Krefeld: „Cabaret“, John Kander

Aktuell scheint das Musical „Cabaret“ zu den meistgespielten Musicals an deutschen Theatern zu zählen. Allein in Nordrhein-Westfalen fanden in dieser Spielzeit bereits die Premieren in Dortmund, Bonn und Düsseldorf statt. Am vergangenen Samstag erlebte auch das Theaterpublikum in Krefeld die Premiere dieses Musical-Klassikers, die ursprünglich bereits für den August 2020 in Mönchengladbach vorgesehen war. Dort wird das Stück nun in der Spielzeit 2023/24 zu sehen sein, bis zum 11. Juni 2023 darf sich noch das Krefelder Publikum an diesem Werk erfreuen. Dass das Musical von Joe Masteroff (Buch), Fred Ebb (Gesantstexte) und John Kander (Musik) eine vortreffliche Wahl bei der Spielplangestaltung war, zeigt auch die Tatsache, dass der Theatersaal zur Premiere bis auf den letzten Platz gefüllt war. Dabei hat „Cabaret“ eine durchaus beachtliche Entstehungsgeschichte vorzuweisen. Nach der Buchvorlage „Leb wohl, Berlin“, in der Christopher Isherwood seinen Aufenthalt in Berlin in den frühen 1930er Jahren autobiografisch verarbeitet, entstand 1951 das Theaterstück „Ich bin eine Kamera“ von John van Druten. 1955 folgte die filmische Umsetzung dieses Werkes, bevor am 20. November 1966 unter der Regie von Harold Prince die Premiere dieses Musicals am New Yorker Broadway stattfand. Dass der Erfolg bis heute ungebrochen ist, ist wohl auch der mit acht Oscars prämierten Verfilmung durch Bob Fosse aus dem Jahr 1972 zu verdanken. Unvergessen hier Liza Minnelli als Nachtclubsängerin Sally Bowles.

(c) Matthias Stutte

Diese Nachtclubsängerin trifft im legendären Kitkat-Klub auf den relativ erfolglosen amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw. Kurz darauf quartiert sie sich – nach der Trennung von ihrem bisherigen Geliebten – in das von Bradshaw gemietete Zimmer in der Pension von Fräulein Schneider ein. Hier leben auch der alte jüdische Gemüsehändler Herr Schulz und das junge Fräulein Kost, die zur Begleichung ihrer Rechnungen auch mal möglichst unauffällig mehrere Matrosen gleichzeitig abschleppt. Als wäre dies nicht bereits genug Konfliktpotential, bekommen auch die Nationalsozialisten immer größeren Zuspruch, so dass sich schnell eine brisante Gemengelage entwickelt. Hierbei gelingt es Frank Matthus ganz wunderbar, den gewollten Kontrast zwischen dem überschwänglichen Berliner Nachtleben und der sich anbahnenden Gefahr durch die Machtergreifung der Nazis ansehnlich auf die Bühne zu bringen. Die besagte Bühne ist so geschickt gestaltet, dass sie gleichzeitig als Nachtclub, aber auch als Pension von Fräulein Schneider genutzt werden kann. Anne Weiler schuf hier einen Raum, der ohne große Veränderungen trotzdem stimmig die verschiedenen Handlungsorte abbildet. Hinter den sechs Türen verbergen sich einerseits die Zimmer der Pension, anderseits die Separees im Kitkat-Klub. Das Publikum des Clubs nimmt im nur teilweise abgesenkten Orchestergraben an kleinen Tischen Platz, während auf der linken Seite die Liveband untergebracht ist. Diese spielt unter der Leitung von Jochen Kilian schwungvoll auf und erhält hierfür zu Recht mehrfach am Abend großen Beifall.

(c) Matthias Stutte

Großen Applaus haben sich auch alle Darsteller verdient. Das Theater Krefeld-Mönchengladbach hat das Glück, dass viele der vortrefflich agierenden Schauspieler und Schauspielerinnen zudem ganz hervorragende Sänger sind. Adrian Linke gibt den Conférencier, der die Zuschauer gleich mit einem der bekanntesten Hits des Musicals „Willkommen“ heißt und im Verlauf des Abends immer wieder starke Akzente setzt. Ebenso stark verkörpert Jannike Schubert die Nachtclubsängerin Sally Bowles, die den Vergleich mit Liza Minnelli hier wahrlich nicht scheuen muss. In den weiteren Rollen wissen Paul Steinbach als Clifford Bradshaw, Bruno Winzen als Herr Schulz, Nele Jung als Fräulein Kost und Ronny Tomiska als Ernst Ludwig auf ganzer Linie zu gefallen. Wunderbar auch Esther Keil als Pensionswirtin Fräulein Schneider, besonders amüsant wie sie als alte Berlinerin die englischen bzw. amerikanischen Namen ausspricht. Abgerundet wird das Ensemble durch die fabelhaften KitKat-Klub-Girls und -Boys, die vor allem die wunderbaren Choreografien von Kerstin Ried bühnenfüllend umsetzen. Getanzt wird an diesem Abend so einiges, teilweise durchaus etwas verrucht, was zur besonderen Atmosphäre des Nachtclubs passt. Mit dem Musical „Cabaret“ gelingt dem Theater Krefeld ein ganz großer Wurf, der an dieser Stelle unbedingt zu empfehlen ist. Dass das Premierenpublikum beim Finale vor der Pause allerdings ohne große Pause direkt zu starkem Beifall ansetzte, wirkte für Kenner des Stückes etwas befremdlich. Wahrscheinlich war aber die Begeisterung für die Darsteller und die einsetzende Gruppendynamik in diesem Fall einfach stärker als der Gedanke an das, was eben auf der Bühne zu sehen war. Sei es drum, am Ende des gelungenen Theaterabends standen zu Recht langanhaltender Applaus und Ovationen für alle Darsteller, Musiker und das gesamte Inszenierungsteam. Bravo!

Markus Lamers, 6. Februar 2023


Cabaret

Musical von Joe Masteroff (Buch), Fred Ebb (Gesangstexte) und John Kander (Musik)

Krefeld, Stadttheater

Besuchte Premiere: 4. Februar 2023

Musikalische Leitung: Jochen Kilian

Inszenierung: Frank Matthus

Bühne und Kostüme: Anne Weiler

Choreografie: Kerstin Ried

Weitere Vorstellungen: 12. Februar bis 11. Juni 2023

Interview mit dem Regisseur: https://youtu.be/DptIbDa2rtU