Krefeld: „Madama Butterfly“, Giacomo Puccini

Am Karsamstag fand im Krefelder Theater die Premiere von Giacomo Puccinis Madama Butterfly statt. Hierbei ist die eigentliche Geschichte der Oper wohl zugegebenermaßen eher schlecht gealtert. Im Original ist Butterfly gerade einmal 15 Jahre, als sie an den amerikanischen Leutnant Benjamin Franklin Pinkerton verkauft wird, der zu keinem Zeitpunkt Interesse an einer ernsthaften Beziehung mit Butterfly hat. Vielmehr ist sie ein netter Zeitvertreib, um fernab der Heimat seine sexuellen Gelüste zu erfüllen. Das Schicksal der Geishas wird heutzutage mit ganz anderen Augen gesehen als zu Zeiten der Uraufführung der Oper im Jahr 1904 an der Mailänder Scala. Und doch hat Puccini eine wunderbar romantische Musik komponiert, die den Zuschauer über all die Jahre immer wieder neu berührt. Wie inszeniert man solch eine Oper also heute?

Zu dieser Frage geben Beverly und Rebecca Blankenship in einem sehenswerten Kurz-Video einige interessante Antworten. So ist es heute eben nicht mehr möglich, die japanische Tradition in einer fast überheblichen Art der kulturellen Aneignung zu verniedlichen. Auch teilweise minderjährige Mädchen wie Schmetterlinge einzufangen, um sie anschließend „getötet und aufgespießt“ als sein Eigentum zu präsentieren, ist in der Form mehr als fraglich. Eine Inszenierung der Madama Butterfly ist heutzutage mehr denn je eine Gratwanderung, und ich gebe zu, dass ich im Vorfeld der Premiere nicht gerade besonders optimistisch hinsichtlich des Inszenierungsansatzes der Krefelder Neuproduktion gestimmt war. Doch wie sich schnell herausstellen sollte, war dieses ein viel zu früh getroffenes Vorurteil, denn die Kombination der Musik mit einem Schwerpunkt auf die grausigen Taten insbesondere im ersten Akt der Oper schafft ein echtes Gefühl von Beklommenheit und Mitgefühl, welches man in dieser Form nicht oft im Theater erlebt. Auf den Nebensitzen wurde teilweise kräftig geweint.

Durch die Ausstatterin Kirsten Dephoff werden im Hintergrund mehrere Wände mit den Worten „Menschenrechte“, „Frauenrechte“, „Würde“ und „Freiheit“ in den verschiedensten Sprachen gezeigt, über denen in großen, roten, japanischen Schriftzeichen zwei Mal das Wort „Freiheit“ geschrieben steht. Hinzu kommt als zentrales Bühnenelement ein großer Übersee-Container, der symbolisch einerseits für den verabscheuungswürdigen Menschenhandel steht und gleichzeitig als billige Wohnunterkunft der Cho-Cho-San dient. Viel mehr bedarf es für den optischen Aspekt auch nicht. Passend auch, dass man die stimmungsvollen japanischen Lampions lediglich als Pinkertons Inszenierung einer stimmungsvollen Hochzeitsnacht deutet, indem sie auf sein Fingerschnippen von der Decke herabfahren.

© Matthias Stutte

Lobenswert bei dieser Neuproduktion ist vor allem, dass die beiden Regisseurinnen das Werk als solches ernst nehmen und die eigentliche Dramatik vor allem aus vielen kleinen Details und einer hervorragenden Personenführung stammt. Wie im ersten Akt alle Personen wegschauen, wenn Cho-Cho-San durch den Kuppler Goro an Pinkerton verkauft wird; wie Unmengen an Bestechungsgelder den Besitzer wechseln, hier übrigens treffend durch schwarz eingefärbte Geldscheine symbolisiert; wie direkt nach der inszenierten Hochzeit die Eheurkunde zerrissen wird und Butterfly hierdurch bereits zum ersten Mal großen Qualen ausgesetzt wird; wie sich die Braut nach der Hochzeit auf ein besseres Leben freut, Pinkerton aber an dem Koffer mit Dessous und Sexspielzeug scheinbar mehr Interesse zeigt als an seiner neuen Ehefrau: All dies im krassen Gegensatz zur wunderbaren Musik Puccinis stimmt den Zuschauer ehrlich betroffen.

