Tempo – Türen – Turbulenzen! So ließe sich der Charakter der Lustigen Witwe von Franz Lehár in der Inszenierung von Bruno Klimek, mit der das Theater Lübeck am 7. September 2024 die neue Saison champagnerkorkenknallend eröffnete, treffend umreißen.
Gleich beim ersten Takt, den GMD Stefan Vladar noch in den verhallenden Begrüßungsapplaus schmeißt, ist klar: Hier wird rasant durchgezogen, denn gutgemachter Slapstick und anspruchsvolle Operetten-Unterhaltung funktionieren nicht mit angezogener Handbremse. Daß es, wie Vladar auf der Premierenfeier anschließend sagen wird, „viel schwerer ist, zwei Minuten lang lustig zu sein, als vier Stunden ernst“, ist allen, die jemals auf der Bühne standen, wohlbekannt. Und so treiben es die Lübecker mit ihrer Neuproduktion auf die Spitze und servieren einen durchweg witzigen, energie- und temporeichen Lehár, der zudem wienerischer nicht sein könnte.
Auch das wird auf der Premierenfeier ausgesprochen: Es dürfte wohl kaum eine weitere Lustige Witwe nördlich des Weißwurstäquators geben, die soviel Donau-Walzerseligkeit und liebenswerten österreichischen Humor zu bieten hat, wie diese Operette an der Trave. Vladar und das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck verzaubern mit ebensoviel Schwung und mitreißender Zackigkeit wie auch zu Tränen rührender Innigkeit ihr Publikum, das im Szenenapplaus schonmal in die Musik reinklatscht – hier sei´s verziehen; die Produktion haut die Leute schlichtweg von den Stühlen.
Das Libretto ist durchweg modernisiert, was aber völlig in Ordnung ist und nicht Zeitgeist-anbiedernd wirkt. Schließlich lacht heute kaum jemand über Sprachwitze, die vor 120 Jahren noch echte, mitunter frauenfeindliche Schenkelklopfer waren.
Die Bühne von Jens Kilian ist denkbar schlicht und umarmt mit ihrem Halbrund aus Türen und abgedunkelten Spiegeln gleichsam das Geschehen; da lenkt nichts von der Handlung ab, auf die man sich mitunter wie in einem Tom und Jerry-Zeichentrickfilm mit flinken Blicken bei sich überschneidenden Verfolgungsjagden durch die auf- und zuklappenden Türen konzentrieren muß – besonders lustig ist, wie Thomas Stückemann als eifersüchtiger Ehemann mit einer in jeder Sequenz anderen Waffe seiner leichtlebigen Frau (Imke Looft) hinterherjagt. Jan Hampels Lichtregie folgt dem raschen Geschehen, beleuchtet aber auch die im Tempo zurückgenommenen Szenen ausgesprochen stimmungsvoll.
„Mein Ziel ist es, die Operette zu veredeln“, schrieb Lehár; und weiter: „Der Besucher soll ein Erlebnis haben und nicht bloß Unsinn sehen und hören.“ Gut, nicht alles an dieser Produktion ist edel und manches ist satirisch überzogen, aber so geht eben Komödie.
Im zweiten Akt stehen Dutzende von Waschmaschinen auf der Bühne und es gibt von Kati Heidebrecht wunderbar choreographierte Massenszenen mit Männern in Kittelschürzen (zeitlose und sehr vielseitige, bei den Damen glanzvolle Kostüme von Yvonne Forster), die Wischmopps und Feudel schwenken, dadurch aber nicht völlig unmännlich werden, weil sie in einer der harmlosesten Massensex-Szenen der Theatergeschichte ihre Gattinnen beglücken. Die Babies kommen anschließend aus der Waschmaschinentrommel; eine Szene, die es für die Handlung nicht gebraucht hätte, die aber in sich funktioniert. Und ja, Männer mit heruntergelassenen Hosen sehen immer und ohne Ausnahme lächerlich aus – das sollen sie auch in der Szene, aber einigen wenigen älteren Herrschaften ist das zuviel und sie verlassen den Saal.
Das Veredelte an der Lübecker Witwe liegt einerseits in der Perfektion der Umsetzung. Die makellose gesangliche Leistung von Chor und Extrachor des Theaters Lübeck unter der Leitung von Jan-Michael Krüger entspricht der hervorragenden Personenregie, die alle Rollen berücksichtigt. Andererseits ist es die bereits gewürdigte musikalische Wiedergabe und es sind die grandiosen solistischen Darbietungen, die diesen Abend zum Glänzen bringen.
