Besuchte Vorstellung am 5. März 2022, Uraufführung am 13. Februar 2022
Anna Skryleva, seit 2019 Magdeburger Generalmusikdirektorin, und der Musikdramaturgin Ulrike Schröder ist es zu verdanken, dass die Oper nach Fontanes Novelle des weithin unbekannten Komponisten Eugen Engel überhaupt uraufgeführt werden konnte. Die Mühen der Bearbeitung des Notenmaterials haben sich wirklich gelohnt, denn dieses spannende Werk mit dem tragischen Finale könnte eine echte Bereicherung des Repertoires werden.
Zu Engels Persönlichkeit und zu den Einzelheiten der Handlung in Fontanes Novelle und der Oper verweise ich auf die Ausführungen in der Erstbesprechung.
Die Regisseurin Olivia Fuchs, deren Personenführung insgesamt gut gefiel, hat versucht, die drei Zeitebenen (Tangermünde 1617, Fontanes Novelle 1879 und die Biographie des Komponisten) zusammenzubringen, indem sie, wie sie im Programmheft erläutert, die mittelalterliche Geschichte in die 1940-er Jahre verlegt und mit einigen Koffern in der Bühnenmitte den Holocaust angedeutet hat. Dazu wurden auf die grauen Wände des kargen Einheits-Bühnenbildes Schwarz-Weiß-Videos von Brandenburger Landschaften und zum lautstark angekündigten Erscheinen des Kurfürsten von Marschkolonnen der Wehrmacht projiziert. Ohne dies im Programmheft gelesen zu haben, ließen sich die Andeutungen zu Eugen Engels Biographie kaum erkennen. Auch passt die Geschichte mit ihren religiösen Gegensätzen und den fahrenden Komödianten nicht ins mittlere 20. Jahrhundert – dies wirkte jeweils allzu krampfhaft und damit letztlich überflüssig. Durchaus sinnfällig ist die Kostümierung, wenn den bunt gekleideten Komödianten und dem Außenseiter-Paar (Grete mit feuerroten Haaren, Valtin in legerem Look) die feindlich gesonnene Bürger-Gesellschaft in einheitlich zeitlosem, strengen Schwarz gegenüber steht, wobei man über das Outfit der Trud à la Emmy Göring streiten kann (Ausstattung: Nicola Turner).
Raffaela Lintl/Zoltán Nyári/ Benjamin Lee
Eugen Engels einzige Oper enthält mit lebhaften Chorszenen, zarten Klängen des Liebespaars und dramatischen Steigerungen so ziemlich alles, was zu großer Oper gehört. Im ersten Akt wirken die Chöre mit einem derben Walzer noch reichlich grob geschnitzt. Das verdichtet sich in Arendsee, wenn im zweiten Akt in der turbeligen Wirtshaus-Szene der Wirt (mit prägnantem Bass Frank Heinrich) Lokalkolorit herstellt, indem er in dem dort üblichen Dialekt über die Einwohner der Nachbarorte Magdeburg, Tangermünde, Salzwedel und Stendal herzieht. Noch stärker wird es in der Sterbeszene mit Gretes innigem Wiegenlied, dem von ihr als Engel aus dem Off gesungenen Marienlied aus dem Mysterienspiel der Komödianten zum Sterben von Valtin und dem Segen der Domina. Besonders im Finale wird alles ineinander verschränkt, die Tonmalerei des sich ausbreitenden Feuers, das Entsetzen des Volks und der ernste Spruch von Gretes Vater über die Ausübung von Gerechtigkeit. Die Stärken der im Ganzen eingängigen Musik liegen damit deutlich in den lyrischen, liedhaften Szenen; dagegen ist die Illustrierung der Dramatik nach meinem Geschmack allzu plakativ und aufdringlich, was wohl auch an der starken Instrumentierung liegen mag, mit der die Akteure auf der Bühne so manches Mal ihre Probleme hatten. Hier hätte Anna Skryleva die sehr präsente Magdeburgische Philharmonie etwas dämpfen müssen, wenn auch der spätromantische Farbenreichtum der vielschichtigen Partitur durchaus angemessen zur Geltung kam.
Raffaela Lintl/Choristin
Besonders eindrucksvoll war das ausgezeichnete Magdeburger Ensemble, das in allen Positionen eindringlich agierte und stimmlich begeisterte. Da ist zunächst Raffaela Lintl in der Titelpartie zu nennen. Mit ihrer Grete konnte man in jeder Gemütslage mitfühlen, von lebenslustiger Leichtigkeit über intensive Liebe bis zu ausrastender Rache. Dabei führte sie ihren volltimbrierten Sopran sicher und intonationsrein durch alle Lagen; sie hatte keine Mühe, sich trotz starker Orchesterfluten Gehör zu verschaffen. Das gelang auch Zoltán Nyári als ihr geliebter Valtin mit tenoraler Strahlkraft; der ungarische Gast hätte allerdings stimmlich etwas mehr differenzieren müssen, um einige Schärfen seiner durchschlagskräftigen Stimme zu mildern. Die mit gewagten Intervallsprüngen gespickte Partie der Trud Minde war der norwegischen Sopranistin Kristi Anna Isene anvertraut, die mit einem passenden Rollenporträt der bigotten Trud ebenso überzeugte wie durch die beeindruckende Beherrschung der hohen stimmlichen Anforderungen. Die drei Komödianten waren mit markantem Bariton Johannes Wollrab als Puppenspieler, mit flexiblem Tenor Benjamin Lee als munterer Hanswurst und mit feinem Sopran Na’ama Shulman als Zenobia. Da der Sänger des Halbbruders Gerdt erkrankt war, retteten der Regieassistent Florian Honigmann (szenisch) und Johannes Wollrab (Gesang) die Vorstellung. Der warme Mezzosopran von Karina Repova passte gut zur sympathischen Domina; in kleineren Rollen bewährten sich mit charaktervollem Mezzo Jadwiga Postrożna als Valtins Stiefmutter, mit gepflegtem Bass Paul Sketris als lutherischer Pfarrer und mit wie gewohnt sonorem Bass Johannes Stermann als der hartherzige Bürgermeister Peter Guntz. Wie inzwischen in Magdeburg gewohnt, erfreute der beweglich geführte Chor in der Einstudierung von Martin Wagner durch ausgewogene Klangpracht. Das Publikum bedankte sich bei den Mitwirkenden mit starkem, lang anhaltendem Applaus.
Fotos:©Andreas Lander
Gerhard Eckels 6. März 2022
Weitere Vorstellung in dieser Spielzeit: 26.3.2022