Magdeburg: „Die tote Stadt“

Besuchte Vorstellung am 12. Februar 2016, Premiere am 23. Januar 2016

Hochspannend

Die im Dezember 1920 gleichzeitig in Hamburg und Köln uraufgeführte Oper „Die Tote Stadt“ vom damals gerademal 23 Jahre alten Komponisten Erich Wolfgang Korngold wird nach ihrer Wiederentdeckung in den 1970er-Jahren heute relativ selten aufgeführt. Das war in den 1920er-Jahren ganz anders; da gehörte sie neben den Werken von Richard Strauss zu den meistgespielten Opern. Das Libretto von Korngolds Vater beruht auf dem symbolistischen Roman „Das tote Brügge“ von Georges Rodenbach.

Kurz zum Inhalt der Oper: Alles in seinem Zimmer in der erstarrten Stadt Brügge erinnert Paul an seine verstorbene Frau Marie; blonde Haarsträhne, Seidenschal, Mandoline und anderes verehrt er wie Reliquien. Er lernt Marietta kennen, die Marie sehr ähnlich sieht. Der Tänzerin, die ihn auf seine Einladung aufsucht, gelingt es, Paul in ihren Bann zu ziehen, der in ihr vor allem seine Marie sieht. Auf der Suche nach Marietta trifft er auf ihre Theatertruppe, die die Auferstehungsszene aus Meyerbeers „Robert le diable“ probt. Nach Auseinandersetzungen, bei denen für Paul Realität und Illusion verschwimmen, provoziert Marietta ihn, indem sie zu tanzen beginnt, nachdem sie Pauls Erinnerungsschrein die Haarsträhne entnommen hat. Dies macht Paul derart wütend, dass er Marietta erwürgt. Am Schluss kommt Paul wieder zu sich und erkennt, dass die vorangehende Handlung nur ein Traum war. Marietta kommt wieder, um den Schirm und die Rosen mitzunehmen, die sie anfangs vergessen hatte. Paul verspricht seinem Freund Frank, Brügge, die tote Stadt, auf immer zu verlassen.

Die Neuinszenierung von Jakob Peters-Messer hat die Geschichte optisch in eine Psychothriller-Ästhetik à la Hitchcock übertragen, indem der Bühnenbildner Guido Petzold, auch verantwortlich für das raffinierte Licht-Design, einen großen Rahmen mit Jalousie auf die Bühne gestellt hat; dahinter befinden sich silbern transparente Schleier, die anfangs auch ein Sitzmöbel und eine ovale, verglaste Museumsvitrine mit den Erinnerungsstücken bedecken. Diese wird später zur Gondel und dann zum Sarkophag des Spiels im Spiel und schließlich zum fahrbaren Altar der kirchlichen Prozession; auch durch Projektionen auf der Jalousie, z.B. eine typische Hitchcock-Blonde, werden Pauls Wahnvorstellungen eindringlich dargestellt: Der karge Raum öffnet sich, die Gestalten von Pauls Fantasie, Elemente und Motive aus der realen Begegnung mit Marietta kommen in verfremdeter Form in dieser Traumwelt vor. Die der Gegenwart angenäherten Kostüme von Sven Bindseil passen sich gut in diese Konzeption ein. Mit einer entscheidenden Veränderung des versöhnlichen Endes der Oper hat der Regisseur das Werk in die Nähe des zugrundeliegenden Romans gerückt, in dem Paul die Doppelgängerin tatsächlich mit einem Haarstrang erdrosselt und nicht wie in der Oper alles nur geträumt hat; in Magdeburg warten am Ende Polizei und Psychiatrie auf ihn. Konsequent ist es da, dass der kurze Wiederauftritt der Marietta entfällt. Weniger konsequent erscheinen die Übertreibungen im Theaterspiel und der Prozession, die eben wie Traum-Szenen wirken, und der gewollte Eindruck, dass sich alles in Pauls Wohnung abspielt. Logischer erscheint da die z.B. von Götz Friedrich gewählte Lösung mit dem Selbstmord des in seinen Wahn verstrickten Paul, um das vielleicht unglaubwürdige versöhnliche Ende von Vater und Sohn Korngold zu vermeiden. Sei’s drum, in Magdeburg wurde intensives, spannendes Musiktheater geboten.

Problematisch in der besuchten Vorstellung war die krankheitsbedingte Absage von Wolfgang Schwaninger, für den Niclas Oettermann einsprang. Naturgemäß musste er sich durch die ihm unbekannte Inszenierung mit zahlreichen Blicken in die Gasse und vor allem auf den Dirigenten kämpfen, was sich auch auf die stimmliche Bewältigung der schwierigen Partie mit der mörderisch hohen Tessitura auswirkte. Allerdings gelangen ihm die wenigen Piano-Phrasen ansprechend; im Forte forcierte er allzu sehr. Zusätzlich bedrängte ihn das schon von der Instrumentierung her sehr starke, unter der sonst umsichtigen Leitung des Magdeburger GMD Kimbo Ishii beherrschende Orchester. So stimmte die Lautstärke überhaupt nicht bei den Szenen, in denen aus dem Off die Stimme der Marie erklingt; zu hören war Noa Danon kaum – entweder stand sie zu weit hinten auf der Bühne oder das Orchester war eben zu laut. Als lebhafte, anziehende Marietta wusste die israelische Sopranistin rundum zu gefallen; wie sie die kokette Tänzerin darstellte und ihre volltimbrierte Stimme auch in den vielen Höhen ausdrucksstark zum Blühen brachte, das hatte hohes Niveau.

Im Übrigen gab es mehr als nur Solides: Als Brigitta erlebte man Undine Dreißig, deren charaktervoller Mezzo einmal mehr gefiel. Ebenfalls eingesprungen sang Alejandro Lárranga Schleske (Fritz) den „Schlager“ der Oper „Mein Sehnen, mein Wähnen“ mit weit ausschwingendem Bariton. Durch munteres Spiel und ordentliches Singen überzeugten Mitglieder des Magdeburger Opernensembles. Pauls Freund Frank, der hier wohl den sich ständig Notizen machenden Kriminalkommissar geben musste, war bei Roland Fenes in bewährten Händen.
Ihre wenigen Aufgaben erfüllten der Opernchor und der Opernkinderchor des Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“ (Einstudierung Martin Wagner) ausgesprochen klangschön.

Im gut besuchten Haus gab es langanhaltenden, verdienten Applaus für alle Mitwirkenden.

Bilder (c) Nilz Böhme

Gerhard Eckels 13. Februar 2016

Weitere Vorstellungen: 27.2.+3.,15.4.2016