27. April 2013 (Premiere 30. November 2012)
Eindrucksvoll ging das Projekt „RING – Halle – Ludwigshafen“ im Theater im Pfalzbau zu Ende. Als mögliche Lösung für die Zeit was nach dem Untergang der Götter passieren könnte, führte Regisseur Hansgünther Heyme zwei stumme Kinderrollen (als junge Emos geschminkt) ein, die an allen vier Abenden im Handlungsablauf auftauchten. Beim großen Finale der Götterdämmerung, das allein schon aufgrund der Musik Richard Wagners so unendlich berührt und emotional aufwühlt, ließ er die Beiden dann beim letzten Ton Hand in Hand vor den Sängern stehen, da beendet plötzlich das Mädchen wieder mit einer raschen Bewegung den körperlichen Kontakt und die Damen und Herren des Chores, die vorher Kopfbedeckung und Schuhe abgelegt hatten und aus dem Stück in die Realität gewechselt waren, applaudieren in Zeitlupe – schade, dass ein übereifriger Besucher gleich nach dem letzten Ton mit seinem Klatschen den allgemeinen Begeisterungssturm des Auditoriums vorzeitig ausgelöst hatte, gerne hätte man diese Stimmung länger genossen.
Aber dafür kann das Aufführungsteam nichts, dem diesmal eine fast ideale Interpretation gelang. Ein wenig Abstriche musste man bei der Regie machen, der gerade in den Massenszenen ein wenig die Puste ausging. Auch die Kostüme des Chores, die revolutionären Touch (in der Arbeiter- und Industriestadt Ludwigshafen zwar prinzipiell passend) zeigen sollten, wirkten letztlich doch ein wenig peinlich, hässlich waren sie allemal. Aber wie Heyme mit einer in jeder Sekunde logischen und zwingenden Personenregie ans Werk ging, das war wirklich vom Feinsten. Für den 77-jährigen, der als Assistent Erwin Piscators die Karriere begann, dürfte dieser Ring der Höhepunkt seines Schaffens gewesen sein.
Beginnen lässt er diese Götterdämmerung wieder mit dem zentralen Riesenbett, auf denen Brünnhilde und Siegfried vereint liegen, das blutige Laken als Zeugen ihrer ersten Liebesnacht. Die Gibichungenhalle wurde sehr einfach gehalten, zwei Podeste für die Massenszenen (später auch für die Jagdszene genutzt), auf Stoffbahnen werden Wotan und seine Familie dargestellt, interessant wie diese Versatzstücke später „leitmotivisch“ in die Handlung einbezogen werden.
Heyme zeigt Hagen nicht als den für alle erkennbaren Schurken, auch bei ihm spielt sich vieles nur in seinem Kopf ab, ähnlich wie beim „Denker“ Mime im Siegfried. Aber gerade diese Sichtweise verschärft noch das Profil des Sohns von Alberich. Auch dem Geschwisterpaar Gutrune und Gunther entlockt die Inszenierung interessante Facetten: Gutrune als wirklich attraktive, sofort an Siegfried erotisches Interesse zeigende und nach körperlicher Liebe sich sehnende Frau und Gunther als erstaunlich selbstbewussten und anfangs gar nicht so zögerlichen Herrscher, der erst später von seinen Selbstzweifeln zerfressen wird.
Den absoluten Höhepunkt in darstellerischer Hinsicht stellte aber der Schluss des ersten Aktes dar, als Siegfried in Gunthers Kleidung und mit der Tarnkappe zu Brünnhilde durchgedrungen war und mit verstellter Stimme sie auffordert ihm zu folgen. Wie Andreas Schager mit seiner Tenorstimme perfekt den Bariton Gerd Vogels imitierte, das war ganz großes Theater. Und als er dann wieder mit seiner Originalstimme – für Brünnhilde nicht hörbar – seine weiteren Schritte kommentierte, da spürte man plötzlich einen Ruck im Publikum, viele waren sich der Verwandlung erst jetzt bewusst geworden.
Und damit sind wir bereits bei den Sängerleistungen, die uneingeschränkt von den beiden Hauptprotagonisten angeführt werden. In erster Linie natürlich von Andreas Schager, der wieder topfit in Form war. Wie er diesen Siegfried durchzieht, vom strahlenden Liebesgesang des ersten Bildes, bis hin zu seinen letzten Worten, als er schon von Hagens Speer getroffen wurde, das berührt die Seele mit jedem Ton. So eine lyrische Färbung, so eine Durchhaltekraft, dazu ein immer überzeugendes Spiel, je öfter man ihn sieht, desto mehr möchte man von ihm hören. Das hat sich ja auch schon erfreulicherweise in den Besetzungsbüros der ganz großen Häuser rumgesprochen, denn kein geringerer als Daniel Barenboim holte den Österreicher in seine Berliner Götterdämmerung, wo er als Einspringer auch im Siegfried ran durfte.
Aber großes Lob gebührt auch Lisa Livingston, deren Brünnhilde mit Fortdauer des Stückes immer mehr an Qualität gewann. Körperlich schien sie vor „Starke Scheite“ zwar schon an ihrem Limit zu sein, umso beeindruckender dann ,wie sie den Finalgesang mit allen dynamischen Feinheiten gestaltete. Sie verzichtete auf ein Dauer-Forte und auch die leichten Probleme bei den tieferen Stellen konnte sie geschickt meistern.
Dass Christoph Stegmann von einer leichten Bronchitis heimgesucht war merkte auch der kritische Besucher kaum: Sein profunder Bass tönte mit schönem Klang, vielleicht manchmal sogar zu schön für diesen Fiesling. Der Alberich von Gerd Vogel zeigte sich diesmal von einer stimmlich besseren Seite als im Siegfried und dass der gleiche Sänger auch den Gunther singen musste, ist auch keine einfache Sache. Aber gerade in dieser Rolle punktete Vogel voll, ein auch in der Höhe stets ansprechender Bariton, was will man mehr.
Die drei Nornen an einem Haus wie Ludwigshafen in dieser Qualität zu hören, dass überraschte dann doch ein wenig: Ceri Williams, Gundula Hintz (auch als stimmgewaltige Waltraute im Einsatz) und Romelia Lichtenstein gaben den Schicksalsfrauen das richtige Profil, nicht ganz auf diesem Niveau, aber dennoch passabel zogen sich Ines Lex (Woglinde), Melanie Hirsch (Wellgunde) und Sandra Maxheimer (Floßhilde) als Rheintöchter aus der Affäre.
Der Chor der Oper Halle durfte seine Stimmgewaltigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellen, in der Kommunikation mit dem Graben haperte es aber ein wenig. Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Karl-Heinz Steffens hatte ebenfalls ein paar Wackler zu verzeichnen, für den größten sorgten aber zwei Mitglieder, die zu Beginn der Aufführung fehlten, da sie offensichtlich im Stau steckten und daher der Beginn um 20 Minuten verschoben werden musste.
Am Ende dachte jedoch keiner der Anwesenden mehr an diesen Fauxpas und der Schlussjubel verteilte sich gleichmäßig auf das gesamte Team mit Extra-Bravi für Linvingston und Schager.
Ernst Kopica
Fotocopyright: Gert Kiermeyer