Hinzu kommt eine Doppelbesetzung der Butterfly, um deutlich zu machen, dass sie eben nicht die junge Erwachsene Geisha ist, sondern noch ein Kind, welches hier auf übelste Art verkauft wird. Als „Butterfly 15“ verkörpert die junge taiwanesische Tänzerin Tzu-Yin Liou sehr glaubhaft das kleine Mädchen, während die ebenfalls noch junge Yibao Chen die Titelpartie singt und spielt. Die Sopranistin studiert seit Anfang 2020 im Studiengang Solistenexamen an der Hochschule für Musik in Karlsruhe, wurde zuvor aber nach ihrem Masterabschluss an der Accademia Santa Cecilia in Rom bereits für namhafte Rollen u. a. durch das China National Opera House engagiert. Einmal mehr zeigt sich das Gemeinschaftstheater hier bestens aufgestellt bei der Verpflichtung der Gastrollen, denn die gesangliche Leistung samt der eindringlichen Darstellung der Butterfly bescherte Yibao Chen zu Recht orkanartige Beifallsstürme nach der Vorstellung. Auch die Rolle des B. F. Pinkerton wurde mit Milen Bozhkov passend besetzt, der mit seinem klaren Tenor punkten kann.

© Matthias Stutte

Die weiteren Besetzungen stammen aus dem eigenen Ensemble. In der Rolle der Suzuki hat Susanne Seefing mal wieder einen größeren Auftritt, den sie gewohnt souverän meistert und darüber hinaus einmal mehr mit ihrer Mimik zu gefallen weiß. Ganz hervorragend Rafael Bruck als Konsul Sharpless, der die Premiere, obwohl als gesundheitlich angeschlagen angesagt, tadellos meisterte. Mit seinem gefühlvollen Bariton trifft er jeden Ton perfekt, und auch wenn sich Sharpless in der Geschichte wie alle anderen Personen mit schuldig macht, so spielt Bruck den Konsul immerhin als Person mit den größten Gewissensbissen in dem gesamten Konstrukt aus Prostitution und Menschenhandel. Kairschan Scholdybajew überzeugt als Kuppler Goro, in der Rolle des Fürst Yamadori ist Markus Heinrich zu sehen. Kurz, aber eindringlich ist der Auftritt von Hayk Deinyan als Onkel Bonze, der die arme Butterfly nach ihrer Abkehr vom heimischen Glauben aus der Familie ausstößt. In der ebenfalls kleinen Rolle der Kate Pinkerton steht Kejti Karaj aus dem Opernstudio Niederrhein auf der Bühne. Auch instrumental kann Madama Butterfly in Krefeld überzeugen. Unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Mihkel Kütson spielen die Niederrheinischen Sinfoniker die Musik Puccinis ganz hervorragend mit einem guten Gespür für das richtige Tempo.

© Matthias Stutte

Alles in allem ist dem Theater Krefeld ein runder Theaterabend gelungen, der zum Nachdenken anregt, die Zuschauer aber vor allem tief berührt. Gleichzeitig bilden Musik und Inszenierung einen gewissen Kontrast, der auf seine ganz eigene Art dann doch hervorragend funktioniert. So stand am Ende des Premierenabends ein langer und lauter Beifall für alle Darsteller, das Orchester sowie das gesamte Inszenierungsteam.

Markus Lamers, 9. April 2023


Madama Butterfly

Oper von Giacomo Puccini

Theater Krefeld

Besuchte Premiere: 8. April 2023

Inszenierung: Beverly und Rebecca Blankenship

Bühne und Kostüme: Kirsten Dephoff

Musikalische Leitung: GMD Mihkel Kütson

Niederrheinische Sinfoniker

Weitere Termine: 12. April, 19. April, 21. April, 7. Mai, 9. Mai, 13. Mai, 6. Juni, 22. Juni