Hagen: „Der Rosenkavalier“

„Ihrem Ende eilen sie zu“ überschrieb ein Magazin kürzlich die Situation des Theaters Hagen. Auf 13,5 Millionen € sollen die städtischen Zuschüsse 2018 eingefroren werden. Dann sind Intendant Norbert Hilchenbach (Pensionierung) und GMD Florian Ludwig nicht mehr am Haus, andere vieleicht auch nicht mehr. Wer nachkommt (wenn überhaupt) ist ungewiss. In der nächsten Saison zeigt das stets rührige Haus im Bereich Musiktheater erst noch einmal Flagge. An Repertoirewerken gibt es „Lucia“ und „Holländer“; mit Ludger Volmers „Tschick“ (UA) und HK Grubers „Geschichten aus dem Wienerwald“ wird zeitgenössisches Schaffen besonders stark berücksichtigt. In seiner noch laufenden TV-Reihe „Wie du warst, wie du bist – Opernland Nordrhein-Westfalen“ stellte der Westdeutsche Rundfunk kürzlich auch das Theater Hagen vor, welches in seiner Geschichte schon so manche Existenzbedrohung überlebt hat, so die Bilanz des Autors Georg Quander. Aber darauf sollte man sich nicht dauerhaft verlassen.

Wie zum Trotz gibt es jetzt den personalaufwändigen „Rosenkavalier“, wo man die Kleinpartien teilweise aus dem Chor besetzt, wie schon bei der letzten Produktion des Werkes 2002/3. Pauschales Lob ohne Namensnennung. Allerdings ausdrückliche Hervorhebung des Philharmonischen Orchesters Hagen, welches fast über sich hinaus wächst. Unter Florian Ludwig gelingt die Mischung aus Klangsüffigkeit und instrumentaler Scharfzüngigkeit ganz hervorragend. Hohe Spielkonzentration. Bei den Sängern gibt es darüber hinaus zwei nachgerade exemplarische Rollenporträts: Maria Klier (Sophie) und Rainer Zaun (Ochs). Davon später mehr. Schade, dass in diesen Befund die szenische Realisation nicht einbezogen werden kann.

In der Johann-Strauß-Operette „Karneval in Rom“ gibt es eine Nummer mit dem Text „Gott Amor schickt Pfeile“. Ob Regisseur GREGOR HORRES diese Nummer kennt? Seine Inszenierung nimmt immerhin Bezug auf das barocke Gemälde „Amor und Psyche“ von Francois-Edouard Picot (durchscheinender Hauptvorhang). Diese beiden Figuren durchgeistern verschiedentlich die Aufführung als Tänzer. Nett, harmlos. Da sind die Rahmenbilder wesentlich gewichtiger.

Zu Beginn verabschiedet sich der greise „Feldmarschall“ von seiner Gemahlin, der Fürstin Werdenberg (angesichts der modernen Ausstattung sind etliche Rollenbezeichnungen freilich zu relativieren), am Ende kehrt er zurück und „ersetzt“ damit auch den Auftritt des kleinen Mohren (der zuvor eine weibliche Bedienstete ist). Das alte Leben hat diese beiden Menschen wieder. Mit undurchdringlichem Gesicht sitzt die Marschallin während des „Traum“-Duetts an der Rampe und scheint zu sinnieren (vielleicht über einen nächsten jungen Verehrer).

Auch der Regisseur scheint zu sinnieren, ohne jedoch inszenatorisch zu einem wirklichen Ziel zu gelangen. Er bildet die Konturen der Handlung ab, ohne aber die fragilen Emotionen seiner Protagonisten unter der Oberfläche zu erschließen. Lieber widmet er sich Lachen machenden Details wie dem Entsetzen von Coiffeur Hippolyte über das harsche Urteil der Marschallin, er habe „ein altes Weib“ aus ihr gemacht, oder er bevölkert das Geschehen im Beisl mit überflüssigem Nuttenpersonal.

Auch die Bühnenoptik ist ein Problem. Nicht die Kostüme (Yvonne Forster), wohl aber die bühnenhohen und fahrbaren Regalwände von Ausstattungsleiter Jan Bammes, wie zur Aufbewahrung von Stasiakten angefertigt und von gesichtsvermummten „Friedhofsbeamten“ immer wieder neu arrangiert, wann immer es passt oder auch nicht. Die kalte Nüchternheit dieser (sparzwängig ersonnen?) Bauten reibt sich permanent an der Opulenz von Straussens Musik.

Zwei Positiva hält die Inszenierung (neben der Präsenz des „Feldmarschalls“) allerdings bereit und führt fraglos auch zu den exzellenten Porträts der beiden vorhin schon genannten Sänger. Wie Maria Klier sich von einem duckmäuserischen Heimchen zu einer emanzipationsbereiten jungen Dame entwickelt, ist einfach hinreißend. Besonders anrührend ihre Reaktion, wenn ihr klar wird, dass sich der ach so liebevolle Octavian erotisch seine Hörner bereits abgestoßen hat. Die Worte „So geh‘ er doch hin“ werden kaum noch gesungen, sondern verzweifelt heraus geschrien. Vokal zeigt sich die Sopranistin zumal in den heiklen Höhen ohne Fehl und Tadel. Rainer Zaun verfügt über keinen dröhnenden, auch nicht über einen schwarzen Bass, als Persönlichkeit ist er jedoch ein Schwergewicht. Wie er den einigermaßen clochardhaft und bajuwarisch (!) ausstaffierten Rüpel (was könnte der etikettengeile Faninal von diesem Rindvieh für seine gesellschaftlichen Eitelkeiten erwarten?) souveräne Schlitzohrigkeit ersingt und erspielt und ebenso körperintensiv wie detailreich in der Gestik diesen sanguinischen Genussmenschen konturiert, fasziniert nachhaltig.

Und dann kommt ein Moment, wo man fast weinen muss, weil’s gar so schrecklich ist. Wenn im dritten Aufzug die ganze Gesellschaft rächend über den Widerling herfällt, zeigt sein Gesicht (und auch das seines Kumpanen Leopold) echte Verzweiflung. Er versteht einfach die Welt nicht mehr, sein vollsaftiges Lebensverständnis nimmt (vermutlich) irreparablen Schaden. Ein Untergang, welcher mitleidig stimmt.

Veronika Haller gibt feinstimmig und pianosanft die Marschallin (mimisch bleibt sie ein wenig äußerlich), Kenneth Mattice vollstimmig und cholerisch, aber nur bedingt differenziert den Faninal. Als Leitmetzerin präsentiert sich die wie eine Krankenschwester gekleidete Sophia Leimbach mit leicht scharfem Sopran, Kejia Xiong gibt nicht ohne Höhenstress die beiden extremen Tenorpartien der Oper (Sänger, Wirt – auch Haushofmeister). Von Kristine Larissa Funkhauser sind etliche schöne Partien in Erinnerung. Der Octavian scheint sie jedoch zu überfordern, abzulesen nicht zuletzt an der durchgehend vagen Intonation. Es tut einigermaßen weh, dies aussprechen zu müssen.

Christoph Zimmermann 5.6.16

Bilder (c) Theater Hagen