Flensburg: „Ein Hauch von Venus“, Kurt Weill

Zu Beginn wieder eine Zusammenfassung für Eilige: wer diese kurzweilige Produktion verpasst, ist selbst schuld!

Kurt Weills Musical Comedy Ein Hauch von Venus (Originaltitel: One Touch of Venus) ist eine augenzwinkernde Liebeskomödie mit Tiefgang, die antiken Mythos mit moderner Gesellschaftssatire verbindet. 1943 in New York uraufgeführt und in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Ogden Nash entstanden, stellt das Stück eine für Weill typische Synthese aus amerikanischem Musicalstil und europäischer Raffinesse dar. Die Handlung basiert auf einer Kurzgeschichte von F. Anstey, in der die Statue der Göttin Venus zum Leben erwacht – mit ungeahnten Folgen für den braven Durchschnittsbürger Rodney Hatch.

© Henrik Matzen

Der Friseur Rodney Hatch ist auf Hausbesuch bei Whitelaw Savory, einem bedeutenden Kunstsammler und Präsidenten einer Kunstakademie. Während seiner Arbeit gerät er mit Savory ins Gespräch, der ihm stolz seine neueste Errungenschaft präsentiert: eine antike Venus-Statue aus Griechenland. Als Rodney sich kurz unbeobachtet fühlt, steckt er der Statue den Verlobungsring an, den er eigentlich für seine Verlobte Gloria vorgesehen hatte. In diesem Moment geschieht das Unglaubliche – die Statue erwacht zum Leben. Die nun lebendige Venus verliebt sich augenblicklich in den ersten Menschen, den sie erblickt: Rodney. Rodney versucht vergeblich, der stürmischen Verehrung der Göttin zu entkommen. Doch die Situation eskaliert: Als die Statue verschwindet, fällt der Verdacht auf Rodney, und man beschuldigt ihn des Diebstahls. Venus sieht in Gloria eine Rivalin und bannt sie kurzerhand an den Nordpol. Derweil wird Rodney wegen Glorias Verschwinden für einen möglichen Mörder gehalten und landet im Gefängnis. Venus befreit ihn und die beiden verbringen schließlich eine Liebesnacht miteinander. Als Gloria wieder zurückkehrt, verlässt sie Rodney endgültig. Doch kaum ist der Weg für die Liebe frei, kommen Venus erste Zweifel: Ist ein Leben an der Seite eines Menschen wirklich das, was sie sich wünscht? Schließlich trifft sie eine Entscheidung: Sie kehrt auf ihr Podest zurück und wird erneut zur steinernen Statue.

Was zunächst wie ein leichtfüßiger Plot anmutet, entpuppt sich schnell als ein klug komponiertes Spiel mit Geschlechterrollen, Beziehungsdynamiken und dem Spannungsfeld zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Der Kontrast zwischen der weltfremden, aber mächtigen Venus und dem überforderten, aber liebenswerten Rodney sorgt für komische Verwicklungen und zugleich für einen Hauch Melancholie: Die Sehnsucht nach Liebe, nach Schönheit, nach etwas Größerem scheint greifbar – und entgleitet doch immer wieder.

Hendrik Müller gelingt erneut eine von Anfang bis Ende stimmige Inszenierung, die auch in dieser Repertoireaufführung vom Publikum gefeiert wird. Dabei verzichtet der Regisseur auf Aktualisierungsversuche und lässt – ganz schön mutig! – die Musical Comedy witzig und spritzig sein, die Venus erotisch und weiblich erscheinen und die Geschlechterrollen so klischeehaft, wie man es damals für normal gehalten hat. Dabei greift der Regisseur oft in die äußerst wirkungsvolle traditionelle Theater-Trickkiste, arbeitet mit Lichteffekten und Bühnennebel und spornt sein ohnehin spielfreudiges Ensemble zu darstellerischen Höchstleistungen an. Auf Firlefanz wie LED-Wände wird im Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic bewusst verzichtet. Stattdessen spielt die Szene in einem von Art Deco geprägten eleganten Bühnenbild, welches durch wenige Veränderungen die unterschiedlichen Spielorte andeutet. Köstlich sind dazu die stilistisch stimmigen und detailverliebten Kostüme von Ariane Isabell Unfried.

© Henrik Matzen

Weills Musik ist dabei ein Meisterwerk für sich. Er verschmilzt eingängige Broadway-Melodien mit ironischen Zwischentönen und eleganten Harmoniewechseln. Der berühmte Song „Speak Low“ – eine bittersüße Liebesballade – zählt heute zu den Klassikern des Great American Songbook und steht exemplarisch für die Ambivalenz des Werks: Liebe als flüchtiger Moment, so schön wie vergänglich. Das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester unter der Leitung von Sergi Roca Bru zeigt sich als ausgesprochen stilkundiger Begleiter durch Kurt Weills amerikanische Klangwelt. Mit rhythmischer Präzision und spürbarem Gespür für den idiomatischen Broadway-Sound gelingt es dem Orchester, den schillernden Spagat zwischen unterhaltsamer Leichtigkeit und weillscher Tiefenschärfe überzeugend auszubalancieren. Roca Bru führt das Ensemble mit sicherer Hand durch die Partitur und sorgt für einen pulsierenden, farbenreichen Orchesterklang, der den musikalischen Witz ebenso trägt wie die melancholischen Untertöne – ein stilistisch wie dramaturgisch adäquater Rahmen für diese selten gespielte Musiktheaterperle.

Kara Kemeny überzeugt als Venus mit einem kraftvollen, zugleich flexiblen Mezzosopran, der es ihr ermöglicht, die göttliche Figur in *Ein Hauch von Venus* vielschichtig zu gestalten. Sie verbindet mühelos die Intensität energiegeladener Passagen mit der Zartheit lyrischer Momente, wodurch ihre Interpretation gleichermaßen lebendig wie glaubhaft wirkt. Dabei klingt sie nicht nur überirdisch – sie vereint die sinnliche Aura einer Nachtclubsängerin mit der glamourösen Ausstrahlung einer Hollywood-Diva. Mit feinem gestalterischem Gespür und stets klarer Artikulation durchdringt sie ihre Rolle bis ins Detail und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Christian Alexander Müller verleiht dem etwas schlichter angelegten Rodney Hatch mit seinem wohlklingenden, warmen Tenor emotionale Resonanz und Nähe. Seine feinfühlige Interpretation sorgt für zahlreiche stimmungsvolle Momente und macht die Figur glaubhaft nahbar. Kai-Moritz von Blanckenburgs Whitelaw Savory gerät zu einer wahren Sternstunde. Mit präzise geführtem, farbenreichem Bass stattet er den Kunstmäzen mit stimmlicher Autorität und einer distinguierten Eleganz aus, die hervorragend zur exzentrischen Intellektualität der Figur passt. Neben seiner markanten Bühnenpräsenz brilliert er mit pointierten Dialogen und einem exakten Gefühl für Rhythmus und Komik – eine durchweg charismatische Erscheinung zwischen Ernst und Ironie. Vera Semieniuk bleibt als Sekretärin Molly Grant als schlagfertige, pointensichere Beobachterin in Erinnerung. Mit szenischem Feingefühl und stimmlicher Klarheit verleiht sie der Figur eine kluge, ironisch gebrochene Präsenz, die souverän zwischen Kabarett und Charakterzeichnung pendelt. Ihre Nummern zählen zu den komödiantischen Höhepunkten des Abends – stets durchzogen von den gesellschaftskritischen Untertönen, die für Weills Werk so prägend sind. Ausdrucksstärke, sprachliche Präzision und darstellerische Wandlungsfähigkeit zeichnen ihren Auftritt in besonderem Maße aus. Anna Avdalyan versprüht als Verlobte Gloria Kramer einen urkomischen biestigen Charme, Ruth Müller gibt ihre gesellschaftlich ambitionierte Mutter und tritt auch als Zuvetli und Dr. Rook in Erscheinung. Dritan Angoni gestaltet die kleine Rolle des Taxi Black mit Witz. Mikołaj Bońkowski gibt mit trockenem Humor den leicht tölpelhaften Stanley und bleibt insbesondere auch als strippender Polizeileutnant im Gedächtnis. Der von Avishay Shalom einstudierte Opernchor trägt sein Übriges zum musikalischen Gelingen dazu bei.

© Henrik Matzen

Als ganz großes Plus möchte ich auch die Beteiligung der Ballettcompagnie des Landestheaters bezeichnen. Soweit ich mich erinnere, hat es schon lange keine Zusammenarbeit mehr zwischen Ballett und dem Musiktheaterensemble gegeben – was sehr zu bedauern ist.

In Ein Hauch von Venus erhalten die Tänzerinnen und Tänzer reichlich Raum, um in mehreren reinen Tanznummern – schwungvoll und pointiert choreografiert von Andrea Danae Kingston – ihr ganzes Können unter Beweis zu stellen. Mit Leichtigkeit, Präzision und einem feinen Gespür für Humor füllen sie die Bühne und prägen das Geschehen weit über dekoratives Beiwerk hinaus.

Ihre Präsenz verleiht der Produktion eine zusätzliche körperlich-dynamische Ebene und trägt entscheidend zur rhythmischen Energie und zur visuellen Opulenz des Abends bei – ein choreografisches Element, das den überwältigenden Gesamteindruck nicht nur abrundet, sondern wesentlich mitprägt.

Marc Rohde, 22. Mai 2025


Ein Hauch von Venus (One Touch of Venus)
Musical Comedy in zwei Akten von Kurt Weill
Buch von S. J. Perelman und Ogden Nash, Gesangstexte von Ogdan Nash
Deutsch von Roman Hinze

Schleswig-Holsteinisches Landestheater Flensburg

Premiere am 17. Mai 2025
Besuchte Aufführung: 20. Mai 2025

Regie: Felix Seiler
Musikalische Leitung: Sergi Roca Bru
Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester
Ballettcompagnie und Opernchor des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters