Wie prickelnder Champagner moussiert gegenwärtig Jacques Offenbachs „Ritter Blaubart“ über die Hagener Theaterbühne. Blaubart und seine sieben Frauen waren als Bartóks, dem Schauspiel „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Balázs‘ gleichnamigen Schauspiel verpflichtete Oper, bereits Anfang 2022 in Hagen thematisiert worden. Ganz anders als Balázs‘ symbolistisches Psychodrama benutzen Offenbachs Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy die Blaubart-Legende, um den Parisern 1866 ihre Diskrepanz zwischen Ehemoral und erotischer Praxis unter die Nase zu reiben und dabei den Mächtigen eins auszuwischen. Ritter Blaubart trauert nur kurz über den Tod seiner fünften Frau, um gleich darauf einen Essay-Wettbewerb auszuschreiben, damit er eine neue Partnerin mit mehr Bildung findet. Es gewinnt überraschend die eher straßengörighafte Boulotte (eine Referenz an die Commedia dell‘ arte). Gleichzeitig lässt König Bobèche, der eine Zweckehe mit Königin Clementine führt und mal wieder einen Kritiker aus dem Weg räumen lässt, durch Prinz Saphir nach seiner verlorenen Tochter Hermia suchen. Dieser soll mit der Heirat mit Hermia belohnt werden, wenn er sie findet, was ihm auch gelingt. Als Blaubart Hermia erblickt, will er sie sofort haben, und beauftragt seinen Adlaten Popolani mit der Beseitigung Boulottes. Doch es stellt sich heraus, dass Popolani die anderen Frauen nie getötet hat, sondern sie nur versteckt hält. Boulotte fordert sie dazu auf, Blaubart zu stellen, und gemeinsam sprengen sie die Hochzeit Blaubarts mit Hermia – der König muss sein Versprechen gegenüber Saphir brechen, weil er Blaubart gegenüber wegen pikanter Details verpflichtet ist. Dabei wird offenbar, dass auch Graf Oscar nie im Auftrage des Königs die Kritiker getötet hat. So kommt es am Ende zu einer Massenhochzeit.
Wie geht man heute in Zeiten von Trash-TV, Netflix und immer offensichtlicher Korruptheit von Medien und Politik mit diesem nicht mehr überraschendem Stoff um? Jedenfalls nicht mit einer braven Umsetzung der Handlung und gelegentlichen Aktualisierungen, waren sich das Hagener Produktionsteam um Dramaturg Thomas Rufin, Regisseur Holger Potocki und Bühnen- und Kostümbildnerin Lena Brexendorff einig. Ritter Blaubart wird nun zum Mafia-Paten, der in Italien das französische Restaurant „Barbe-bleu“ betreibt (gewiss, um Geld zu waschen, aber das wird hier nicht thematisiert), und es regiert ein Medien-Mogul, der zur Freizeitgestaltung Bunga-bunga-Parties bevorzugt. Die ebenso liebevoll wie zweckmäßig ausstaffierte Drehbühne lässt die Szenen schnell zwischen Restaurant, Straße und Gartenpool (die Villa im Hintergrund könnte auch Trumps Mar-a-lago sein) wechseln. Und dort wird gespielt und gekalauert, dass sich die Balken biegen; die pfiffigen Pointen und Gags, mit denen sich mehrere Kabarett-Sendungen füllen ließen, kommen am laufenden Band. Dabei wirkt nichts übergestülpt, denn die Produktion ist ein work-in-progress während der Proben, wie dem Programmheft entnommen werden kann. Dezente sprachliche, optische und akustische Elemente aus der Gegenwartskultur von „Der Pate“ bis Tinder mag entdecken, wer sich dort auskennt. Leichtfüßig-boshaft gerät die Show (der Begriff passt hier wegen des hohen Unterhaltungswertes) zu einer Abrechnung mit der Verschwisterung von oligarcher Macht und konservativen Medien – dabei fand die Premiere noch vor Trumps Wahlsieg statt.
Überzeugend ins Konzept integriert sind die Darstellerinnen und Darsteller. Santiago Bürgi in der Titelpartie gibt einen tölpelhaften und damit seine Gefährlichkeit überspielenden Blaubart mit weitem Tonumfang, Richard van Gemert einen schmierigen, (macht-)geilen Herrscher. Star des Abends ist wieder einmal Angela Davis, hier als selbstbewusste, erfolgreich zum Widerstand aufrufende Boulotte. Anton Kuzenok ist der liebevoll-dümmliche Saphir, Ofeliya Pogosyan die unschuldig-kecke Hermia. Die Figur des Popolani („Popo“) wird von Hagen-Goar Bornmann komödiantisch-sarkastisch zu einem Hauptakteur aufgewertet. Auch Kenneth Mattice als Oscar und Sophia Franke als Clementine tragen ihren Teil zu einem erfolgreichen Abend teil. Besondere Erwähnung bedürfen die fünf Solisten des Balletts, die mit teils virtuosen Einlagen zu Musik nicht nur aus „Blaubart“, sondern auch aus „Orpheus in der Unterwelt“ und den „Rheinnixen“ und nicht nur von Offenbach begeistern (Choreographie: Noemi Emanuela Martone). Zuverlässig der Chor unter Julian Wolf. Rodrigo Tomillo und das Philharmonische Orchester Hagen sorgen für den nötigen musikalischen Schwung. Fazit: Netflix ausschalten und auf nach Hagen, denn der dortige „Ritter Blaubart“ beweist, dass (Musik-)Theater mindestens genauso unterhaltsam, entlarvend, witzig, ironisch und aktuell ist!
Bernhard Stoelzel, 19. November 2024
Ritter Blaubart
Jacques Offenbach
Theater Hagen
Aufführung am 18. November 2024
Premiere 26. Oktober 2024
Inszenierung: Holger Potocki
Dirigat: Rodrigo Tomillo
Philharmonische Orchester Hagen