Allen voran schwingt das Tanzbein mit Charme und –man muß es einfach mal so sagen – mitreißendem Sex-Appeal Evmorfia Metaxaki in der Titelrolle. Das rote Kleid ist ikonisch und die Sopranistin sieht einfach umwerfend darin aus. Ihre gesprochenen Partien sind, wie bei allen anderen, durch ein Mikrophon verstärkt, aber das ist ja mittlerweile gang und gäbe. Die Sängerin gibt mit ihrer warmen, ausdrucksvollen Stimme dieser vor allem wegen ihres Geldes umschwärmten Dame genau das, was Graf Danilo so an ihr liebt: Etwas Edles, Feines und weiblich Starkes, um dessen man um ihre Hand anhalten will, von den Millionen mal ganz und völlig aufrichtig abgesehen.
Der Mann an ihrer Seite mit Hindernissen ist der in Lübeck bereits bekannte Gast Erwin Belakowitsch, der den Danilo hier eher nachdenklich interpretiert. Er wirkt meist etwas abwesend oder resigniert, aber gerade im Zusammenspiel mit der von ihm geliebten Madame Glawari ist die beiderseitige Anziehung subtil zu spüren. Auch wenn die beiden meterweit auseinanderstehen, werden die feinen und starken Fäden ihrer Beziehung ahnbar.
Die durchweg gut ausgearbeitete Mimik und Gestik perfektioniert mit einzigartigem Sprachtalent Steffen Kubach als Baron Mirka Zeta. Der Mann ist auch in dieser Rolle ein Vollblutkomödiant, aber die sensiblen Geister des Lübecker Publikums wissen, daß der Sänger und Schauspieler weit mehr kann, als nur lustig sein. Demnächst wird man ihn in wirklich hartem Stoff erleben, auch dazu wird berichtet werden.
Vielseitigkeit prägt auch den Gesang und das Spiel von Andrea Stadel, die als Baronin kokett, gespielt abweisend, auffahrend und schmiegsam sein kann. Die Doppelbödigkeit und für ihren Gatten nicht ganz durchsichtige Auffassung von ehelicher Treue bringt sie perfekt auf die Bühne; sie verbindet eine warme Weiblichkeit und das gekonnte Spiel mit dem unklaren „peut-être“, das ihren Verehrer, den Marquis de Rosillon, zum Wahnsinn treibt.
Tenor Noah Schaul ist dieser jugendliche Liebhaber: in vergleichbaren Rollen hat man ihn bereits öfter in Lübeck gesehen. Auch als Marquis überzeugt er, wenngleich deutlich wird, wie anstrengend die ganz hohen Töne seiner Rolle sind.
Ein witziges Slapstick-Paar mit, wie Vladar bemerkt, Stan-und-Olli-Ähnlichkeit in der Art, wie sie einander immer wieder an die Gurgel gehen, sind Yong-Ho-Choi und Tomasz Myśliwiec als Vicomte Cascade und Raoul de St. Brioche.
Gesteigert wird diese Art von Komik durch das großartig-selbstironische Grisetten-Theater. Das Pariser Amüsier-Etablissement „Maxim“ hat die Witwe Graf Danilo zum Hohn mit Samtvorhang und Glühbirnenkranz en miniature nachgebaut und läßt dort die Puppen in Form von bärtigen und somit völlig unerotischen Hupfdohlen tanzen.
„Bei jedem Walzerschritt tanzt auch die Seele mit“ – das wirklich Feine und tatsächlich Edle an dieser Produktion sind die zarten Momente und bei „Lippen schweigen“ fließen im Saal auch die Tränchen, so sanft und innig geben die Solisten und das Orchester die zauberhafte Musik wieder, wobei Vladar den Klangkörper angemessen in der Dynamik drosselt.
Ganz große Gefühle, originelle Einfälle und das sofortige Umschalten in der Grundstimmung – das sind einige der wesentlichen Zutaten, die dazugehören, um Lehárs beliebteste Operette zu einem echten Erfolg, eben Unterhaltung auf hohem Niveau zu machen. Diese Produktion hat das Zeug zu einem wirklichen Publikumsliebling und der lange Beifall am Ende ließ das bereits erahnen.
Andreas Ströbl, 8. September 2024
Die lustige Witwe
Franz Lehár
Theater Lübeck
Premiere am 7. September 2024
Musikalische Leitung: Stefan Vladar
Inszenierung: Bruno Klimek
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Nächste Vorstellungen: 21. September, 6. und 31. Oktober.