Kiel: „Jenůfa“

Das reine Opernglück!

„Dir, Kind, soll es einmal besser ergehen als mir!“ Ein Satz, der Geschichten erzählen kann, nicht nur positive, ein Satz, der quasi als Leitmotiv steht bei Leo Janaceks Meisterwerk „Jenufa“, ein Satz, der hier das Scheitern schon beinhaltet.
Das hat sich die Küsterin geschworen, ihre Stieftochter Jenufa soll nicht so von einem Mann enttäuscht werden wie sie. Dafür ist ihr jedes Mittel recht, auch Mord. Doch Jenufa liebt Steva, den Dorfbeau, der die Küsterin fatal an ihren Mann erinnert. Sie favorisiert Laca, Stevas Halbbruder, zuverlässig, bieder und auch in Jenufa verliebt. Doch Jenufa ist schwanger, von Steva, der nichts mehr von ihr wissen will. Eine Katastrophe im Dorf! Die Küsterin schafft das Problem auf ihre Art aus dem Weg: Sie ermordet das Baby, wirft es in den eiskalten Fluss und erzählt Jenufa, dass es bei der Geburt verstorben sei. Der Weg ist frei für Laca, doch die Küsterin hat mit einem nicht gerechnet: Ihrem Gewissen, ihrem Leben mit der Schuld. Aber die Geschichte endet positiv, Jenufa geht mit Laca in eine gemeinsame Zukunft, eine Liebe, die viel ausgehalten hat, eine Liebe, die nicht an Katastrophen verzweifelte. Musikalisch ein so ergreifender Schluss, dass das Publikum einige Sekunden in Schockstarre verharrt, bevor der Jubel losbricht.

„Jenufa“ am Opernhaus Kiel, das ist, schlicht und einfach, eine gelungene Produktion, ein Abend, der unter die Haut geht und der zeigt, wozu Oper fähig ist. Das liegt auch an der interessanten und packenden Inszenierung von Arila Siegert, die die Geschichte sauber und schlüssig erzählt, ohne konventionell zu wirken. Frau Siegert kommt vom Tanztheater, sie war Solotänzerin an der Staatsoper Dresden, sie arbeitete mit Ruth Berghaus und Peter Konwitschny zusammen, ihre erste Oper war „Macbeth“ in Ulm 1998, zusammen mit dem Bühnenbildner Hans- Dieter Schaal und Marie- Luise Strandt ( Kostüme), die auch jetzt auch mit ihr nach Kiel kamen. Alles folkloristische Beiwerk ist aus der Inszenierung verbannt, ohne die Geschichte zu beschädigen, im Gegenteil, geradezu schmerzlich wird das Leid der Akteure, die Enge der dörflichen Gemeinschaft brennpunktartig auf die Bühne gebracht. Und man merkt an jeder Stelle der Inszenierung, dass Frau Siegert vom Tanz kommt. Ob es nun die wundervollen Chöre sind oder nur Bewegungsabläufe der Sänger, die Personenführung ist durchdacht bis in kleinste Kleinigkeiten. Bei der Besetzung ist sehr bemerkenswert, dass die Oper Kiel alle Rollen, bis auf eine Ausnahme ( Laca), mit eigenem Ensemble besetzt.
Marina Fideli verkörpert die Küsterin nicht als Monster, nicht als alte, verbitterte Frau. Dank ihrer wundervollen, lyrischen Stimme wird hier eher das Rollenportrait einer sich sorgenden Mutter, einer Frau, vom Leben gezeichnet , geboten. Ich habe Frau Fideli in Kiel in diversen Rollen gesehen, doch als Küsterin macht sie sprachlos. Ein extrem starker Auftritt, den das begeisterte Publikum zu Recht bejubelte. Ganz wundervoll die Besetzung der zwei Stiefbrüder, allein schon vom Äußeren ein Volltreffer: Auf der einen Seite Yoonki Baek als der junge, flatterhafte Steva, auf der anderen Seite George Oniani als sein biederer, rechtschaffener Bruder. Er wurde vom Publikum begeistert gefeiert. Sie beide zeichnen stimmlich und darstellerisch ein restlos überzeugendes Bild der ungleichen Brüder. Tenoral voll aufblühend, geradezu schmachtend Yoonki Baek als Steva, George Oniani dagegen ein Mann, der verzweifelt liebt und dieser Liebe stimmlich perfekt Ausdruck gibt.

Ein Glücksfall ist Agnieszka Hauser in der Titelrolle. Ihr ist es zu verdanken, dass dieser Abend zum reinen Opernglück wird. Eine zierliche, hübsche Person, die den Leidensweg der Jenufa fesselnd und anrührend nachzeichnet, das Gebet im 2. Akt gerät zum magischen Moment, wo man weiss, wieso man opernsüchtig werden kann, quasi eine Legitimation für dies Genre. Mühelos packt sie die Klippen der Partitur, führt ihren wundervollen Sopran durch alle Höhen , verzaubert das Publikum in den leisen Passagen.Und das Finale mit Laca singt sie so hinreißend, das allein hierfür der Abend lohnt.

Auch die kleineren Rollen waren geradezu luxuriös besetzt. Neu am Opermhaus Kiel ist Timo Riihonen, dessen Dorfrichter neugierig auf weitere Rollen machte. Juliane Harberg als Buryja und Christoph Woo als Altgesell rundeten die stimmige Besetzung ab. Ein Sonderlob dem Kieler Opernchor, der, wie immer, wundervoll sang und von Barbara Klier hervorragend einstudiert war.

Welche Raffinesse in der Partitur steckt, wurde einem durch das Dirigat von Leo Siberski, erstem Kapellmeister am Opernhaus Kiel, bewusst.Geradezu traumwandlerisch sicher das Spiel der Kieler Symphoniker, ein Genuss die Soloparts, hier hervorzuheben die Violine. Alles passte zusammen, alles wie aus einem Guss und man kann dem Opernhaus Kiel nur danken für einen Opernabend, der Suchtpotential hat!

Claus Brandt
Bilder: Theater Kiel / Olaf Struck