Kiel: „My Fair Lady“

Premiere am 8.11.15

Wunderbare Produktion

Am Sonnabend feierte eine Neuinszenierung des Evergreen-Musicals „My Fair Lady“ am Kieler Opernhaus Premiere. Mit fast drei Stunden war es ein langer Musical-Abend, aber zu keinem Moment ein langweiliger. Dafür sorgte – neben den Darstellern auf der Bühne – vor allem das Bühnenbild von Hans Kudlich. Die Handlung spielt in Szenerien der 1950er Jahre. Zur schmissigen Ouvertüre leitet Kudlich mit einem auf das Bühnenportal großflächig projizierten spotähnlichen Bildverlauf, der sich immer mehr zu leitmotivartigen Collagen verdichtet, die Zeitreise in das Nachkriegsjahrzehnt ein.

Später am Abend erkennt man die verschiedenen Collagen, die nun als Hintergrund projiziert werden wieder: das Haus von Prof. Henry Higgins, Ascot, Covent Garden Square. Zusammen mit der hervorragenden, stimmigen Lichtgestaltung von Carsten Lenauer entstehen so tolle farbig-visuell Eindrücke. Und obwohl es sich bei dem übrigen Bühnenbild um ein Einheitsbühnenbild mit einer auf der Drehbühne stehenden großen Balustrade handelt, die mit ihren am linken und rechten Ende versehenen drehbaren Treppenaufgängen in viele Positionen verwandelt werden können, ist die Szenerie äußerst wandelbar.

Besondere Erwähnung muss das grammophonartige Sitzmöbel im Hause Higgins finden. Es versinnbildlicht besonders gut seine Besessenheit von Sprache. Die vielen Kostüme von Silja Oestmann charakterisieren sehr augenfällig, sind individuell und stilsicher. Herausstechen besonders die Hutkreationen im Ascot-Bild.

Die Regie von Ricarda Ludigkeit lässt die Figuren im Raum natürlich agieren. Leider fehlt es aber an der Textarbeit. Obwohl die Darsteller ihre Texte sehr verständlich sprechen, hat man gelegentlich den Eindruck, dass unter Zeitnot gearbeitet wurde und der Text an zu vielen Stellen bloß aufgesagt wird. Hinzu kommt, dass der im Saal sitzende Tontechniker vor allem die Mikrophone für die Textstellen der Chorsänger/innen verzögert einschaltet. Die Choreographien, ebenfalls von Ludigkeit, sind abwechslungsreich, clever und haben viel Schmiss.

Im Zentrum der Geschichte steht die kanadische Sopranistin Lesia Mackowycz, die an diesem Abend als Eliza Doolittle eine große Leistung erbringt. Sie spricht ihre Texte frei von jedem amerikanischen Akzent, gestaltet ihn farbig und berlinert ausgezeichnet und spielt die Wandlung vom ordinären Gör zur feinen Lady eindrucksvoll. Sie scheut sich nicht, ihrer schönen Stimme auch rohe Töne abzugewinnen, trumpft aber in dem bekannten Lied „Ich hätt’ getanzt heut Nacht“ mit jubilierendem Spitzenton auf.

Ihr zur Seite steht mit Ks. Jörg Sabrowski das Ekelpaket Higgins. Er ist besonders stolz darauf, dass er alle Menschen gleich schlecht behandelt. Sabrowski spielt das überzeugend und gibt der Figur gesanglich eine passende herbe Note. In seiner großen Schlussnummer, als man den – tatsächlich ausbleibenden – Wandel des Higgins vermutet, schafft Sabrowski einen rührenden Moment.

Fred Hoffmann ist als Oberst Pickering besonders sympathisch und bestens textverständlich. Wohltuend, wie er sich stets wohlwollend vor das Mädchen Eliza stellt. Michael Müller als Freddy Eynsford-Hill hat mit dem Evergreen „In der Straße wo du wohnst“ eine der schönsten Musiken des Abends und setzt mit tenoralem Schmelz auf der Laterne tanzend ein musikalisches Glanzlicht. Rudi Reschke als Alfred P. Doolittle bekommt am Premierenabend den stärksten Applaus. Von seiner Körperlichkeit – groß gewachsen und athletisch – für den Faulenzer und Taugenichts ungünstig besetzt, kommt er in seinem Rollenportrait dennoch besonders auf den Punkt. Tänzerisch hinterlässt er einen ebenso starken Eindruck wie in seinem schnoddrig-berlinerischen Spiel und Gesang.

Die kleineren Rollen sind mit Siegmar Tonk (Jamie/Charles der Fahrer) und William Danne (Harry) rollendeckend gut besetzt. Mrs. Pearce (Norma Regelin) und Mrs. Higgins (Ilka von Holtz) wünscht man eine etwas gelöstere Präsenz und Nachdrücklichkeit im Text. Ansonsten rufen aber auch sie eine gute Leistung ab.

Das Orchester unter Gastdirigent Till Drömann spielt die geniale Musik von Frederick Loewe schmissig und begleitet die Sänger zwar laut, aber präzise. Besonders positiv fällt auf, dass das Publikum nach dem Schlussapplaus durch das Orchester mit einem Medley auf den Heimweg begleitet wird.

Fazit: Ein kurzweiliger Abend mit einem tollen Bühnenbild, charaktervollen Darstellern und genialer Musik.

Berit Jürgensen 9.11.15

Bilder Theater Kiel / Olaf Struck