Lübeck: „Weihnachtskonzert“

Wenn die Rezension zum festlich funkelnden Weihnachtskonzert im Lübecker Theater erscheint, dann ist das Fest immer schon vorbei. Nun ja, die Feiertage sind herum, aber in den Wohnstuben (dieses altbackene Wort muß man in diesem Zusammenhang immer verwenden, denn es paßt so wunderbar zur rückwärtsgerichteten Romantik des ganzen Fests) steht der geschmückte Baum und der Bratenduft hängt noch in den schweren Samtvorhängen, hinter denen die Englein, Eltern oder welche himmlische bzw. irdische Macht auch immer die Geschenke für die Kinder bis zum letzten, langersehnten Augenblick verborgen hatten.

Wer auf Fleisch verzichtend und ressourcenschonend Weihnachten zu Hause eher reduziert begangen hat, konnte sicher sein, auch dieses Jahr wieder festlichen Ohrenschmaus, garantiert ohne Kalorien, dafür aber mit Pauken und Trompeten im Jugendstiltheater der Hansestadt genießen zu dürfen.

Vom Schnürboden herab hing ein riesiger Herrnhuter Stern, die Bühne flankierte ein prachtvoller Christbaum mit glitzernden Kugeln und einem Lichterkettengefunkel, das mit dem Sternenhimmel am Bühnenhintergrund in leuchtende Korrespondenz trat.

Ein Leuchten ging auch von der Musik aus, die der stellvertretende GMD Takahiro Nagasaki stimmungsvoll und reizvoll harmonisch entgegengesetzt in zwei Blöcke aufgeteilt hatte. In der ersten Abteilung war festliche Barockmusik zu hören und gleich zu Beginn brannte das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck ein tönendes Feuerwerk ab, nämlich mit der Ouvertüre zur gleichnamigen Musik von Georg Friedrich Händel (HWV 351).

Reizvoll war die Idee, die Konzepte der Kontrafaktur bzw. der Weiterführung in der Parodie aufzugreifen, also der Kombination bereits existierender Partituren mit neuen Texten und weiter die Transformation von Musikstücken in einen ganz anderen Zusammenhang. Im Barock war das gängige Praxis, denn durch dieses „Recycling“-Verfahren retteten die Komponisten gelungene Werke vor dem Vergessen durch lediglich einmalige Aufführungen. So erklang mitunter sakral und dann eben auch weihnachtlich, was zuvor weltlich komponiert worden war.

(c) Olaf Malzahn

In „Gloria in excelsis Deo“ vom Schöpfer des Eingangsstückes gab die Sopranistin Andrea Stadel einen beeindruckenden Nachweis ihrer Beherrschung komplizierter Barock-Koloraturen und ließ die Tonfolgen perlen wie die Lichtlein an der Funkelkette.

Krankheitsbedingt war der Chor des Theaters Lübeck schon bei „Eugen Onegin“ am 22. Dezember um 13 Mitwirkende reduziert; am 1. Weihnachtsfeiertag lagen zwei Drittel des Klangkörpers mit Erkältung im Bett, wie Chorleiter Jan-Michael Krüger vor Beginn des Abends entschuldigend erklärt hatte. Aber die verbliebenen Stimmen hielten sich wacker und so ließen sie mit vollem Einsatz das „Gloria“ aus der Messe in G-Dur (BWV 236), „Cum Sancto Spiritu“ aus der Messe in F-Dur (BWV 233) und „Dona nobis pacem“ aus der h-Moll-Messe (BWV 232) erschallen. Unterstützt wurden die Damen und Herren von der Sopranistin Natalia Willot und dem Tenor Gustavo Mordente Eda.

Wie gut das sich zusammenfügte, bewiesen der Chor a cappella und Andrea Stadel mit vier Weihnachtsliedern, wobei die einem größeren Publikum kaum bekannten Lieder „König der Könige“ von Gustav Brand und „Weihnacht“ von Erhard Mauersberger das bekannte Repertoire erfrischend bereicherten.

