Vorstellung am 29.1.16
Wie im Film
Eine mit zahllosen Bravorufen gefeierte Neuproduktion eines der besten Opernkrimis der Musikgeschichte ging gestern in Kiel über die Bühne.
Die Kieler Tosca-Inszenierung des vor allem durch seine Arbeit an der Comédie-Francaise in Paris weltweit wahrgenommenen Regisseurs Lukas Hemleb besticht durch eine Schlichtheit in Personenregie und ein spartanisches Bühnenbild, das im Wesentlichen für alle drei Akte durch Videoproduktionen der italienischen Videokünstler-Göße Luca Scarzella, der die Tosca schon in Osaka, Turin und nun Kiel bebildert, Räume schafft, die uns die Handlung ganz konkret vor Augen stellen. Im ersten Akt wird durch die Produktion der Kirche Sant’Andrea della Valle auf einen Schleier, hinter dem die Sänger agieren die Illusion geschaffen, dass sie sich tatsächlich in der großen, dunklen Kirche befinden. Im zweiten Akt ist der Schleier weg und auf die Rückwand wird eine Front des Palazzo Medici projiziert, der in einer Endlosschleife synchron mit der Bewegung der Drehbühne von links nach rechts fährt. Dazu gibt es auf der Bühne nur ein grünes Sofa und ein Tisch. Im dritten Akt sieht man auf den wieder abgesenkten Schleier projizierte Wolken, die ebenso auf die Rückwand projiziert wird. So entsteht kein Tableau, sondern ein Raum, in den man seiner dreidimensionalen Wirkung wegen hineingreifen möchte. Dazu neben Bildern als Erinnerungen an das was geschah, Bilder der Engelsburg.
Dem Team Hemleb und Scarzella gelingt damit eine perfekt ineinander greifende fast filmische Arbeit, die in ihrer Schlichtheit und Konkretheit von Anfang an packt und den Zuschauer regelrecht ins Geschehen zieht.
Nicht ganz in diese Stimmigkeit hineinpassen wollen die Kostüme von Otto Krause. Die Darsteller wirken wie hineingesteckt. Ohne Identifikation mit ihnen und ohne Bezug zum italienischen Schauplatz. Hemleb verzichtet bei der Personenführung auf Deutungen oder die Herausarbeitung von einzelnen Facetten. Für ihn ist Scarpia der Bösewicht, Tosca eine Frau, die aus Liebe tötet und Selbstmord begeht und Cavaradossi der Maler, der hingerichtet wird.
Sehr plastisch gerät Gevorg Hakobyans Darstellung des Scarpia. Von kleiner Statur, aber mit großer und fokussierter Stimme bester italienischer Schulung gibt er einen selbstsicheren, überlegenen Polizeichef. Ein großer Gänsehautmoment ist sein gewaltiges Te Deum. Großartig die Souveränität im zweiten Akt.
Auch Agnieszka Hauzer gewinnt der Partie der Tosca seit der letzten Freilichtproduktion auf dem Rathausplatz vor einigen Jahren stimmlich mehr Nuancen ab. Die Stimme klingt manchmal etwas geschoben, im Grunde aber frisch und kraftvoll. Darstellerisch wirkt sie agil und interagiert stets mit wachem Geist.
Diesen würde man Yoonki Baek wünschen, der in dieser Produktion auch bereits zum zweiten Mal in Kiel den Cavaradossi singt. Er ist routiniert bei der Sache und wird der Partie mit seiner hellen Stimme vor allem in den lyrischen Momenten gerecht. Für die großen Gefühlsausbrüche im Orchester fehlt ihm stimmliche Kraft und virile Farbe. Aber auch mit ihm kann man zufrieden sein.
Die kleinen Rollen sind mit Christoph Woo (mit jungem, sonorem Bass-Bariton) als Angelotti, Marek Wojciechowksi (mit charaktervollem, ausgeklügeltem Spiel) als Messner, Michael Müller als nervöser Speichellecker Spoletta und Slaw Koroliuk als brutaler Sciarrone abwechslungsreich und gut besetzt.
Das Orchester unter seinem neuen 1. Kapellmeister Daniel Carlberg, der aus gleicher Position von Dessau nach Kiel gewechselt ist, spielt an diesem Abend besonders Klangschön. Der Orchesterklang ist kompakter, zielgerichteter als man ihn kennt. Die Phrasen werden bis zum Ende ausformuliert, was einerseits der Struktur gut tut. Andererseits entsteht an diesen Stellen mitunter der seltsame Eindruck eines Abschlusses wie in einer Nummernoper. Wunderbar gelingt Carlberg die Sängerbegleitung: er beschleunigt oder verlangsamt, wo die Darsteller es bauchen. Ein wenig mehr Bemühen des Orchesters um leisere Töne an einigen, wenigen Stellen würde der Akustik des Hauses und der Hörbarkeit der Sänger helfen.
Ansonsten eine wirklich ganz besonders gelungene Darbietung des Orchesters und seines Leiters.
Fazit: Dem Regisseur gelingt eine perfekte visuelle, fast filmische Realisierung des bekannten Opernkrimis, die den Zuschauer sofort in ihren Bann zieht. Gesanglich auf großartigem Niveau und musikalisch sehr gut einstudiert. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall.
Berit Jürgensen 31.1.16
Bilder (c) Oper Kiel