Krefeld: Das Phantom der Oper

Stummfilm mit toller Livemusik auf Rennbahn Krefeld am 14.8.15

Saisonauftakt 2015/16 der Niederrheinischen Sinfoniker

Der Stummfilm-Klassiker von 1925 ist Legende – nicht nur wegen seines Hauptdarstellers Lon Chaney, denn keiner konnte je besser gequälte und groteske Figuren darstellen wie der "Mann mit den 1000 Gesichtern". Auch sein Glöckner von Notre Dame (1923) ist nur noch mit Charles Laughton (1939) vergleichbar, trotz unzähliger späterer Farb-Remakes. Schon deshalb war die Ausgrabung und Restaurierung dieses fabelhaften Films vom renommierten Regisseur Carl Laemmle eine Großtat.

Nur Wenige wissen, daß Gaston Leroux´s Fortsetzungsroman Le Fantome de L´opera schon 1908 in der französischen Zeitung Le Gaulois erschienen ist, und eben nicht von Andrew Lloyd Webber erfunden wurde. Peinlich überflüssiger Weise erscheint bald sogar die leidige Musicalfortsetzung (Das Phantom 2 – Liebe stirbt nie) – man glaubt es kaum…

Doch kommen wir zurück zu einem nicht nur qualitativ, sondern auch künstlerisch ausgesprochen hoch zu bewertenden Open-Air-Abend, was nicht nur am tollen Film lag, sondern auch an der phänomenalen Leistung der Niederrheinischen Sinfoniker unter der souverän engagierten Leitung von Kapellmeister Andreas Fellner, wobei umfangreiche Tontechnik für einen fast konzertsaal-reifen Klang à la Bregenzer Festspiele sorgte. Das Orchester saß unter einem extra Zelt direkt neben der großen aufblasbaren Kinoleinwand (ca. 10 x 13 Meter). Die Zuschauer waren auf der überdachten Haupttribüne der Rennbahn ebenso regengeschützt platziert – ein sehr gelungenes Konzept von Klang und stimmungsvollem Ambiente, besonders vor der abends besonders malerischen Kulisse der Krefelder Rennbahn. Die in der Ferne sichtbaren Gewitterblitze unterstützen noch die teils gruselige Stimmung des Films.

Die aus dem Jahre 1996 stammende wunderbar spätromantische Filmmusik vom US Komponisten

Carl Davis – ein anerkannter Fachmann für die klassische Nachvertonung von großen Stummfilmen, immerhin mit dem British Academy Film Award ausgezeichnet und grammy-nominiert – ist ein köstliches wohlgelungenes Konglomerat wohldosierter Reminiszenzen an Berlioz, Wagner, Gounod und diverse andere große Komponisten der Klassik. Diese Musikkomposition ist schon wieder so gut, daß ich sie für durchaus konzertfähig halte. Darüber hinaus klingt dieser Riesen-Orchesterapparat natürlich ganz anders, als die vor 100 Jahren in den großen Lichtspielhäusern gebräuchliche Kinoorgel, https://de.wikipedia.org/wiki/Kinoorgel worauf überwiegend zu den Bildern Töne und Geräusche improvisiert wurden.

Nach dem letzten Ton – zeitgleich mit dem projizierten Wort Ende (Fine) auf der Leinwand – sprang das Publikum förmlich von den Sitzen auf; es brach ein Jubel los, wie ihn die überraschten Musiker wohl selten im Theater oder beim Konzert erlebt hatten. Das Publikum war begeistert und feierten Dirigent und Musiker mit nicht enden wollenden Standing Ovations überschwänglich; eine gerechte Würdigung.

Was für ein superbe Idee und was für ein beglückender Erfolg war dieser heuer ganz ungewöhnliche Saisonstart für das Krefelder Theater. Und das hier außergewöhnlich engagiert und konzentriert arbeitende Orchesterkollektiv (Bild unten) hat damit sicherlich viele neue Freunde auch aus dem Bereich der Nichtklassik gewonnen.

Glückwunsch an die PR-Abteilung der Vereinigten Bühnen für diesen großartig gelungenen Theater-Coup. Das sollte Tradition werden in Zukunft; das Repertoire an geeigneten Filmen ist riesengroß. Vielleicht schafft es dann auch der überall fast krakenhaft omnipräsente "NRW-Staatssender" WDR auch einmal endlich (!) so etwas Tolles zu übertragen.

Peter Bilsing 16.8.15

Bilder: Universal, SWK, Theater Krefeld

Interessante weiterer Links für Filmfans

Trailer (3,15 min)

verständlicher Weise ohne Ton

Der gesamte Stumm-Film (1,46 h)

hier allerdings mit höchst langweiliger Musik und in grottenhafter Qualität

Il fantasma d´el opera (1,47 h)

Originalfilm mit Kino-Orgelbegleitung (Italienische Version)

Carl Laemle Remembers (6,46 min)

wunderbares Erinnerungs-Video zum Film von seiner Tochter Carla

Universally Me (12,31 min)

Interview mit Carla Laemmle – herrliche historische Bilder, aber dümmliche Fragerin