Mönchengladbach: „Ein Maskenball“

Premiere: 11.09.2015, besuchte Vorstellung: 22.12.2015

Komplott im Weißen Haus

Lieber Opernfreund-Freund,

obwohl Verdi auf Drängen der Zensur die Handlung von „Un Ballo in Maschera“ nach Boston verlegte, spielt das Werk in aktuellen Inszenierungen verhältnismäßig selten deutlich erkennbar in den USA. Dass aber genau das wunderbar funktioniert, hat Andreas Baesler in seiner so behutsam wie durchdachten Aktualisierung gezeigt, die noch bis Anfang Januar im Theater Mönchengladbach zu sehen ist und in der kommenden Spielzeit die Krefelder Zuschauer erfreuen soll. Angesiedelt wird die Geschichte um Freundesverrat und unerfüllbare Liebe hier im Nordamerika der späten 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, genauer im Weißen Haus. Es ist hier der Präsident, der die Ehefrau seines besten Freundes liebt und dem von Putschisten nach dem Leben getrachtet wird. Der Galgenberg der Vorlage bleibt konsequent Hinrichtungsstätte, ein Raum mit so bedrohlich wie beklemmend wirkendem elektrischen Stuhl, die schon im Libretto farbige Seherin Ulrica wird zur Voodoo-Priesterin mit vorwiegend schwarzem Klientel. Das alles ist durch und durch schlüssig, erzählt die Geschichte neu, ohne sie übers Knie zu brechen. Dabei heraus kommen rund zweieinviertel nie langweilige Stunden.

Zum unterhaltsamen und spannenden Opernabend trägt nicht zuletzt die eindrucksvolle, an das Oval Office erinnernde Bühne von Hermann Feuchter ebenso bei wie die detailreichen, liebevoll gearbeiteten Kostüme von

Caroline Dohmen, in denen Amelia an Jacky Kennedy erinnert und die auf dem titelgebenden Maskenball eine Reminiszenz an (zumindest aus deutscher Sicht) „Uramerikanisches“ wie Mickey Mouse oder die Südstaaten-Mode aus der Zeit des Bürgerkrieges zeigt.

Und auch musikalisch bewegt sich der Abend auf ordentlichem, zum Teil außergewöhnlich guten Niveau. Das bezieht sich vor allem auf die Sängerinnen und Sänger der Hauptrollen. Michael Siemons Tenor verfügt über eine satte Mittellage sowie strahlende und sichere Höhe; zwar fehlt es seiner Stimme an der für das italienische Fach typischen Farbe, man nimmt ihm den smarten an JFK erinnernden Präsidenten dennoch voll ab. Amelia, die zwischen Liebe und Ehrgefühl hin und hergerissene Angebetete, findet in Izabela Matula eine überzeugend singende und spielende Interpretin mit sattem Sopran voll warmem Timbre und vor allem im dritten Akt bewegenden Piani. Ihr Mann, bester Freund und vermeintlich gehörnter Ehemann, wird von Johannes Schwärsky mit vollem Bariton gegeben, dem er in den passenden Momenten gekonnt eine Portion Wut oder Schmerz beimischt. Oscar darf am Niederrhein als Frau auftreten, die Assistentin des Präsidenten und diesem zumindest einseitig in Liebe zugetan. Amelie Müller, Mitglied des Opernstudios, liefert eine reife Leistung ab, glänzt mit beweglichem Sopran und viel Spielwitz. Eva Maria Günschmann versieht die Prophezeiungen der Knochen werfenden Voodoo-Priesterin Ulrica mit dunkel-bedrohlichem Mezzo. Shinyoung Yeo ist ein solider Silvano, ebenso verlässlich treten Hayk Dèinyan und Andrew Nolden als Tom und Samuel auf. Jae Sung An komplettiert das Ensemble als Diener Amelias.

Der von Maria Benyumova gründlich einstudierte Chor singt wunderbar nuanciert, die Niederrheinischen Sinfoniker spielen forsch auf und es gelingt Alexander Steinitz nicht immer, die Fäden in der Hand zu behalten. Dies zeigt sich an der einen oder anderen Abstimmungsschwierigkeit zwischen Bühne und Graben, tut aber dem musikalischen Gesamtgenuss keinen Abbruch.

Das von mir als außerordentlich verschwätzt wahrgenommene Publikum (vielleicht kann man wenigstens während der Arien die Gespräche einstellen?!) applaudiert begeistert und zu Recht, spart nicht mit Bravo-Rufen für Frau Matula und Herrn Siemon. Das Theater ist an diesem Dienstag gut besucht, aber nicht wirklich ausverkauft. Vielleicht liegt‘s am vorweihnachtlichen Geschenkeeinkaufsstress… Verdient hat diese sehenswerte Produktion in jedem Fall ein volles Haus – und vielleicht ein wirklich aufmerksam lauschendes Publikum.

Ihr
Jochen Rüth aus Köln, der allen Lesern ein frohes Weihnachtsfest wünscht.

23.12.2015

Fotos von Matthias Stutte