurde gespielt), in der Hagener Aufführung ist es ABBA-Sängerin Agnetha Faltskög, die von Marilyn Bennett verkörpert wird. Das funktioniert erstaunlich gut, weil Bennett ein beliebtes Ensemblemitglied ist und aus den ABBA-Songs immer wieder Lebensweisheiten wie „That´s the name of the game“ oder „The winner takes it all“ eingestreut werden können, die einen sicheren Lacher garantieren.

Die einzigen anderen Menschen der Straße sind das Paar Christmas Eve und Brian, sie ist Therapeutin, er ein erfolgloser Komiker. Maria Klier spielt die Eve mit präziser Hysterie, während Tillmann Schnieders den Brian mit einer tapsigen Lässigkeit versieht.

Die anderen Figuren sind Puppen: Da sind die Ernie- und Bert-Doubles Nicky und Rod, bei denen Rod mit seiner Homosexualität hadert. Kim-David Hammann und Michael Thurner gelingt das Kunststück, dass sie zwar als Puppenspieler auf der Bühne immer körperlich präsent sind, aber soviel Energie in ihre Puppe fließen lassen, dass man die Darsteller nicht mehr als die eigentlichen Akteure wahrnimmt, sondern als Menschen, die neben der Puppe stehen.

Carolina Walker und Nicolai Schwab, die das Puppen-Liebespaar Kate Monster und Princeton spielen, sind darstellerisch etwas präsenter und verschwinden nicht hinter der Puppe. Bei ihnen nimmt man den Charakter als Doppelexistenz aus Akteur und Handpuppe war. Kates verruchte Nebenbuhlerin ist die Nachtclubsängerin Lucy, die von Joyce Diederich mit großer Soulstimme angelegt wird. Der schrägste Typ der Nachbarschaft ist Trekkie Monster, der von Maciej Bittner gegrölt wird.

Trekkie verkündet in einem der Songs „Das Internet ist für Porn“ und auch ansonsten scheren sich die Texte nicht um politische Korrektheit. Da heißt es einmal „Jeder ist ein bisschen rassistisch“ und auch die „Schadenfreude“ wird groß besungen.

Regisseur Sascha Wienhausen hat sich mit Ausstatterin Ulrike Reinhard sowie Choreographin Barbara Tartaglia weitgehend am Original orientiert. Wahrscheinlich scheint es da einige Auflagen zu geben, die ein Theater erfüllen muss, um „Avenue Q“ aufführen zu dürfen, denn sowohl in Mannheim als auch Hagen wird nicht mit selbst entworfenen Puppen gespielt, sondern mit den Rick Lyon entworfenen Originalpuppen.

Dem Publikum wird ein flotter, unterhaltsamer Abend präsentiert. Die von Kapellmeister Steffen Müller-Gabriel geleitete Band ist bestens aufgelegt, und die jungen Akteure, die fast durchweg ihr Musical-Studium an der Hochschule Osnabrück absolvieren, zeigen sich hochmotiviert und haben sichtbar Spaß an ihren Rollen. Natürlich haben auch einige ihrer Kommilitonen den Weg nach Hagen auf sich genommen, um die Studienkollegen zu bejubeln, aber im Publikum sitzen auch viele Inhaber eines Premieren- Abonnements, und bei denen scheint dieser Abend genauso gut anzukommen: Nach zweieinhalb Stunden gibt es stehende Ovationen.

„Avenue Q“ wird in Hagen bis Mai 2016 noch zehn Mal gespielt. Gastspiele gibt es am 24. und 25 Oktober in Minden sowie am 19. Dezember und 2. Januar im Theater Osnabrück.

Rudolf Hermes 6.9.15

Bilder Theater Hagen