Als solistischer Instrumentalpartner von Andrea Stadel glänzte in Bachs „Sei Lob und Preis mit Ehren“ aus der Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ (BWV 51) Matthias Krebber, wobei der seine Trompete so klar und dabei sensibel spielte, daß diese, die sonst gerne bei Barockmusik ins zu laute Quietschen gerät, niemals die Sängerin dominierte, sondern mit ihrem Vortrag eine wunderbare harmonische Einheit bildete. Die bereits im 16. Jahrhundert entstandene Melodie ist übrigens mehrfach wiederverwendet worden und als „Nun lob, mein Seel, den Herren“ bekannt, wobei Thomas Selles Interpretation die berühmteste sein dürfte.

Noch berühmter ist „Air“ aus Bachs 3. Orchestersuite (BWV 068), das wiederum als reines Instrumentalstück erklang. Takahiro Nagasaki arbeitete mit dem Orchester die Dynamik beachtenswert feinfühlig aus und gab den sanften Momenten genügend Raum zur Entfaltung.

Die zweite Abteilung prägte der leidenschaftliche Duktus von großer Oper aus Spätromantik und frühem 20. Jahrhundert, eingeleitet vom Chor a cappella mit dem französischen Weihnachtslied „Marche des rois“. Weit weniger als im 18. Jahrhundert, aber dennoch immer wieder praktiziert wurde von den Komponisten des Folgejahrhunderts die Umarbeitung und Wiederverwendung von Melodien, wie beispielswiese von Georges Bizet, von dem „Farandole“ und „Intermezzo“ aus der „L´Arlésienne“-Suite zu hören waren. Letztgenanntes Stück hatte er zu einem „Agnus Dei“ umgewandelt und das sang gemeinsam mit dem Chor Evmorfia Metaxaki mit ihrem glutvollen, durchdringenden Sopran – und umwerfendem Charme!

Ein „Agnus Dei“ gab es auch von Giacomo Puccini, das Gustavo Mordente Eda und der Baß Lino Ackermann, wieder mit dem Chor, erklingen ließen. Ackermann bot Eda einen stimmlich sehr gut passenden Antagonisten, was zu einer ausgewogenen Darbietung führte.

Nach Puccinis Intermezzo aus „Manon Lescaut“ gab es dann die stimmungsvolle Mondscheinmusik aus Richard Strauss´ „Capriccio“, die der Hornist Johannes Borck mit einem warmen, glänzenden Schimmer überzog.

Von Pietro Mascagni stammten die letzten beiden Stücke, nämlich die Intermezzi aus „Guglielmo Ratcliff“ und „Cavalleria Rusticana“, hier im Gewand eines „Ave Maria“. Gustavo Mordente Eda hätte bei diesem Stück gewaltig auf die Tube drücken können, aber er sang seinen Part mit einfühlsamer Demut, die dem sakralen Charakter des Werks ganz und gar gerecht wurde und sich damit umso wirkungsvoller in die Ohren des ergriffenen Publikums schlich.

Dieses wollte es aber nicht dabei belassen – nach dem begeisterten Beifall aus dem vollbesetzten Saal ließ sich das Ensemble nicht lange bitten und gab „Tönet ihr Pauken! Erschallet, Trompeten“ zum Besten, aus Bachs – ja, Weihnachtsoratorium, oder? Nein, es stammt aus der sogenannten „Königin-Kantate“ (BWV 214), einem weltlichen Werk, das der Komponist anläßlich des Geburtstages von Maria Josepha, Kurfürstin von Sachsen und Königin von Polen, für uns alle zum Weihnachtsglück einer Zweitverwendung zuführte und so kennen und lieben wir es mit dem Text „Jauchzet, frohlocket!“.

Also triumphierte zumindest in den Herzen der Eingangschor aus Bachs Weihnachts-Meisterwerk. Majestät Maria Josepha mußten hier leider zurücktreten, hier und am 25. Dezember ging es dann doch erstmal nach Bethlehem!

Und nun die frohe Botschaft: Nächstes Jahr gibt es wieder Weihnachten und hoffentlich das passende Funkelkonzert in Lübeck!

Andreas Ströbl, 27. Dezember 2023


Theater Lübeck: Weihnachtskonzert
Werke von Bach, Bizet, Händel, Mascagni, Puccini und Strauss sowie Lieder zu Weihnachten

25. Dezember 2023

Musikalische Leitung und Cembalo: Takahiro Nagasaki
Chor des Theaters Lübeck
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck